Proteste gegen AfD-Bundesparteitag: 70.000 gegen die extrem Rechten

In Essen demonstrieren weit mehr Menschen gegen die AfD, als diese Mitglieder hat. Bei ihrem Bundesparteitag herrscht dennoch Disziplin.

Große Menschenmenge, LKW mit Bühne

Bass gegen Hass Foto: M. Golejewski/Adora

ESSEN taz | Mehr als 70.000 Menschen aus über 50 Städten haben nach Angaben des Protest-Bündnisses „Gemeinsam laut“ am Samstag in Essen gegen die in Teilen rechtsextreme AfD protestiert. Allein an der Hauptdemo, die am Hauptbahnhof startete und deren Spitze gegen 11.45 Uhr die etwa drei Kilometer entfernte Grugahalle erreichte, in der die extrem rechte Partei an diesem Wochenende ihren Bundesparteitag abhält, zählte nach Schätzung der Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen mehr als 50.000 Protestierende.

Schon am frühen Morgen hatten bis zu 7.000 Menschen versucht, mit Kundgebungen und Sitzblockaden den Ablauf des AfD-Treffens zu stören. Sie folgten damit dem Bündnis „Widersetzen“, das dazu aufgerufen hatte, den Parteitag zu verhindern. Zuvor hatten schon am Freitagabend weitere 7.000 Leute mit einer Rave-Demo absolut friedlich gegen die extrem Rechten protestiert.

„Am Wochenende demonstrieren mehr Menschen lautstark gegen die AfD, als die Partei Mitglieder hat“, freute sich Linda Kastrup, eine der Spre­che­r:in­nen von „Gemeinsam Laut“ – Anfang 2024 zählte die Partei davon wohl rund 41.000. Die AfD sei mitten im seit Jahrhunderten migrantisch geprägten Ruhrgebiet „ganz klar nicht willkommen“, erklärte Kastrup: „Gemeinsam stehen wir für eine weltoffene und demokratische Gesellschaft“, sagte sie mit Blick auf das bunte Spektrum der Protestierenden.

Denn allein der Protestaufruf von „Gemeinsam Laut“ wurde von knapp 400 Organisationen und mehr als 4.000 Einzelpersonen unterstützt – über verschiedenste Jugendorganisationen von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) bis zu den Pfadfindern, von den „Omas gegen rechts“ bis zu kirchlichen Gruppen, von Parteien von der marxistisch-leninistischen MLPD bis zu Volt, Grünen und der SPD.

Ausgelassen war die Stimmung bei dem Protestzug. Der Sänger der Skatepunk-Band „ZSK“ stieg auf das Dach des LKW, der den Zug anführen sollte, und spielte ein kurzes Konzert. Auch um kurz vor elf Uhr ging der Zug am Hauptbahnhof noch nicht offiziell los, weil immer noch mehr Menschen dazu stießen. Ganz vorne läuft Indra Hill mit. Die Gelsenkirchenerin war im Frühjahr zum ersten Mal bei einer Demo gegen die AfD dabei. Jetzt ist sie nach Essen gekommen, um weiterzumachen. „Die Ergebnisse der Europawahl waren katastrophal“, sagt sie. „Wir dürfen nicht aufhören, gegen die Faschisten zu sein.“

Evonik-Chef Kullmann warnt vor „Wohlstandsverlusten“

Teenager waren bei der Demo ebenso dabei wie Familien mit kleinen Kindern und grauhaarigen Älteren, Antifa-Aktivist:innen liefen neben Ge­werk­schaf­te­r:in­nen etwa von Ver.di und der GEW. „Gesicht zeigen gegen Hass und Hetze“ stand auf dem straßenbreiten Front-Banner der Demo. Protestierende hielten selbstgemachte Plakate mit Aufschriften wie „Rote Karte für die AfD“, „Björn Höcke ist ein Nazi“ oder „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“ hoch – und zogen an der Grugahalle vorbei auf den nahegelegenen Messeparkplatz P2.

Dort wartete ein „Markt der Möglichkeiten“, auf dem mehr als 60 Organisationen, Parteien und Initiativen Infos und Alternativen zur rechten AfD-Ideologie vorstellten. Auf der Hauptbühne dort warnten nicht nur Essens CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen und die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich, vor der AfD. Auch Christian Kullmann, Vorstandschef des in der Reviermetropole ansässigen Chemiekonzerns Evonik, kritisierte wie schon seit Wochen, durch die nationalistische Politik der extrem Rechten drohten „massive Wohlstandsverluste“.

Die Proteste zeigten, dass Essen und das ganze Ruhrgebiet „weltoffen, tolerant und bunt“ seien, erklärte Rathauschef Kufen – und rief zur Verteidigung von „Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ auf. „Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte“, rief er mit Blick auf die Machtergreifung der Nazis 1933: „Nie wieder ist jetzt“. Gleichzeitig dankte der Christdemokrat den tausenden eingesetzten Po­li­zis­t:in­nen – auch die schützten die Demokratie.

Gerade gegenüber den Ak­ti­vis­t:in­nen von „Widersetzen“ ging die Polizei aber mit Härte vor. Während Demonstrierende Zufahrtsstraßen und U-Bahn-Aufgänge blockierten, um sich AfD-Delegierten auf ihrem Weg zum Parteitag in den Weg zu stellen, setzten die Be­am­t:in­nen nach Angaben der Pressestelle des Polizeipräsidiums Essen „Pfefferspray, Schlagstöcke und unmittelbaren Zwang ein“.

Es sei zu „gewalttätigen Störaktionen gekommen. Störer haben Einsatzkräfte angegriffen und versucht, Sperrstellen zu durchbrechen“, so die Polizei in einer Mitteilung. Dabei seien elf Be­am­t:in­nen verletzt worden, außerdem habe es „mehrere Festnahmen gegeben.“ Eine Sprecherin von Widersetzen berichtete am Samstagabend gegenüber der taz von 20 Festnahmen durch die Polizei. Diese wollte die Zahlen zunächst nicht bestätigen.

Gleichzeitig bestätigte der AfD-Delegierte Stefan Hrdy, Chef des AfD-Kreisverbands in Neuss bei Düsseldorf, gegenüber Zeit Online, dass ihm die Polizei eine Anzeige wegen Körperverletzung angekündigt habe. Dem 68-Jährigen wird vorgeworfen, Protestierende bei einer Blockade bespuckt und einen von ihnen ins Bein gebissen zu haben. Genauere Details zum gesamten Einsatzgeschehen sollten erst am späten Samstagabend oder am Sonntag bekannt gegeben werden, so eine Polizei-Sprecherin auf taz-Nachfrage: „Der Einsatz geht vor.“

Schon am Samstagnachmittag schien aber klar, dass die Horrorszenarien, die in Teilen der lokalen Medien und der Boulevardpresse beschrieben wurden und nach denen Gewaltbereite Essen am Wochenende in eine Art Schlachtfeld verwandeln könnten, völlig überzogen waren. „Diese aus dem Nichts herbeigeredeten apokalyptischen Zustände sind nicht eingetreten“, die Proteste seien zum überwältigenden Teil kreativ und friedlich gewesen, bilanzierte Christian Baumann von der Initiative „Essen stellt sich quer“, die seit Jahren gegen Neonazis-Strukturen in der Stadt kämpft und die das Bündnis „Gemeinsam Laut“ mitgetragen hat.

Wasserwerfer in Stellung

„Ich habe diese Panikmache nie verstanden“, sagte Baumann der taz. Mit ihrem „überbordenden Aktionismus“, mit ihren Warnungen vor einem „robusten Einsatz starker Sicherheitskräfte“ habe die Polizei „viel Steuergeld verpulvert“ – und unter Umständen weitere eigentlich Protestwillige abgeschreckt, kritisierte Baumann. Allein war er mit diesem Eindruck nicht: „Hier sind ja fast mehr Polizisten als Demonstranten“, wunderte sich etwa ein grauhaariger Passant am Rande der Proteste. „Für jeden Demonstranten ein Polizist, oder was?“, fragte er kopfschüttelnd.

Durch den massiven Polizeieinsatz nur für Delegierte, zugelassene Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen und Gäste erreichbar war deshalb auch die Grugahalle als Ort des AfD-Bundesparteitags. Von den Protesten war sie durch Polizeiketten abgeschottet, zusätzlich war ein Wasserwerfer in Stellung. In der Grugahalle selbst aber fiel die Selbstzerfleischung der AfD aus. Tino Chrupalla und Alice Weidel wurden fast schon CDU-mäßig ohne Gegenkandidaten und Gegenrede als Doppelspitze wiedergewählt.

Disziplin herrschte vor allem wegen der anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Einen Antrag zur Unterstützung des wegen Spionagevorwürfen gegen einer seiner Mitarbeiter und eigener SS-Verherrlichung nur noch peinlichen Europawahl-Spitzenkandidaten Maximilian Krah, der auf Beschädigung der Parteispitze ausgelegt war, hatte die AfD Bayern zurückgezogen. Einziges Manko aus Sicht von Weidel: Chrupalla bekam mit 82 Prozent ein besseres Ergebnis als sie selbst mit 79,8 Prozent. Weidel wirkte danach etwas indigniert, Chrupalla konnte vor Kraft kaum laufen.

Auch der restliche Vorstand wurde für AfD-Verhältnisse geräuschlos gewählt, Abweichungen zu einer der taz vorliegenden Konsensliste: Fehlanzeige. Die geräuschlose Durchwahl ist vor allem ein Verdienst der professionalisierten Netzwerke um den Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier. Die jungen und gut vernetzten Karrieristen streben einem professionellen Kurs à la Marine Le Pen nach – ohne dabei weniger radikal als die offen Völkischen um den Rechtsextremisten Björn Höcke zu sein.

Am anhaltenden Radikalkurs der AfD gibt es indes keine Zweifel: Der ebenfalls wiedergewählte stellvertretende Bundesvorsitzende Stephan Brandner forderte eine „Entpolitisierung der Justiz“. Ein paar Tage zuvor hatte Höcke am Rande seines Prozesses wegen der wiederholten Verwendung einer SA-Parole in ähnlichem Duktus Säuberungen in der Justiz gefordert.

Allerdings: Der rassistisch-rechtsradikale Markenkern der AfD ließ sich nicht nur aus den Reden ableiten. Auf dem Laptop eines Delegierten klebte beispielsweise ein Sammelsurium rechtsextremer Sticker. Neben dem zynischen Spruch „Black Knives Matter“, war dort auch eine Anspielung auf den von rechts instrumentalisierten Gigi D’Agostino-Song zu lesen: „Döp dödö döp“, stand da neben AfD-Fanaufklebern, es ist eine Anspielung auf die Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“. An den Ständen im Foyer der Grugahalle sah es ähnlich aus: Dort gab es Fan-Artikel zu Krah und Sylt sowie Aufkleberpakete mit dem Stichwort „Remigration“. Auch die Bücher des rechtsextremen Antaios-Verlag von Götz Kubitschek, über den Rechtsextremisten wie Martin Sellner ihre rassistischen Revolutionsanleitungen verkaufen, lagen aus.

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