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Landtagswahlen in OstdeutschlandWir müssen reden

Die Autorenvereinigung PEN Berlin will in den Ostdeutschland über Meinungsfreiheit diskutieren. Ein Besuch in Dresden und Wurzen.

Partizipation erwünscht: die PEN Berlin-Veranstaltung am 19. August in Dresden Foto: Marie Eisenmann

Dresden/Wurzen taz | Man hat sich viel vorgenommen bei PEN Berlin. Kurz vor den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg fährt die Schriftstellervereinigung mit allerlei großen Namen im Gepäck in die „problematischen“ Bundesländer, in den Osten – dorthin, wo demnächst gewählt wird. Und ausnahmsweise nicht in die großen Städte, sondern nach Döbeln, Wurzen, Annaberg-Buchholz, Pirna, Bautzen, um nur einige Orte zu nennen. Leipzig, die linke Hochburg, hat man bewusst ausgespart.

In den 37 Veranstaltungen dreht sich alles um das Thema Meinungsfreiheit. Über Meinungsfreiheit diskutieren, diese hochhalten, ein wenig auch zelebrieren, so scheint der Anspruch zu sein. Die Überschrift: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ So hat man das schon gehört, so schnell murmelt es wohl jemand aus Sachsen in sich hinein, nachdem er etwas gesagt hat, was vor Jahren noch unsagbar schien.

Der Spruch war eine Überschrift der Bild aus den Nullerjahren, damals eher als höhnischer Ordnungsruf gegenüber denen genutzt, die an der Sagbarmachung des Unsagbaren mitgewirkt haben. Und irgendwie auch ein Satz, den man den rechten und nicht selten ostdeutschen Wutbürgern sarkastisch entgegengeschleudert hat.

Die Reihe will mit Menschen ins Gespräch kommen, nicht ihre Parteipräferenz kurz vor der anstehenden Landtagswahl ändern, so Deniz Yücel, Sprecher und Mitorganisator. Jede Veranstaltung beginnt mit Aron Boks, selbst Autor (auch für die taz) und PEN-Berlin-Mitglied, der dem Publikum mal mehr, mal weniger provokante Fragen mit Bitte um Handzeichen stellt, die nachspüren lassen, wer neben einem sitzt.

Es zeigt sich: Vieles, wozu man sich hier positioniert, spaltet weniger, als dass es vereint. Ostdeutsche Identität eben. Es zeigt sich ebenfalls: mehr „Ossis“ als „Wessis“ im Raum, zumindest bei den Veranstaltungen in Wurzen und Dresden. Weitere Fragen lauten: „Wer findet, dass der Osten viel zu mies gemacht wird?“, „Wer findet, dass der Osten noch viel schlimmer ist, als die Wessis denken?“, „Finden Sie Badebekleidung grundsätzlich überflüssig?“, „Sagen Sie noch Kaufhalle oder Konsum?“. Und in Dresden: „Lesen Sie Compact?“ Nur einer meldet sich. Und: „Waren Sie einmal bei einer Pegida-Demo?“ Es gibt vereinzelte Meldungen im Saal.

In diesem Osten

Nach einigen Fragen durchdringen bei den Veranstaltungen Lacher den Raum, als suggerierten sie: Irgendwas hat man in diesem Osten schon gemeinsam. Im Zentrum der Veranstaltungsreihe: nicht so sehr die Diskutanten auf dem Podium, sondern das Publikum selbst. Partizipation ist ausdrücklich erwünscht, aber bitte nicht länger als zwei Minuten sprechen, und das Mikro bleibt bitte fest in den Händen von Aron Boks, heißt es.

Montag, der 12. August, in Wurzen: In der Kleinstadt in Sachsen nordöstlich von Leipzig sitzt man im Ringelnatzhaus dicht gedrängt. Anfangs durchfährt ein Raunen, als die Schriftstellerin Charlotte Gneuß („Gittersee“) und die Journalistin Sabine Rennefanz zunächst über Ost-Erfahrungen und Identität sprechen. Das habe man doch selbst erlebt.

Von links nach rechts: Paula Irmschler, Katja Hoyer und Lydia Jakobi Foto: Marie Eisenmann

Die Frage fällt, was das mit Meinungsfreiheit zu tun habe. Dabei ist dies kein unlogischer Schritt: Unterdrückte Meinungsfreiheit ist nun einmal etwas, das DDR-Geborene wie die Eltern von Charlotte Gneuß betroffen hat.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass eine der Wortmeldungen an diesem Abend lautet, man würde nie in eine Partei eintreten, weil Partei früher SED hieß und mit freier Meinungsäußerung wenig zu tun hatte.

Besonders in Erinnerung bleibt die Wortmeldung von Viola Heß, Vorsitzende des Joachim-Ringelnatz-Vereins, die über die Nachwendezeit und ihre Tätigkeit als Lokaljournalistin berichtet und erklärt, wie das Wegbrechen lokaler Medien zur Verengung von Diskursräumen beitrug. Sie erzählt auch, welchen Stellenwert Räume wie das Ringelnatzhaus, das sie leitet, haben. Das ist es auch, was Yücel und PEN Berlin hier wollen: Kulturräumen im ländlichen Raum eine Stimme verleihen.

Eine Woche später, Montag, der 19. August, in Dresden: Im Hygienemuseum gibt es viel Andrang. Yücel ist auch hier wieder mit dabei. Es ist die letzte Veranstaltung der Reihe in Sachsen, bevor sie nach Thüringen und Brandenburg kommt. Wie an allen anderen Veranstaltungsorten: auch hier viele weiße Häupter, aber durchaus diverser als in Wurzen. Man kann nicht sagen, dass PEN Berlin ausgerechnet die jüngeren Wähler oder Erstwähler angezogen hat.

Diskurs außerhalb des Internets

Auf dem Podium sitzt Paula Irmschler, Schriftstellerin und Satirikerin, in Dresden geboren, heute in Köln lebend. Auf die Frage, ob in Deutschland Meinungsfreiheit herrscht, antwortet Irmschler mit Ja. Aber auch das kennt ein Aber: Ihre Sorge gilt dem Weiterbestand von Debattenräumen außerhalb des Internets. Was an diesem Abend dennoch mitschwingen wird: Wer Meinungsfreiheit meint, meint oft das, was auf Social Media geäußert wird oder vielmehr geäußert werden darf.

Fragt man Yücel, wen er gerne noch auf dem Podium gehabt hätte – immerhin waren streitbare Persönlichkeiten wie Dieter Nuhr oder Uwe Tellkamp angefragt –, wiegelt Yücel ab. Man sei mehr als zufrieden mit denen, die gekommen sind.

Mit Irmschler auf dem Podium: die Historikerin Katja Hoyer. Auch sie beschäftigt sich mit der DDR, insbesondere mit ihrer jüngeren Geschichte. In „Diesseits der Mauer“ erzählt sie die Geschichte der DDR neu – ohne Nostalgie und ohne den ständigen Vergleich mit dem Westen. Es geht ihr um die Sicht der Menschen, die den deutschen Sozialismus selbst erlebt haben. Auf die Frage, ob es in Deutschland Meinungsfreiheit gebe, antwortet sie ebenfalls mit einem „Ja, aber“.

Plastisch wird dies am ehesten, als sie über die Inter­view­ver­suche für ihr Buch berichtet, über die Scheu der Inter­view­ten, über ihre Erfahrungen in der DDR zu sprechen. Ihr Gefühl ist: Sie müssten „immer gleich ein Gelöbnis auf die Bundesrepublik“ ablegen. Und darum geht es vielen auch, die in Wurzen und den anderen Städten die Veranstaltungen des PEN Berlin besucht haben: Sie wollen wahrgenommen werden.

Es fehle eine Diskussionskultur

Der Gesprächsbedarf ist auch in Dresden groß. Als Moderatorin Lydia Jakobi die Ergebnisse der Allensbach-Studie 2021 anspricht, wonach nur noch 65 Prozent der Befragten glaubten, dass man seine Meinung in Deutschland frei sagen könne, sieht man nickende Köpfe. Es sei nicht so sehr die Beschränkung der Meinungsfreiheit, die bedenklich sei, so Jakobi, vielmehr fehle eine Diskussionskultur.

Einer der Zuschauer, laut Handmeldung Compact-Leser, sieht die Meinungsfreiheit in Deutschland deutlich bedroht. Grundlage für diese Annahme sind die 750 Anzeigen wegen sogenannter Hassnachrichten, die das Habeck-Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und sein Abgeordnetenbüro gestellt hätten. Der Redebeitrag erntet Widerspruch.

Es entspinnt sich eine Debatte über die Grenzen des Sagbaren. Dennoch: Am Ende scheint das Publikum sich selbst mit einer Teilnehmerin der Dresdner Corona-Spaziergänge darauf einigen zu können, dass es mehr Zuhören im Diskurs brauche. Über die Ausformung ist man sich jedoch uneinig. Die Grenze sei, so die Ansicht vieler, die sich zu Wort melden, da, wo Menschen das Recht auf Existenz abgesprochen wird.

Am Ende des Abends in Dresden fällt das Urteil vieler Anwesenden positiv. Fragt man diejenigen vor der Tür, wie sie die Veranstaltung fanden, sagen viele: „gut“, „wichtig, vor allem vor der Wahl“. Eine Frau, vielleicht Mitte 50, sagt: „Es täte gut zu sehen, dass man noch miteinander reden kann, dass man irgendwie den anderen auch ähnlich ist in den schwierigen Zeiten.“

Genau darum geht es bei der Reihe von PEN Berlin: um den Versuch, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Und auch darum, dass Meinungsfreiheit nicht die Abwesenheit von Widerspruch bedeutet. Nach Dresden wird es für Yücel und PEN Berlin weiter nach Sonneberg in Thüringen gehen. Weiter reden, weiter zuhören.

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12 Kommentare

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  • Super Aktion.

  • Ich nehme mir das Recht, nach dreissig Jahren zuhören und zwei mal Baseballschlägerjahren, Ossis nicht mehr zuhören zu wollen!

  • Sehr wertvolle Reihe aus meiner Sicht. Siehe vor allem die Bewertung der Teilnehmenden am Ende. So etwas braucht es heute

  • Hätten mal früher reden sollen, mit Menschen im Osten.



    Wenn es brennt, ist das anbringen eines Rauchmelders definitiv zu spät

  • "Kurz vor den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg fährt die Schriftstellervereinigung mit allerlei großen Namen im Gepäck in die „problematischen“ Bundesländer, in den Osten"

    Mutig! Wichtig sind Kompass, Feuerstein, Klappspaten, Bärenspray und Signalraketen. Und hoffentlich hat man auch an die empfohlenen Impfungen gedacht.

  • Umbruchzeit!



    Die Welt befindet sich in einer Umbruchzeit, nicht nur der Osten Deutschlands.



    Damit verbunden sind viele Neuerungen und Änderungen die ein enormes Anpassungspotential der Bürger erfordern , aber auch und vor allem der Politiker und anderer Führungskräfte.



    Die Politik lässt diese Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen und flexibel aber bestimmt darauf zu reagieren, vermissen. Das verunsichert, insbesondere in Verbindung mit Ämtern der unteren administrativen Ebenen, die auf deutliche bestimmende Anweisungen zu reagieren gepolt sind, sich aber selbst im Parteien Wirrwar erratischer Direktiven wiederfinden. Viele Politiker scheinen die Zeit der Veränderungen nicht erkannt zu haben oder wollen den Wandel nicht erkennen.



    Dem Bürger ist das zunehmend bewußt, deshalb überall Unsicherheit und Widerspruch!



    Der Ruf nach einer autoritären bestimmenden Führung kennzeichnet nicht nur im Osten diese Unsicherheit. Politik wünscht sich den Status Quo, betetet die Parameter des zwanzigsten Jahrhunderts hoch und runter. Schwarze Null und Harz vier, Verbrennungsmotor und die Arbeitslosenzahlen.



    Auch "im Westen nichts Neues"!

    • @Thomas Rausch:

      Ich glaube nicht, dass es um die steigende Komplexität der Welt geht.



      Ich glaube, dass der Abstand zum letzten "Wirken" von Faschos schlicht so groß ist, dass ein solches System für Teile der Gesellschaft keine negativen Gefühle mehr erzeugt. Die meisten Überlebenden des Holocaust sind inzwischen gestorben, und können daher die jungen Leute nicht mehr aufklären. Zusätzlich ist im Osten offenkundig im Fach Geschichte etwas mächtig schiefgegangen.



      Und die psychischen Schäden, die die rote Diktatur verursacht hat (oder wie soll man sich sonst die Affinität für die ehemaligen Unterdrücker erklären?), sind auch nie thematisiert worden

  • Nun fehlt nur noch die Tour durch die Bundesländer wo vornehmlich geerbt wird.

    • @insLot:

      Danke für den wertvollen und differenzierten Beitrag.

  • Vielleicht ist das was der Osten braucht auch einfach nur weniger Identitätspolitik (Ostdeutsch und Westdeutsch war schon immer ein Schubladendenken in das viele Deutsche die nach 1990 geboren wurden auch gar nicht mehr hineinpassen).

    Es ist auch traurig, dass man beim PEN Berlin ergebnisoffene Debatten darüber führt ob man Mordrohungen gegen Linke (siehe Compact) als Meinungsfreiheit bezeichnen soll und man sich dafür anschließend auch noch auf die Schulter klopft.

    • @Tannenzapfen:

      Vielleicht braucht das ganze Land weniger Identitätspolitik.

      Identitätspolitik ist immer Schubladendenken.

  • Grundsätzlich ist immer vernünftig miteinander, anstatt übereinander zu sprechen.