Stationierung von Mittelstreckenwaffen: Rolf Mützenich ist nicht begeistert
Der SPD-Fraktionschef hat Bedenken gegen die geplante Stationierung von Mittelstreckenwaffen. Außenministerin Baerbock verteidigt die Entscheidung.
![Olaf Scholz und Rolf Mützenich schauen in unterschiedliche Richtungen Olaf Scholz und Rolf Mützenich schauen in unterschiedliche Richtungen](/picture/7130808/624/35724810-1.jpeg)
Haben etwas unterschiedliche Vorstellungen von der „Zeitenwende“: Kanzler Olaf Scholz und sein Parteifreund Rolf Mützenich Foto: Kay Nietfeld/dpa
BERLIN taz | Die angekündigte Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland sorgt zunehmend für Unruhe in der SPD. Am Wochenende hat sich nun auch Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich kritisch zu den Plänen geäußerst. „Wir müssen unsere Verteidigungsfähigkeit angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine verbessern, aber wir dürfen die Risiken dieser Stationierung nicht ausblenden“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Am Rande des Nato-Gipfels in Washington hatten das Weiße Haus und die Bundesregierung vor eineinhalb Wochen bekanntgegeben, dass die USA von 2026 an Tomahawk-Marschflugkörper, die Mehrzweckrakete SM-6 sowie derzeit noch in der Testphase befindliche Hyperschallraketen in der Bundesrepublik stationieren wollen. Diese Waffensysteme verfügen über eine deutlich größere Reichweite als die derzeitigen landgestützten Systeme in Europa.
Es handele sich um eine „Reaktion auf die von Russland ausgehende Bedrohung“, heißt es in einem gemeinsamen Schreibenmit dem die Parlamentarischen Staatssekretär:innen Siemtje Möller (Verteidigung) und Tobias Lindner (Auswärtiges Amt) am Freitag den Auswärtigen Ausschuss und den Verteidigungsausschuss des Bundestages über das mit den USA vereinbarte Vorhaben informierten.
„Russland hat in den vergangenen Jahren massiv im Bereich weitreichender Raketen und Marschflugkörper aufgerüstet“, so die SPDlerin und der Grüne. Vergeblich habe die Bundesregierung mehrfach auch öffentlich „zu einer Umkehr von diesen eskalatorischen Maßnahmen aufgefordert“. Die Stationierung weitreichender konventioneller US-Waffensysteme in Deutschland trüge „zu einer effektiven und glaubwürdigen Abschreckung und zum Schutz Deutschlands und seiner Verbündeten bei“.
In Washington hatte Bundeskanzler Olaf Scholz bereits verkündet, das sei „ein Element der Abschreckung, ein Beitrag zum Frieden und eine wichtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt“.
„Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation“
Dagegen wendet sein Parteifreund Mützenich jetzt ein, dass er zwar die Bedrohung durch Russland „überhaupt nicht ignorieren“ wolle. Gleichwohl verfüge die Nato „auch ohne die neuen Systeme über eine umfassende, abgestufte Abschreckungsfähigkeit“.
Die Waffensysteme, die nun neu stationiert werden sollen, hätten eine sehr kurze Vorwarnzeit und eröffneten neue technologische Fähigkeiten. „Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich“, warnte Mützenich. Darüber hinaus würde er sich wünschen, „dass die Bundesregierung ihre Entscheidung einbettet in Angebote zur Rüstungskontrolle“.
Noch deutlich schärfere Worte findet eine Gruppe überwiegend älterer Sozialdemokrat:innen, unter ihnen Ex-Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin, die frühere NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn, die ehemalige Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann und – mal wieder – der 75-jährige Willy-Sohn Peter Brandt. „Nein zu neuen Mittelstreckenraketen!“, ist ihr gerade veröffentlichter Aufruf überschrieben.
Deutschland brauche eine starke Friedensbewegung
„Die Gefahr eines großen Krieges in Europa droht wieder zu einer denkbaren Zukunft zu werden“, heißt es darin. Dazu trage bei, dass in Deutschland wieder Waffensysteme stationiert werden sollen, „die mit sehr kurzen Vorwarnzeiten konventionelle Sprengköpfe und sogar Atomwaffen nach Russland tragen können“. Dass am Ukraine-Krieg Russland „die unmittelbare Kriegsschuld“ trage, stehe zwar „außer Frage“, ändere aber „nichts daran, dass es zuerst um den Frieden gehen muss“.
Sie sagten „Nein zu einem neuen Kalten Krieg, aus dem ein Heißer Krieg werden kann“, schreiben die Verfasser:innen, zu denen auch das Ex-IG Metall-Vorstandsmitglied Helga Schwitzer, Ostermarschorganisator Willi van Ooyen und Jörg Sommer, der Vorsitzende der Deutschen Umweltstiftung, gehören. Was Deutschland brauche, sei „eine starke Friedensbewegung, die sich der zunehmenden Militarisierung in der Politik und den öffentlichen Debatten entschieden widersetzt“.
Demgegenüber verteidigte Außenministerin Annalena Baerbock erwartungsgemäß die vereinbarte Raketenstationierung. Der russische Präsident Wladimir Putin habe „das Arsenal, mit dem er unsere Freiheit in Europa bedroht, kontinuierlich ausgebaut“, sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Dagegen müssen wir uns und unsere baltischen Partner schützen, auch durch verstärkte Abschreckung und zusätzliche Abstandswaffen“, so Baerbock. Alles andere wäre „nicht nur verantwortungslos, sondern auch naiv gegenüber einem eiskalt kalkulierenden Kreml“. Putin habe schon vor Jahren mit Abrüstungsverträgen und der gemeinsamen europäischen Friedensarchitektur gebrochen.
Leser*innenkommentare
Günter Witte
Da waren SPD Politiker wie Schmidt vor 40/50 Jahren geistig schon weiter als Mützenich heute.
Jalella
"Die angekündigte Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland sorgt zunehmend für Unruhe in der SPD."
Echt? Sonst nirgends? Bestürzend. Wegen diesem gefährlichen Schwachsinn waren wir mit Hunderttausenden in den 80er Jahren auf der Straße. Und jetzt keine Reaktion der Bevölkerung? Keine Partei, die wenigstens öffentlich darüber nachdenkt? Wo lebe ich eigentlich inzwischen?
Machiavelli
Auf Abschreckung setzten beinhaltet risiko, nicht auf Abschreckung zu setzten auch. Das Leben ist gefährlich... aber die Erfahrungen aus dem NATO deoppelbeschluss hat gezeigt das aufrüsten der erste wichtige Schritt in Richtung Abrüstung ist. Das zu verstehen erfordert halt ein komplexes Denken.
Perkele
Niemand kann ernsthaft leugnen, dass der Verhandlungsweg von allen !! direkt oder indirekt Beteiligten kaum bis gar nicht in Betracht gezogen wird. Es mag sein, dass Putin nur Scheinangebote öffentlichkeitswirksam präsentiert, doch macht irgendwer die ernsthafte Probe darauf? Gibt es irgendwo eine erkennbare Bemühung, das Problem anders als mit Waffen zu lösen? Sucht irgendwer nach einem veritablen Vermittler?
yohak yohak
Manche Leute, gerade in der SPD, haben immer noch nicht verstanden, daß die Welt von heute, mit der russischen Aggression gegen die Ukraine, anders funktioniert, als die Welt vor einem halben Jahrhundert, in der Willy Brandt mit seiner Ostpolitik Erfolge feierte.
Die Zeiten ändern sich, die Probleme ändern sich und unsere Antworten müssen sich auch entsprechend ändern.
Dirk Osygus
Hat Herr Mützenich die von der SPD mit herausgegebene „Nationale Sicherheitsstrategie“ nicht gelesen ? Da steht das doch schon alles präzise drin.
Ich habe den NATO-Doppelbeschluss und die landesweiten Proteste miterlebt. Dagegen scheint diese Nachrüstung kaum jemanden zu interessieren. Damals hat sich die Friedensbewegung gegründet und die Grünen sind entstanden.
Und heute? Nichts. Was für eine Veränderung.
Martin Rees
"Die Waffensysteme, die nun neu stationiert werden sollen, hätten eine sehr kurze Vorwarnzeit und eröffneten neue technologische Fähigkeiten. „Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich“, warnte Mützenich."
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Adressiert wird hier doch eine implizite "Erstschlags-Kapazität", ob real oder unterstellt, die keine diplomatischen Interventionsmöglichkeiten mehr lässt, wenn die Sicherungen versagen oder durchgebrannt sind.
Und erst kürzlich wurde uns vom Verteidigungsminister mit Medienbegleitung präsentiert, wie wichtig der Weltraum für unsere Verteidigung sei.
"Star Wars", kannte schon Ronald Reagan.*
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Offensichtlich ist das Thema schon länger virulent ❗
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www.ippnw.de/fried...neue-aera-des.html
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www.deutschlandfun...-us-armee-100.html
Ernie
Es gibt sie noch, die Menschen die erst nachdenken, recherchieren und dann erst handeln. Ein Mützenich in der SPD ist leider nicht viel.
Janix
Wir brauchen beides, wie schon in den 1980ern.
Klare Zeichen und Handlungen, dass hier gegengehalten wird, gegen Putins Aufrüstung, gegen Überfälle auf Nachbarn.
Und dabei doch _keine Dämonisierung "ewiger Feinde", "des" Russen, ... _Kein "Dem zeige ich es, egal wie", sondern nüchtern Putins Spiele durchkreuzen und den nächsten Versuch beginnen, danach eine Friedensordnung aufzubauen.
Friedensansätze laut zu denken, signalisiert Menschen und Mächtigen in Putins Russland auch, dass sie einen Wandel jederzeit einleiten könnten, ohne selbst an der Wand zu enden.