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Debatte um GrenzkontrollenKaum zu stemmender Kraftakt

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

3.800 Kilometer rund um die Uhr zu kontrollieren, sprengt die Kräfte der deutschen Polizei. Der Kampf muss sich auf die Hintermänner konzentrieren.

Intensivierte Kontrollen während der Fußball-Europameisterschaft – hier an der deutsch-belgischen Grenze

E s klingt nach einer guten Bilanz. Rund 150 Schleuser wurden seit Einführung der temporären deutschen Grenzkontrollen für die EM bis Ende Juni vorläufig festgenommen, 600 offene Haftbefehle vollstreckt, 3.200 „unerlaubte Einreisen“ verhindert. Die Forderung von Union und FDP, die Grenzkontrollen zu verlängern, kommt daher wenig überraschend. Nur: Das Instrument bleibt weiter vor allem Symbolpolitik.

Denn gemessen an dem Kraftakt, den die jüngsten Kontrollen bedeuten, relativieren sich die Zahlen. 22.000 Beamte allein der Bundespolizei waren zur EM eingesetzt. Jeden Tag. Auf Dauer ließe sich so ein solcher Kraftakt personell gar nicht stemmen. Das sagt die Polizei, die ihre Leute anderweitig „dringend braucht“, selbst. Und auch mit den zuletzt eingerichteten wenigen Dutzend Kontrollstellen kann die 3.800 Kilometer lange deutsche Grenze nur punktuell überwacht werden.

Und Migration drosseln, wie es sich FDP und Union erhoffen, wird das auch nicht. Wer die Grenze erreicht und einen Asylantrag stellen will, darf einreisen, so ist die Rechtslage. Und auch Schleuser werden sich von den Kontrollen nicht abhalten lassen, sondern andere Wege zur Einreise suchen. Grenzkontrollen werden hier allenfalls die letzten Glieder der Netzwerke treffen. Viel entscheidender wäre es, die Hinterleute zu ermitteln.

Außerdem ist es nicht so, dass die Grenzen demnächst wieder völlig unkontrolliert wären: Die Kontrollen zu Polen, Österreich, Tschechien und zur Schweiz bleiben vorerst. Auch die Schleierfahndung, mit der die Polizei hinter der Grenze Kriminelle stoppen kann, gibt es weiter. Natürlich wissen all das auch Union und FDP. Beide Parteien zielen mal wieder auf politische Profilierung beim Lieblingsthema Migration.

Dabei gerät einmal mehr ins Hintertreffen, dass die Freizügigkeit eine der Grundpfeiler der Europäischen Union ist, ja eine ihrer größten Errungenschaften. Damit sollte man nicht leichtfertig politische Spielchen betreiben.

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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10 Kommentare

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  • Von anderen fordern was man selbst abgeschafft hat.

    Söder und Konsorten...

  • Diese Idee ist ein Witz. A) Das bringt nicht viel B) Es gibt Verträge für die offenen Grenzen und C) Wenigstens Kriminelle und Schleuser werden sich dann eben darauf einstellen.

    Der eigentliche Punkt ist aber, dass die Politik in WIrklichkeit das Thema Irreguläre Migration nicht für so bedeutsam hält, wie es in der Debatte erscheint. Natürlich kann man auch Schengen rückgängig machen und Grenzen sichern, das wäre sehr teuer und es würde unter bestimmten Umständen auch nichts bringen. Das Problem liegt in der EU: Es gibt genug EU-Staaten, die Flüchtlinge schlecht behandeln, die ein Recht aus Asyl und Schutz sabotieren und damit Migranten anspornen, dorthin zu gehen, wo sie Schutz und Perspektive finden. Mit Grenzzäunen und Grenzschutz kann ich dieses Problem aber nicht lösen. Wenn es überhaupt ein Problem von solcher Tragweite überhaupt ist.

  • KI wird erforscht, George Orwell lässt grüßen:



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    www.mdr.de/wissen/...ndetektor-100.html

  • Können die Junge-Union-Burschis nicht alle statt ihrer Hinterzimmerspielchen produktiv zur Polizei und zum Zoll?

    Denn in der Tat haben wir die Beamten nicht so sehr für die Befindlichkeiten von Bild-Beeinflussten nötig, als für echte Verbrechensbekämpfung und -prävention.

    Wer breite Akzeptanz für seine Politik will, fängt am besten damit an, bei Banken und Bonzen auch rechtstaatlichen Verhalten zu erzwingen. Der Hebel ist am größten, finanziell.

    • @Janix:

      Aber genau darin sehe ich die Strategie: Oben-Unten-Konflikte verschleiern und den Fokus auf kulturell oder gar ethnisch aufgeladene "wir gegen die von außerhalb"-Themen lenken.

      Die Banken und Bonzen sind doch die Leistungsträger der Gesellschaft, die darf man doch nicht schröpfen 😉

    • @Janix:

      Um Gött:In Willen! Da sind schon genug Einzelfälle, die brauchen nicht noch mehr.

  • EU-Recht vor nationalem Recht. So ist es und so soll es bleiben. Schengen ist das Beste, dass Europa je passiert ist. Für Frieden zwischen Frankreich und Deutschland und all den anderen EU-Staaten und für Freiheit.

    • @Cervo:

      EU-Recht vor nationalen Recht, dann muss aber auch das Dublin Abkommen strikt eingehalten werden.

  • Wieso soll das die Kräfte der Polizei sprengen? Das ging ja früher auch.

  • Wenn die Regierung die Grenzen nicht schützt kommen die Faschisten an die Macht. Ich sehe das nicht als politisches Spielchen sondern es geht darum den Sieg der Afd zu verhindern. Und das will die taz doch oder ?