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Alkoholkonsum von Fußball-FansKeiner soll mehr rein

Fußball und Saufen gehören zusammen – muss glauben, wer der bierseligen EM-Berichterstattung folgt. Ein Podcaster und ein Fanclub sehen das anders.

In bester Fußballstimmung: englische EM-Touristen in Düsseldorf Foto: Christoph Reichwein/dpa

Fußball ohne Alkohol. Bitte, was? So dürften viele Fußballfans auf einen Satz reagieren, der für sie so widersprüchlich klingt, weil sie an Wochenenden gerne in Fußballstadien oder Kneipen ein, zwei, drei oder mehr Bier trinken.

Der Podcaster Hagen Decker findet, dass jener Eindruck, es gäbe Fußball nur mit Alkohol, auch in der aktuellen Berichterstattung zur Fußballeuropameisterschaft der Männer in den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF vermittelt werde. Er hostet das ARD-Format „Sucht & Süchtig“, das laut Selbstbeschreibung ein „Podcast für Süchtige, die Abstinenz leben, Abhängige, die clean werden wollen, und natürlich auch für alle anderen“ ist.

„Läuft das gerade richtig?“, fragt Decker in einem Instagram-Post Ende Juni. Es sei „extrem auffällig“, dass bei Schalten ins Stadion oder zu Fans immer wieder gefragt werde: „Was ist mit dem Bier? Wie viel Bier wurde noch getrunken?“ Alkohol sei immer wieder „ein Riesenthema, und zwar nicht irgendwie kritisch in Kontext gesetzt, sondern als wäre das eine lustige Brause wie Apfelsaft, die einfach zum Fußball dazugehört“.

Dabei würden weltweit jährlich 2,6 Millionen Menschen an den Folgen des Alkoholmissbrauchs sterben. In Deutschland hätten 9 Millionen Menschen ein problematisches Verhältnis zu Alkohol. „Die unfassbare Verharmlosung im Moment in der Berichterstattung macht mich sehr wütend“, so Decker. Sein Statement beendet er mit einem Appell an Journalist:innen, das zu ändern.

Bier als ZDF-Hauptthema

Seinem Post hat er eine Stadion­schalte des ZDF vorangestellt. „Haben denn die Schotten den Engländern ein paar Kölsch übriggelassen?“, fragt die Moderatorin Katrin-Müller Hohenstein die Reporterin Lena Kesting. „Zu der Bierfrage: Ich habe so langsam das Gefühl, das ist das Hauptthema, wenn ich bei euch da auf der Wand liege, dass ich über Bier rede, sagt Kesting.

Tatsächlich geht es bei EM-Sendungen im ZDF oder in der ARD immer wieder um Alkohol. In der ZDF-Doku „EM Partyzone Deutschland. So feiern Fußball-Fans!“ sagt der Sprecher: „Zum Fußball gehört für viele ja auch mal ein Bierchen. Wobei es auch bei dieser EM nicht immer und bei jedem nur bei einem Bierchen bleibt, wie unter anderem in Düsseldorf zu beobachten ist.“

Ein albanischer Fan bestätigt: „Zum Fußball gehört immer Bier dazu.“ Und ein spanischer Fan ergänzt: „The best combination always: beer and football.“ Die Aussagen werden so stehen gelassen, die Gefahren von Alkoholkonsum wie Missbrauch oder Sucht kommen nicht zur Sprache. Über ein Düsseldorfer Wirtshaus heißt es am Ende des Film-Abschnitts: „Die gute Nachricht für alle Durstigen: Das Bierdepot wird jetzt ordentlich aufgestockt.“

Auch in der ARD-Dokuserie „Völlig losgelöst – der EM-Roadtrip“ geht es ähnlich zu: Eine Reporterin begleitet zwei dänische Frauen, die viel feiern und trinken, sie trinkt sogar mit ihnen. „Und seid ihr immer noch betrunken?“, fragt sie die beiden dann am nächsten Morgen amüsiert auf dem Zeltplatz. Beim „EM-Kneipenquiz“ der ARD-„Sportschau“ sitzen die Gäste am Tresen vor ihrem Bier, das sie beim Beantworten der Fragen vor den Kameras trinken.

Nur eine „launige Frage“

Auf Nachfrage der taz, inwiefern das ZDF die Kritik des Podcasters Hagen Decker teile, antwortete ein Sprecher, dass es sich bei der Stadionschalte um eine „launige Frage“ der Moderatorin gehandelt habe. Sie habe sich dabei auf die „Partystimmung unter den englischen Fußballfans in Köln“ bezogen, „wo sechs Tage zuvor die schottischen Fans zur Freude der dortigen Gastronomie schon Party gefeiert hatten“. Weiter wollte sich das ZDF trotz Nachfragen nicht zum Thema äußern.

„Grundidee des EM-Kneipenquiz ist es, den Abend nach dem Spiel unterhaltsam ausklingen zu lassen – in einer echten Kneipe im Ruhrgebiet mit echten Fans“, antwortete wiederum ein Sprecher des WDR, der bei der ARD Federführer für die EM-Berichterstattung ist, auf Anfrage der taz. „Die Gäste haben freie Getränkewahl. Einige wählen ein Bier, einige auch ein alkoholfreies und wieder andere eben Wasser, Cola oder anderes.“ In der Berichterstattung zur EM wolle der Sender die Stimmung transportieren.

„Es ist unstrittig, dass der Alkoholkonsum dabei für viele Fans eine Rolle spielt.“ Die Redaktionen seien aber für mögliche Probleme von Alkoholkonsum „sensibilisiert“, weshalb das Thema in der Berichterstattung vorkomme, so der WDR-Sprecher. Dazu verlinkte er auf zwei Beiträge der ARD, eine trägt den Titel „Alkoholfrei durch die EM: Geht das?“.

Michael Krause ist Fan des FC St. Pauli und Sprecher der „Weiß-braunen Kaffeetrinker*innen“ – einem alkohol- und drogenfreien Fußball-Fanclub. Mitglied sind hier aber nicht nur Fans mit Suchterfahrung. Der Fanclub hat ein Suchtpräventionskonzept mit dem Verein erarbeitet, erzählt Krause im Gespräch mit der taz. Bekanntheit hat der Fanclub dadurch erlangt, weil er sich dafür engagiert hat, dass 2022 ein alkoholfreier Getränkestand im Stadion am Millerntor eröffnet wurde. Das „Trockendock“ ist bisher einzigartig in Deutschland. In der kommenden Saison soll der zweite Stand öffnen, so Krause.

Der Stadionbesuch nach dem Entzug

Er selbst ist seit 17 Jahren trocken. Nach der Entgiftung und Langzeittherapie habe er es geschafft, wieder alleine ins Stadion zu gehen. „Aber viele andere schaffen das nicht.“ Deshalb begleitet sein Fanclub Menschen nach Entzugstherapien bei Stadionbesuchen. Falls jemand dem Suchtdruck nicht standhalten kann, gehen alle gemeinsam wieder raus.

Wenn Krause über den Zusammenhang von Fußball und Alkohol spricht, benutzt er das Wort „Symbiose“. Die werde allein durch die Werbung deutlich, das Thema Suchtgefahr spiele keine Rolle. „Das war für mich schon immer so, so erlebe ich Fußball seit Jahr und Tag“, sagt Krause. Und: Man dürfe nicht vergessen, dass Vereine und Verbände mit der Werbung für Alkohol Geld verdienten.

„Menschen sollen verstehen, dass Emotionen wie Freude, aber auch Trauer und Frustration nicht zwangsläufig mit Alkohol verbunden sein müssen. Dass man im Stadion auch ein tolles Lebensgefühl haben kann, wenn man nicht konsumiert“, erklärt Krause ein Ziel des Engagements seines Fanclubs. Fußballfans, die selbst eine Suchtbiografie haben oder einfach keinen Alkohol trinken wollen, rät er, nach Gleichgesinnten Ausschau zu halten: „Das Gefühl, zusammen nüchtern Fußball zu schauen, stärkt unheimlich.“

Und die „Symbiose“ zwischen Fußball und Alkohol, lässt die sich nicht auch grundsätzlich aufkündigen? Veränderung gehe nicht von heute auf morgen. Und Alkoholkonsum sei gesellschaftlicher Konsens, sagt Krause. „Aber in den letzten fünf Jahren hat sich auch viel verändert.“

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5 Kommentare

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  • Anmerkung zum letzen Satz des Artikels,



    Zitat



    „Aber in den letzten fünf Jahren hat sich auch viel verändert.“



    Zitat Ende

    Ja, ich zum Beispiel. Nicht suchtkrank war ich vergangenes Jahr dennoch 5 Tage als Patient auf der Suchtstation einer psychiatrischen Klinik. Mit den MitpatientInnen hatte ich großes Glück: alles wunderbare Menschen. Ich schätze, dass mehr als die Hälfte von ihnen (vor allem Frauen) ohne Alkohol ihr Problem einfach nicht hätten.



    Seit der Zeit bin ich "clean".



    Am schlimmsten finde ich, dass Bier mit weniger als 0,5% Vol. Alkohol als alkoholfrei angepriesen werden darf. Auch eine minimale Dosis Alkohol kann eineN SuchtkrankeN triggern.

  • Alkoholkonsum ist nicht gleich Alkoholismus. Natürlich sind Bier, Wein und Cocktails, vielleicht auch der eine oder andere Rausch, für viele Teil eines Geneinschaftserlebnisses und ein Stück Kultur, das auch mediale Beachtung finden darf und nicht verurteilt werden muss. Das muss man sls Abstinenzler aushalten können, so viel Toleranz gehört in einer freiheitlichen Gesellschaft dazu.

  • Ein "Podcast für Süchtige, die Abstinenz leben, Abhängige, die clean werden wollen" ist eine gute Sache für Betroffene 👍



    Und durch den Apfelsaft-Paragraphen muss seit 2001 "mindestens ein alkoholfreies Getränk höchstens genau so teuer (sein) wie das billigste alkoholhaltige Getränk" auf der Karte.



    de.wikipedia.org/w...pfelsaft-Paragraph



    Insofern kann man Gesellschaft und Politik doch bereits ein deutlich reflektierteres Verhältnis zu Alkohol als in früheren Generationen bescheinigen.



    Trotzdem ist Alkohol halt auch ein fester Bestandteil unserer Kultur - egal ob Bier, Wein, Schnaps,...



    Eigentlich ist Alkohol sogar so ziemlich das verbindenste Element aller Kulturen weltweit - es gibt quasi keine Kultur die 'alkoholfrei' auskommt. Vor 7000 Jahren haben die Sumerer wohl mit dem Weinbau begonnen. Bier ist noch älter, im Norden Israels fand man Indizien des Brauens die gar 13000 Jahre alt sein sollen.



    Insofern verwundert es da wenig das Menschen aus aller Welt die weltweit beliebteste Sportart mit dem ebenso weitverbreiteten Alkohol kombinieren.



    Wie bei allem: die Dosis macht das Gift.



    Oder wie die Toten Hosen singen: kein Alkohol ist auch keine Lösung.



    Prost 🥂

  • In der Schule kam es am Glaubwürdigsten rüber, wenn man trockene Alkoholiker einlud vor der Klasse über ihren Werdegang zu sprechen, die für die Jugendlichen der Vorstellung von einer „Art Urbild der Männlichkeit“ entsprachen: beeindruckende Statur, evtl Motorradfahrer, Tatoos ect.



    Wenn sie dann ihren Weg in/aus die/der Sucht (mit daraus entspringenden Handlungen) schilderten, war die Nachdenklichkeit groß und die Glaubwürdigkeit nicht von der Hand zu weisen.

  • Tja, bei einigen Menschen würden wohl nur limitierte „Bezugsscheine“ helfen, mit denen man Alkohol begrenzt erhalten kann. Ironie aus.



    Zeiten der Prohibition haben gezeigt, der Weisheit letzter Schluss ist auch das nicht. Es ist wie mit allen Süchten: Wer sie nicht beherrschen kann, bekommt Probleme. Da wo Alkoholmissbrauch auf „toxische Männlichkeit“ trifft, wird es dann besonders übel.



    Aber was ist die eigentliche Ursache? Sind es nicht Probleme (von außen oder innen), die den „Alkohol-Fehlgenuss“ fördern?