Steinmeiers Rede zum Warschauer Aufstand: Große Enttäuschungen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bat in Polen um Vergebung für die NS-Verbrechen. Doch Entschädigungssummen für die Opfer nannte er nicht.
B eide kamen mit leeren Händen – erst Bundeskanzler Olaf Scholz zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen, jetzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 80. Jahrestag des Warschauer Aufstandes 1944. Dabei zählt für die inzwischen über 90-jährigen polnischen Veteranen und Kriegsopfer jeder Tag. Sie sollen, so hatte es Kanzler Scholz versprochen, eine symbolische Anerkennung für ihr Leid bekommen. Doch er nannte weder eine Summe, auf die sich die hochbetagten Menschen einstellen können, noch ein Datum für den Beginn der Zahlungen. Auch nicht, wer konkret das Geld bekommen soll. Die Enttäuschung ist groß.
Steinmeier bat in Warschau um Vergebung für die von den Deutschen begangenen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, insbesondere für die Massaker, die SS und Wehrmacht im Warschauer Aufstand 1944 an der Zivilbevölkerung verübt hatten. Damals starben 150.000 bis 200.000 zumeist junge Polen und Polinnen. Diese Bitte hatte Steinmeier auch schon 2023 anlässlich des 80. Jahrestags des Warschauer Ghettoaufstandes 1943 ausgesprochen, den die Deutschen ebenfalls blutig niedergeschlagen hatten.
Die Vergebungsbitten sind richtig und gut. Auch in Zukunft wird es diese Gesten brauchen, da die unmittelbare Nachkriegsforderung nach dem „Nie wieder“ immer wieder erneuert und bestätigt werden muss. Aber das inzwischen ritualisierte Gedenken reicht nicht. Es gehört von deutscher Seite das Bemühen dazu, tatsächlich etwas „wieder gut machen“ zu wollen. So haben hunderttausende polnische Kinder, die ihren Eltern entrissen und dann zwangsgermanisiert wurden, noch nie ein Wort der Anerkennung ihres Leids, geschweige denn eine symbolische Entschädigung erhalten.
Im Krieg hatten die deutschen wie auch die sowjetischen Besatzer Polens das Nachbarvolk zu kulturlosen Arbeitssklaven ohne intellektuelle Elite degradieren wollen. Es wäre also nur recht und billig, wenn zumindest das heutige Deutschland Polen dabei helfen würde, wieder als Kulturnation weltweit reüssieren zu können. Schritt für Schritt würde so die Basis gelegt für eine tatsächliche Partnerschaft auf Augenhöhe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch