Kritik an Olympia-Eröffnungsfeier: Opulentes Diversitätsspektakel

Die katholische Kirche und Viktor Orbán kritisieren die Pariser Eröffnungsfeier. Das ist verständlich. Denn die ergreifende Show feierte die Vielfalt.

Der beleuchtete Eiffelturm in Paris während der Olympia-Eröffnungsfeier

Eröffnungs­zeremonien Olympischer Spiele sind monströse Versprechens­anordnungen Foto: Martin Divisek/epa

Man schaue sich nur an, wer sich da empört: Aus dem Vatikan gab ein Geistlicher zu verstehen, er habe in der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele am Freitagabend in Paris nur eine „blasphemische Verhöhnung“ erkannt; ein Bischof aus Passau interpretierte den Teil, in dem auf einer Seinebrücke Menschen aus der Pariser Kultur- und Kunstszene das „Abendmahl“ Leonardo da Vincis in Moves & Motions in Szene setzten, bunt, grell, freundlich und mit Verve, als „queeres Abendmahl“ – was ein zutreffender Befund ist, aber missfallend gemeint war.

Die französische Bischofskonferenz meinte, „die Zeremonie habe leider auch Szenen enthalten, in denen das Christentum verspottet“ wurde. Aus Moskau kam ähnliche Kritik am vierstündigen Fest in Paris, eine Außenamtssprecherin monierte, dass die „Apostel durch Transvestiten“ dargestellt worden seien; Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán meinte bei einer Rede in Rumänien, in Paris habe eine „Entledigung“ der „metaphysischen Bindungen an Gott, das Vaterland und die Familie“ stattgefunden.

Wenn eine solche Allianz aus rasend religiöser Modernekritik und autokratischer Verachtung für ein solches Diversitätsspektakel durch die üblichen Verdächtigen so einmütig zusammenfindet, dann muss beim anlassgebenden Projekt einiges richtig in Szene gesetzt worden sein: Die Eröffnungsfeier war opulent, ergreifend und auch ­kitschig – besonders die Schlussnummer mit der kanadischen Sängerin Céline Dion, die vom mittleren Plateau des Eiffelturms Édith Piafs Klassiker „L’hymne à l’amour“ schmetterte. Die Liebe, so versteht es Paris, sei das Motto dieser Spiele, Respekt und Wertschätzung.

Eröffnungszeremonien Olympischer Spiele sind ja nie als Analysen zum korrekten Lauf der Zeit (Rassismus, Diversität, Gendergleichberechtigung etc.) zu lesen, sondern als monströse Versprechensanordnungen, als Ideal für das, was man zu sein beabsichtigt: So will man als veranstaltendes Land gesehen werden. München 1972 als ­antinazistisch gewordenes Deutschland, Los ­Angeles 1984 als „Star Wars“-Techniklustverheißung, Peking 2008 als mächtige Ausstellung eines früheren ­Entwicklungslandes und heutigen Anspruchs, ein Global Big Player zu sein. Und Paris? Ein Land, das bei den jüngsten Wahlen keine rechts­radikalen Sieger sehen wollte. Im Gegenteil.

Weniger heilig, egalitärer als sonst

Die Sommerspiele sollten nicht in einem Stadion beginnen, sondern in der Stadt selbst, an der Seine, die Gästenationen auf Schiffen einlaufend. Dazwischen Kulturprogramm: Lady Gaga mit einer Revuenummer Zizi Jeanmaires, an den Mauern eines historischen Gebäudes die Heavy-Metal-Band Gojira mit köstlichem Lärm, dazu wie in einer grotesken Verbeugung vor den historischen Leistungen der Französischen Revolution die geköpfte Marie Antoinette als lustigen Pop-Clip darbietend.

Dann die Beyoncé Frankreichs, die aus Mali stammende Sängerin Aya Nakamura, Pop-Heroine der Pariser Vorstädte, die in ihrer Performance Charles Aznavours „For Me, Formidable“ zitierte und am Ende von der Garde républicaine umringt wurde, die Gardisten mitgroovend. Schließlich die Entzündung der olympischen Flammenschale, bei der zwei Sportlerinnen* Frankreichs ihre Fackeln in einen Ring der mit dem Feuer aufsteigenden Montgolfière tauchten: die Leichtathletin ­Marie-José Pérec und der Judoka Teddy Riner.

Nicht zu vergessen die formelle Zeremonie mit dem Eröffnungssatz des Präsidenten Emmanuel Macron, die durchaus launige Rede des Paris-2024-Projektleiters Tony Estanguet, selbst Goldmedaillengewinner im Wildwasserkanu – vor allem die Stadt, das Land, die sportlichen Gäste hervorhebend. Es sah eben nicht so heilig wie in einem Stadion aus, vielmehr irgendwie egalitärer als sonst: Ist für Sportler für die ganze Welt gemacht, nicht für die Big Money Asses of the World.

Ach ja, es hat geregnet. Und wie! Man sah Regenponchos, viele. Hat fast niemanden gestört. Die deutsche Delegation mit den Fahnentragenden, der Judoka Anna-Maria Wagner und dem Basketballer Denis Schröder, ging irgendwie in ihrem Pulk schon auf einem der ersten Schiffe auf der Seine unter. Lag es vielleicht daran, dass sie alle wie eine Kegelgemeinschaft auf dem Weg zum Pauschalcluburlaub aussahen – keinen Pfiff im Look, keine Moves, kein freudiges Geschrei?

Die Pariser Olympiaeröffnung bot ein Monument an Schönheit, mit Witz und Kuriosität. Das war so gewollt, das war die Idee: dem Völkischen keinen Fußbreit, mit Stolz auf alle, die das Leben in Frankreich ausmachen. Horroridee beim Gucken: Hamburg hätte sich ja fast auch beworben für diese Spiele. Das Volk wollte nicht. Die Welt zu Gast – das ist nichts für Deutsche. Ist auch gut so. Was hätte man auch bieten wollen – in aller deutschen Provinzialität? Schlepperballett mit Feuerwerk auf der Elbe? Mon dieu, non!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben