Perspektiven für die Demokraten: Einzige Chance: Angriff
Die Situation der Demokraten ist nicht aussichtslos, denn Trumps Programm ist angreifbar. Aber dafür müssen sie das Ruder herumreißen – und zwar jetzt.
E s gibt in US-Wahljahren immer den Spruch, ein paar Wochen seien eine Ewigkeit, alles könne passieren. In diesem Jahr ist das die einzige Hoffnung der Demokrat*innen. 16 Wochen sind es noch bis zum Wahltermin am 5. November, schon im September beginnt in einigen Bundesstaaten das Early Voting, und Stand jetzt werden Donald Trump und seine Republikaner*innen einen fulminanten Sieg einfahren mit guten Chancen, das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses zu kontrollieren.
Das Drama seit der katastrophalen TV-Debatte Ende Juni – auch diese drei Wochen fühlen sich an wie eine Ewigkeit – hat die Perspektive der Demokrat*innen von „schwierig“ zu „aussichtslos“ verändert. Ob sie eine Chance haben, wenn sie jetzt das Ruder herumreißen, ist offen. Aber wenn sie es nicht tun, ist die Niederlage garantiert.
Zum Zeitpunkt, da dieser Text entsteht – einen Tag nach dem Ende des republikanischen Nominierungsparteitags in Milwaukee –, sieht alles danach aus, als sei es nur noch eine Frage von wenigen Tagen, bis Joe Biden so weit ist, die erneute Kandidatur aufzugeben. Das ist die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für eine Wende.
Denn während die Republikaner*innen auf einem strategisch klug choreografierten und sehr stolperfreien Parteitag glaubhaft Energie und Einheit hinter ihrem Kandidatenduo und ihren Kernbotschaften ausstrahlten, müssten die Demokrat*innen so etwas bis zu ihrer eigenen Convention in einem Monat erst einmal hinbekommen. Mit Biden ist das unmöglich. Und dafür, wie es ohne ihn zu schaffen ist, gibt es keine Blaupause, keine historischen Vorbilder. Manchmal sind ein paar Wochen denn doch keine Ewigkeit.
Zumal die Partei ja nicht nur über die altersbedingten Ausfälle Joe Bidens verzweifelt und gespalten ist.
Den linken Flügel mobilisieren
Der Schlüssel zum Wahlsieg 2020 war es, anders als 2016 den progressiven Flügel der potenziellen Wähler*innenschaft an die Wahlurne zu bringen. Der linke Senator Bernie Sanders, Idol der progressiven Bewegung, der 2016 gegen Hillary Clinton und 2020 gegen Joe Biden die Vorwahlen verloren hatte, sorgte damals entschieden mit dafür, dass seine Anhänger*innen nicht wie 2016 zu Hause blieben.
Heute spaltet Joe Bidens Haltung zum Gazakrieg den progressiven Flügel: Nicht nur die an den Unis protestierenden jungen Linken können sich nicht vorstellen, ihre Stimme einem „Völkermörder“ zu geben. Auch große Teile der arabischstämmigen Wähler*innen in wichtigen Staaten wie Michigan winken wütend ab.
Bidens Versuche, Israel gleichzeitig zu unterstützen und zu ermahnen, überzeugen sie nicht – nicht einmal in dem Wissen, dass sie so zu einer zweiten Präsidentschaft Donald Trumps beitragen, der schon in seinen ersten vier Jahren alle Siedlungs- und Annexionspläne der rechten Netanjahu-Regierung enthusiastisch unterstützte. Dass die wahrscheinlichste Ersatzkandidatin, Vizepräsidentin Kamala Harris, in der Gazafrage eine andere Position vertreten würde, ist nicht bekannt.
Und wer die Rede des frischgekürten republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten J. D. Vance aufmerksam verfolgt hat, wird darin vieles von der Beschreibung der Situation der Working Class in den einstigen Industriehochburgen der USA wiederfinden, die Bernie Sanders der demokratischen Führung seit Jahren vergeblich nahezulegen versucht: Wenn ihr den Leuten sagt, der Wirtschaft ginge es großartig, die Menschen aber nicht mal wissen, wie sie ihre Miete, Zinsen, Lebensmittel und Benzin bezahlen sollen, glauben sie euch nicht. Ob die Gegenseite überzeugende Lösungsvorschläge hat – hat sie nicht –, wird da zweitrangig.
Personalrochade und Angriff
So bleibt den Demokrat*innen die Hoffnung, mit neuem Spitzenpersonal die Debatte davon wegzuführen, dass der eigene Kandidat kaum eine Gangway hinauf- oder hinabsteigen kann, ohne, dass man sich Sorgen um ihn macht und sich ohne Teleprompter nicht einmal an den Namen seines eigenen Verteidigungsministers erinnert.
In einem zweiten Schritt müssen sie dann zum Angriff übergehen. Denn bei aller Kreide, die die Republikaner*innen bei ihrem Parteitag unmittelbar nach dem Attentat auf Trump gefressen hatten, ist ja tatsächlich alles wahr, was die Demokrat*innen über Trumps Pläne und das von der rechten Heritage Foundation ausgearbeitete „Project 2025“ sagen:
Es ist ein Plan für einen Autoritätsstaat ohne rechtsstaatliche Leitplanken, mit einem Geschlechterbild aus den 1950er-Jahren, einer Abkehr von jeglichem Umwelt- oder Klimaschutz, Multilateralismus und dem Grundrecht auf Asyl, um nur die gravierendsten Punkte zu nennen. Eine demokratische Partei, die das ernst nimmt, muss jetzt endlich handeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen