Drohender Krieg zwischen Iran und Israel: Fatalismus unterm Felsendom

Auch im von Israel besetzten Ost-Jerusalem fürchten viele den großen Krieg. Dort gibt es kaum Bunker – im Gegensatz zum Westteil der Stadt.

Ein Mädchen auf dem Weg zu einem Sommercamp auf dem Gelände der Al-Aqsa-Moschee, im Juli 2024 Foto: Latifeh Abdellatif/rtr

JERUSALEM taz | Auf einer schattigen Bank vor der Jerusalemer Kunsthochschule Bezalel ruhen sich Ofir und sein Sohn Yair aus. Während Diplomaten zahlreicher Staaten hektisch versuchen, einen großen regionalen Krieg abzuwenden, herrscht in Jerusalem angespannte Normalität. „Wir haben meinen freien Tag genutzt, um ins Museum zu gehen“, sagt der 40-Jährige.

Die Bedrohung sei ihm bewusst, beschäftige ihn im Alltag aber wenig, sagt Ofir. „Wir haben einen Schutzraum in der Wohnung und eine verstärkte Tiefgarage unter unserem Gebäude, dort sind wir sicher“, sagt der Psychologe, der mit seiner Familie im größtenteils jüdisch bewohnten Westteil der Stadt lebt. Zudem habe er Wasser und Essen für einige Tage besorgt. „Es wird schon gut gehen“.

Rund eine Woche nach der gezielten Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija in der iranischen Hauptstadt ist die Sorge vor einer Eskalation international weiter hoch. Diplomatische Aufrufe zur Zurückhaltung richten sich sowohl an Jerusalem als auch an Teheran. Einem Bericht des israelischen Sender KAN zufolge riefen Israels Partner unter Führung der USA die israelische Regierung auf, „den Bogen nicht zu überspannen“. Das Ziel sei letztlich „nicht, einen umfassenden Krieg auszulösen“, hieß es in der Botschaft demnach weiter.

Iran hat „Bestrafung“ angekündigt

Der Iran bekräftigte gegenüber ausländischen Botschaftern in Teheran seine Absicht, auf Israels „Abenteurertum“ und den tödlichen Angriff auf Hanije in Teheran zu reagieren. Israel hat sich bisher nicht zu dem Angriff bekannt. Für Mittwoch wollen die Außenminister der Organisation für islamische Zusammenarbeit bei einer Dringlichkeitssitzung in Saudi-Arabien über die „Verbrechen der israelischen Besatzung“ und die „Ermordung“ Hanijas beraten. Die Organisation versteht sich als Stimme der muslimischen Welt.

Eine Eskalation wolle Teheran laut eines Sprechers des Außenministeriums vermeiden: „Der Iran versucht, Stabilität in der Region herzustellen“, sagte Nasser Kanaani. „Das wird aber nur gelingen, wenn der Aggressor bestraft wird.“ Der Oberkommandeur der Islamischen Revolutionsgarde, Hossein Salami, bekräftigte die Drohung, Israel „zu gegebener Zeit“ zu bestrafen.

„Ich will nicht, dass es Krieg gibt, aber ich glaube, wir haben keine Wahl“, sagt Ofir in Jerusalem. Die Hisbollah und die Führung im Iran würden keinen Frieden wollen. „Ich hoffe, wir werden siegen“, sagt Ofir. Wie so ein Sieg seiner Ansicht nach aussehe? „Ich denke, wir müssen sie hart genug treffen, damit sie aufhören, uns anzugreifen.“

An mehreren Fronten bedroht

Neben einem direkten Angriff durch den Iran, der über ein großes Arsenal an Langstreckenraketen und Drohnen verfügen soll, könnten sich auch proiranische Gruppen in der Region wie die libanesische Hisbollah, die Huthis im Jemen und weitere Gruppen in Syrien und im Irak an einem Vergeltungsschlag beteiligen. Israel ist damit an mehreren Fronten bedroht.

Bereits jetzt ist die Lage an mehreren Orten angespannt. Bei einem Israelischen Angriff im Süden des Libanon wurden am Dienstag laut dem libanesischen Gesundheitsministerium fünf Menschen getötet. Eine mit Sprengstoff beladene Drohne der Hisbollah schlug nahe Naharija im Norden Israels ein und verletzte neunzehn Menschen, mindestens einen davon schwer. Im besetzten Westjordanland tötete die israelische Armee bei Operationen acht Palästinenser. Den Streitkräften zufolge handelte es sich um bewaffnete Kämpfer. Laut dem Gesundheitsministerium in Ramallah waren unter den Toten ein 14-Jähriger und zwei 19-Jährige.

In Ostjerusalem beobachtet der palästinensische Hotelbesitzer Raed das Treiben auf dem Busbahnhof nahe dem Damaskustor zur Altstadt. Er fühle sich relativ sicher, obwohl es hier im Gegensatz zum Westteil der Stadt kaum Schutzanlagen vor Raketenangriffen gibt. „Ich weiß nicht, wo der nächste Bunker ist“, sagt Raed. Im Eingang seines Hotels plätschert ein Springbrunnen. Auf der Online-Karte der Stadtverwaltung sind für den Westteil der Stadt die Schutzbunker in einer langen Liste aufgeführt.

Im Osten finden sich kaum Einträge, obwohl Israel die mehrheitlich palästinensisch bewohnten Stadtteile bereits 1980 annektiert hat – nach Ansicht eines Großteils der internationalen Gemeinschaft völkerrechtswidrig. Die israelische Menschenrechtsorganisation Acri hatte im vergangenen Oktober kritisiert, dass es keine funktionierenden öffentlichen Schutzräume in Ostjerusalem gebe.

Sicher im Schatten der Altstadt?

Raed zieht sein Sicherheitsgefühl vor allem aus der Nähe zur Altstadt, in der einige der heiligsten Städten des Islam und des Judentums liegen. „Niemand hier denkt, dass jemand auf uns zielen wird“, sagt er. Weil es ohnehin keine Bunker gebe, würde die palästinensische Bevölkerung zudem anders reagieren als die Menschen im Westen der Stadt.

„Wir haben keine Orte, um uns zu schützen, das ist nicht Teil unserer Realität“, sagt Raed. Viele seiner Gäste hätten nach dem 7. Oktober den alten Gewölbekeller als Schutzraum genutzt. Die palästinensische Belegschaft hingegen sei während der Luftalarme oft nach draußen gegangen, um zu schauen, was passiert.

Den Hotelbetreiber besorgt der drohende Angriff weniger als der langfristige Effekt auf die palästinensische Wirtschaft und Gesellschaft. Nach der zweiten Intifada habe beinahe die Hälfte der Hotels im Ostteil der Stadt schließen müssen, sagt er, ebenso wie zahlreiche Läden in der Altstadt. Auch ein Großteil des kulturellen palästinensischen Lebens sei so verschwunden. Er fürchtet, dass eine Ausweitung des Krieges und ein weiteres Ausbleiben von Touristen ähnliche Auswirkungen haben wird.

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