Trump holt Vance als Vizekandidaten: Volksnah, skrupellos und eloquent

Mit J. D. Vance holt Trump die Working-Class-Version seiner selbst ins Boot. Er soll den Trumpismus weitertragen – ist aber auch eine Chance für die Demokraten.

Ex-Präsident Trump mit Politiker Vance.

Präsidentschaftskandidat Trump (links) mit seinem Vizepräsidentschaftskandidaten Vance beim Parteitag der Republikaner am 15. Juli Foto: Nam Y. Huh/ap

Jetzt also J. D. Vance. Der 39-Jährige, der gerade erst 2022 mit seiner Wahl zum Senator in Ohio in die Politik eingestiegen ist, soll Vizepräsident der USA werden – jedenfalls wenn es nach Donald Trump geht. Dass Trump ihn und nicht einen der gestandeneren republikanischen Politiker, die auf der Shortlist waren, zum „Running Mate“ macht, zeigt vor allem eins: Trump ist sich ganz sicher, dass er innerhalb der Republikanischen Partei keine Kompromisse mehr machen muss. Der nicht-trumpistische Flügel der Partei ist tot, sagt diese Nominierung – und vermutlich hat Trump damit recht.

Mehr noch: Auch nach außen bringt J. D. Vance, abgesehen von seinem jungen Alter, nichts zum Präsidentschaftsticket dazu, was Trump nicht selbst hätte. Vance spricht genau jene Wäh­le­r*in­nen­grup­pen an, die Trump schon 2016 in den heruntergekommenen Staaten des früheren Industriegürtels, dem sogenannten Rust Belt, den Sieg beschert haben. Jene, die einst unerschütterlich zum Demokratischen Lager zählten, heute aber zum Kern der MAGA-Bewegung zählen, also Trumps Make-America-Great-Again-Bewegung, die die alte Republikanische Partei übernommen hat.

Im Unterschied zu Trump spricht Vance diese Wäh­le­r*in­nen authentisch an: Denn wie er 2016 in seinem viel beachteten Erinnerungsbuch „Hillbilly Elegy“ überaus eloquent erzählte, kommt er aus genau jenen Verhältnissen. Vance erzählt auf der Bühne von der Drogensucht seiner Mutter und von seiner robusten Großmutter, die ihm als erstem aus seiner Working-Class-Familie das Studium ermöglichte. Wenn der Milliardär Trump nur behauptet, für die einfachen Leute zu stehen, kann Vance überzeugend sagen: Ich bin einer von euch, ich kenne eure Lage, eure Sorgen, eure Nöte.

Die Republikaner setzen alles auf MAGA-Rot

Nur: Normalerweise soll die Besetzung des Running Mates Schwächen des Präsidentschaftskandidaten ausgleichen. Etwa bei Biden: Deutlich jüngere Schwarze Frau ergänzt alten weißen Mann. Oder bei Trump 2016: Evangelikaler Traditionsrepublikaner Mike Pence ergänzt unorthodoxen New Yorker Quereinsteiger Trump.

Aber Trump braucht Vance nicht, um die Wahl zu gewinnen. Vance’ Ernennung hat andere Gründe: Der unumstrittene Anführer ergänzt sein Ticket durch einen Protegé, der seine politische Karriere durch 200-prozentige Trump-Loyalität in Fahrt gebracht hat.

Trump hat nur eine offenkundige Vulnerabilität: Wählerinnen, die über die Abschaffung des Abtreibungsrechts wütend sind. Aber dafür hätte er keine Kandidatinnen gehabt. Bekannte Republikanerinnen wie Liz Cheney oder Lisa Murkowski sind Trump-Gegnerinnen; Nikki Haley, die ihm nach ihrer Vorwahlniederlage inzwischen die Loyalität schwört, bleibt ihm suspekt und ist in der wichtigen Abtreibungsfrage konservativer als er selbst. Und die vollkommen durchgeknallte Verschwörungstheoretikerin Marjorie Taylor Greene wäre sogar für Trump als Running Mate toxisch.

Und so geht es bei der Auswahl von J. D. Vance eigentlich um etwas anderes, wie die meisten US-Medien wohl zu Recht analysieren: Es geht um den nächsten Fackelträger der MAGA-Bewegung, wenn Trump 2028 nicht mehr kandidieren kann und dann auch schon 82 Jahre alt ist.

Vance ist eine dornige Chance für die Demokraten

Für die De­mo­kra­t*in­nen ist Vance eine Gefahr, wenn sie für einen erneuten Wahlsieg auf Staaten wie Wisconsin, Michigan, Pennsylvania bauen und die Idee haben, die working class zurückzuholen. Da ist Vance biografisch und rhetorisch stark – und dass er 2016/17 eine Fake-Charity in Ohio aufbaute, die sich auf die Fahne schrieb, Drogensüchtigen zu helfen, aber letztlich keinen Cent für diesen Zweck ausgab, sondern lediglich Vance’ Image aufpolierte, hat als Argument schon bei der Senatswahl nicht funktioniert. Auch das hat Vance mit Trump gemein: ungestrafte Skrupellosigkeit, wenn auch mit höherem intellektuellen Niveau.

Vance hat erklärt, dass er 2021 als Vizepräsident getan hätte, was Mike Pence verweigerte: Trumps Wahlfälschung durchsetzen

Dennoch ist Vance für die De­mo­kra­t*in­nen ein Geschenk – wenn sie ihren Wahlkampf auf die Message konzentrieren, der autoritäre Durchmarsch antidemokratischer Kräfte müsse verhindert werden. Vance ist ein Produkt des Trumpismus, und er selbst hat erklärt, dass er 2021 als Vizepräsident getan hätte, was Mike Pence verweigerte: Trumps Wahlfälschung im Kongress durchsetzen. Wenn die De­mo­kra­t*in­nen diese Gefahr in die Köpfe hämmern, haben sie Chancen. Vance' Nominierung könnte in diesem Fall sogar helfen.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

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