piwik no script img

Mahnmal für ermordete Sinti und RomaDie Aushöhlung des Gedenkens

Unter dem Mahnmal des Porajmos in Berlin ist ein S-Bahn-Tunnel geplant. Hinterbliebene fürchten um das Gedenken. Doch Senat und Bahn wiegeln ab.

Erschütterungen durch durchfahrende S-Bahnen könnten das Mahnmal beschädigen Foto: Jungeblodt

Berlin taz | Die Organisation Romatrial bezeichnet die Vorgänge, mit denen sie aktuell im Berliner Tiergarten konfrontiert ist, als ein „skandalöses Versagen“ der Gedenkkultur in Deutschland. In einem offenen Brief protestiert die Selbstorganisation von Roma und Sinti gegen den Bau eines S-Bahn-Tunnels, der ihrer Auffassung nach ein dortiges Mahnmal „massiv beschädigen“ würde.

„Die Pläne offenbaren einen noch verheerenderen Eingriff in das Denkmal der ermordeten Sinti und Roma Europas als zuvor angenommen“, heißt es in dem Schreiben, das am Mittwoch fast 160 Menschen unterzeichnet hatten. Die Deutsche Bahn und die Berliner Senatsverwaltung für Verkehr bekräftigen angesichts der Vorwürfe, alles dafür tun zu wollen, die Einschränkungen durch den Bau so gering wie möglich zu halten, wollen aber an dem Vorhaben festhalten.

Die Bahn will in Berlin eine neue Strecke bauen, mit der mittelfristig eine zweite Nord-Süd-Verbindung im Stadtgebiet entstehen soll. Mit ihrem offenen Brief protestiert die Organisation Romatrial gegen das Planfeststellungsverfahren und die Baupläne im Tiergarten. „Wir fordern eine alternative Trassenführung für den Bau der S21, die den Gedenkort unbeschadet lässt“, heißt es.

Störung des Gedenkens

Die Unterzeichnenden kritisieren, dass der geplante S-Bahn-Tunnel nur einen Meter unter dem Denkmal entlangführe. Damit würden Erschütterungen durch durchfahrende S-Bahnen spürbar, dies würde das stille Gedenken an dem Ort massiv stören. Zudem würde das Gesamtensemble des Mahnmals „irreversibel beschädigt“, weil wegen des geplanten Tunnels die umliegenden Bäume gefällt werden müssten und die neuen Pflanzen wegen der Unterhöhlung nicht dieselbe Höhe erreichen würden.

Das Denkmal befindet sich an einer unscheinbaren Stelle am äußeren Rand des Tiergartens. Ein schmales Tor in einer Wand aus Milchglasplatten führt auf das Gelände. Dort steht, umringt von Informationstafeln, ein runder Brunnen, in dessen Mitte liegt eine frische Blume auf einem dreieckigen Stein – sie wird jeden Tag erneuert. Konzipiert ist das Mahnmal von dem verstorbenen israelischen Künstler Dani Karavan.

Schätzungsweise eine halbe Million Sinti und Roma – Männer, Frauen und Kinder – ermordeten die Nationalsozialisten bis 1945. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen ist der Porajmos (Romanes für „das Verschlingen“), der Völkermord an den Sinti und Roma, aber wenig verankert.

Bahn und Senat versuchen zu besänftigen

„Es sind sich alle bewusst, um was für einen Ort es sich handelt“, sagte eine Senatssprecherin gegenüber der taz. Die Planungen seien abgeschlossen, doch die Bahn müsse noch weitere Auflagen erfüllen. Das Unternehmen müsse für die Umsetzung der Bauarbeiten ein „freiraumplanerisches Konzept“ vorlegen, mit dem sie darlege, wie sie die Auswirkungen der Bauarbeiten so gering wie möglich halten wolle.

Die Sprecherin wies außerdem den Vorwurf zurück, dass es durch den Tunnelbau oder den Bahnbetrieb zu Erschütterungen an dem Mahnmal käme. Ein Bahn-Sprecher erklärte gegenüber der taz, dass der „maximale Schutz des Denkmals“ im Planungsprozess „eine Schlüsselrolle“ einnehme.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Naja, die Stille wird an diesem Ort ohnehin schon von der angrenzenden Straße und dem sehr belebten Weg zum Reichstag gestört...

    Davon abgesehen, ist eine andere Trassenführung vermutlich tatsächlich kaum zu realisieren, weil nebenan nun einmal der Reichstag und die anderen Parlamentsbauten stehen und es ja auch schon eine S-Bahn-Röhre gibt.

    • @Suryo:

      Die nächstliegende Straße ist 40 Meter entfernt, und das Gelände durch Bepflanzung mit Bäumen und Büschen eingefasst. Zum offensichtlichen Schwachpunkt erhöht sich das Gelände auch bzw. ist da eine Wand. Wie viel Verkehrslärm da wirklich zu hören ist, ist da mal eine Frage. Denke sie Spekulieren hier eher, die Problematik des Verkehrslärms wird/dürfte beim Bau der Gedenkstelle ja auch bedacht worden sein.

      Und es geht ja auch noch um mögliche Erschütterungen, das ist/wäre auch nochmal was anderes als nur Geräusche. Wie viel die Zurückweisung des Erschütterungsphänomens durch die Sprecherin des Senats wert ist, würde man später ja sehen, gleiches gilt für die Aussage des Bahn Sprechers. Das kann man dennoch auch als Standard Beschwichtigungen auffassen.

      Wer will kann ja nochmal einen Älteren Artikel dazu lesen taz.de/Angriff-auf-Gedenken/!5969451/. Da gibt es die Einschätzung der für die Gedenkstelle zuständige Historikerin:



      „Fest stand nur, dass die S-Bahn-Trasse nicht zu nah am Reichstag oder am Holocaust-Mahnmal entlangführen sollte. Das Roma-Denkmal sei dagegen als vernachlässigbare Größe behandelt worden – und im Grunde gelte das bis heute.“

  • Bin gespannt wer sich noch alles aus welchen Gründen meldet, um den Ausbau einer nachhaltigen Infrastruktur aufzuhalten. Mein Vorschlag wäre es eine Zusage zu geben, die besagt, dass wenn es zu starken, Schäden/Beeinträchtigungen kommt, als Kompensation eine doppelt so große Stätte hergerichtet wird.

    • @Tepan:

      Ich sehe überhaupt nicht wie dass Gedenken aushölt Nein .



      Es versachlicht das Gedenken selbst wen man ein Mahnmal zerstört und es mit einem anderen ersetzt zeigt es das Mahnmale ersetzbar sind und das Gedenken wertlos.



      Denk mal über den selben Fall mit einem Holocaust Mahnmal nach würdestdu dem zustimmen.



      Oder machen wir es noch absurder um das zu verdeutlichen .



      Würdest du ein Kind töten damit zwei neue geboren werden?



      Nein , weil das Kinder ersetztbar machen würde und Grausamkeit zeigt.



      Den das ist der Punkt manches darf nicht ersetzt werden ohne das man seine eigene Grausamkeit zeigt.

  • Erst planen, dann reden wirkt natürlich nicht sehr vertrauenerweckend. Warum nicht die Betroffenen von vornherein mit einbeziehen?

    Wenn ich Solarzellen auf mein Dach machen will, dann red' ich doch auch erst mit meinen Nachbar*innen, dann mit meiner Architektin.

    • @tomás zerolo:

      Die Planungen für die S-Bahn-Trasse sind tatsächlich älter als die für das Mahnmal. Den ersten Vorschlag dafür gab es schon 1917.

      • @Suryo:

        Laut Bahn gab es schon 15 Varianten für die S21, und diese auch mit Untervarianten. Die Frage wäre, wie man genau zu dem jetzigen Ergebnis gekommen ist. Auf die schnelle kann ich das jetzt aber auch nicht recherchieren. Es geht ja nicht darum, die Aussagen von Bahn und Senat einfach unkritisch zu übernehmen, diese gehören vielmehr kritisch auf Stichhaltigkeit überprüft.

        Die zentrale Frage wäre ob in dieser Variante z.b. die Westumgehung des Reichstags hätte anders gestaltet werden können, bzw. wie die Alternativen des Abschnitts zwischen Hauptbahnhof und, grob gesehen südlich, des Brandenburger Tors aussahen/aussehen.



        Und ob man jetzt nicht evtl. doch primär nach finanziellen Aspekten Entschieden hat, da würde sich dann schon eine unschöne Ignoranz gegenüber den Opfergruppen der Gedenkstelle zeigen.

  • Beides: natürlich hätte man da einbinden können und Respekt aufweisen. Die Überlebenswahrscheinlichkeit europäischer Sinti und Juden gaben sich wenig, und beide Male aus "rassischen" Gründen.



    Gleichzeitig muss die U-Bahn (oder der geheime Tunnel zum Bunker) nun einmal irgendwo gebaut werden. ich fände Erschütterungen, die die scheinbare Ruhe der Fläche fragil erscheinen lassen, ansonsten eine leider passende Erweiterung.



    Auch heute werden die Hemden und Kinder reingeholt, haben Sinti und Roma weniger Chancen oder wird von Abschiebungen innerhalb der EU fantasiert. Da kräuselt sich einiges.

    • @Janix:

      Eine Korrektur kleine : Sinti und Roma hatten unter den Nazis eine noch geringere Überlebenswarscheinlichkeit als Juden.