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Macrons Taktieren vor der StichwahlDen Weg zurück verbaut

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gilt als Sowohl-als-auch-und-zugleich-Politiker. Der Ausgang der Stichwahl scheint ihn nichts mehr anzugehen.

Emmanuel Macron am Tag der Bastille: Gab es da womöglich einen verborgenen Plan, der für uns einfache Gemüter nicht sofort erkennbar ist? Foto: Aurelien Morissard/reuters

S orgenvoll fragt man sich in Frankreich, aber auch im benachbarten Europa, was Präsident Emmanuel Macron sich gedacht haben mag, als er wie aus einem großen Ärger über seine Niederlage bei der Wahl der EU-Abgeordneten die Nationalversammlung auflöste und seinen verdutzten Landsleuten Neuwahlen anordnete. Denn es ist offensichtlich, dass dies für ihn so ziemlich der ungünstigste Moment war, um alles aufs Spiel zu setzen.

Gab es da womöglich einen verborgenen Plan, der für uns einfache Gemüter nicht sofort erkennbar ist? Vergeblich sucht man auch in den Zeitungen und Analysen von Experten der französischen Politik eine rationale oder wenigstens plausibel erscheinende Erklärung. „Der Wahlpoker vom 9. Juni mit der Ankündigung der Auflösung (der Nationalversammlung) ist eine totale Pleite“, konstatiert ein Leitartikel von Le Monde, in dem alle noch möglichen Optionen abgewogen werden, die ­Macron nach den Stichwahlen vom Sonntag haben wird.

Seit der ersten Runde hat der Präsident nichts zu seiner Rechtfertigung gesagt. Als ob ihn das jetzt alles gar nichts mehr angehen würde. In einer publizierten kurzen Mitteilung wünschte er zwar eine „breite nationale“ Einheit der demokratischen Kräfte, die „klar“ hinter der Republik stehen. Doch wie meistens mit diesem Sowohl-als-auch-und-zugleich-Politiker ist nichts klar, vor allem nicht die Antwort auf die entscheidende Frage, wen er zu den aufrechten Demokraten zählt und wen nicht.

Im Vorfeld der ersten Wahlrunde hatte er aus einer sehr kurzfristigen taktischen Überlegung die Linke pauschal als „antiparlamentarisch“ und „antisemitisch“ verleumdet. Indem er seine Landsleute in dieser exzessiven Weise vor der Wahlunion seiner linken Gegner warnte, hat er sich selber den Weg zurück in die politische Rationalität verbaut. Denn mit welcher Legitimität und Glaubwürdigkeit kann er jetzt, bloß ein paar Tage danach, die ihm verbliebenen Anhänger des Macronismus zu einer Abwehrfront mit dieser verteufelten Linken gegen die extreme Rechte aufrufen?

Und dann auch noch: Wie sollen die Franzosen und Französinnen ihrem Staatschef vertrauen, der laut der Verfassung das letzte Bollwerk der Demokratie ist, in seinem scheinbar unüberlegten Handeln aber Voraussicht nach einen monumentalen und geradezu grotesk anmutenden Irrtum begangen hat?

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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12 Kommentare

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  • Herr Bardellas erste Tätigkeit als Premierminister wird es sein nach Brüssel zu fahren, um dort eine Freistellung von den europäischen Regeln für die Strompreisgestaltung zu veranlassen. Warum? Damit für Deutschland der französische Atomstrom teurer wird. Das ist der der französische Hebel sich selbst auf Kosten Deutschlands wieder stärker zu industrialisieren. Glauben Sie nicht? Er hat es bereits angekündigt. Das wäre dann der finale coup de grâce für die deutsche Energiewende. Wem wird die deutsche Öffentlichkeit das dann wohl zum Vorwurf machen?

    • @Nachtsonne:

      Das wäre ja für einen Nationalisten nur logisch. Frankreich zuerst…

    • @Nachtsonne:

      Noch was vergessen: Wenn Frankreich seine Autobahngebühren raufsetzt ist das der Coup de Grâce für deutsche Obst- und Gemüseabteilungen.

      Ein ungefähr ähnlich sinnvoller Unkenruf. Wir sind in Europa aufeinander angewiesen. Rechte und nationale begreifen das nicht (was Putin auszunutzen versucht). Was ist an dieser Erkenntnis neu?

    • @Nachtsonne:

      Ja, alles klar. Genau das wird passieren. Weil die Stromflüsse nur einseitig sind, vor allem in trockenen Sommern wenn die französischen Flüsse kein Wasser führen und die französischen Atomkraftwerke besonders viel Strom produzieren oder im Winter wenn ganz Frankreich ohne Strom heizt.

      Frankreich hat übrigens in der Tat ein Problem mit seinem Atomstrom: Er ist teuer und schwerfällig und deswegen zunehmend ein Klumpfuß im Netz. Und auch die typische französische Stromheizung ist nicht wirklich regelbar - anders als Wärmepumpen mit Speicher, die man dann laufen lassen kann, wenn viel Strom da ist.

  • das dramatische was hier doch weniger was die presse kolportiert , ist doch hier nicht anders? viel schlimmer finde ich die tendenz, der rechten im aufmarsch in frankreich. das wir im herbst trump vermutlich erneut im amt sehen werden (mit den neuen privilegien der immunität), was ihn dafür sorgen lassen wird, das er "nie wieder abtritt" bis er stirbt! und jetzt frankreich, dann italien mit meloni und wir können warten was bei uns passiert.. ich habe geradezu panik, um eine freiheitliches europa!soviel rechten druck von allen seiten gab es noch nie!! und wir haben immer nur worte entgegen zu setzen, das wird irgendwann nicht mehr reichen! irgendwann ist die frage, welche mittel bleiben uns noch, wenn das so weiter geht?

  • Was sollen die Franzosen machen? Nach wochenlangen Demonstrationen wurde die Rentenreform an der Nationalversammlung vorbei beschlossen. Nicht alle haben das vergessen. Es geht nicht darum, ob die Rentenreform sachlich die richtige Entscheidung war, es geht um den Respekt der Bürger. Dafür gibt es jetzt die Quittung. Mir missfällt auch die Wertung der Europawahl. Dort gelten die Grünen als die großen Verlierer. Doch mit Lindner, dem Macron Deutschlands, bekam die FDP mit 5% nur halb so viele Stimmen, wie die Grünen mit 11%. Macron macht seit Amtsantritt Politik gegen die Franzosen. Alles soll der Logik der Wirtschaft folgen. Jetzt kommen andere von Links und von Rechts.

    • 4G
      48798 (Profil gelöscht)
      @mdarge:

      „… Es geht nicht darum, ob die Rentenreform sachlich die richtige Entscheidung war“

      Genau das scheint mir das Problem der französischen Wähler zu sein.



      Es geht nicht um Inhalte, sondern um Emotionen.



      Die Rentenreform war seit Jahrzehnten überfällig; Macron hat es jetzt endlich geschafft.



      Dafür muß er jetzt aber büßen, genau wie damals für die Abschaffung der Diesel-Subventionen.



      Die Leute wollen „mitgenommen“ werden, aber reklamieren im gleichen Atemzug ihr Recht auf Zerstörung.

      Darunter wird auch die nächste Regierung leiden.



      Egal ob links oder rechts.

  • Siehe Reinhard Umbach



    taz.de/Die-Wahrheit/!6018174/

  • Macron behandelt das Volk als ungezogenes Balg, ein klassischer Denkfehler von Liberalen.



    Gleichzeitig: Die Verantwortlichkeit für seine Wahl kann niemand abgeben. Niemand hätte auch ein Recht auf Gehorsam, frei nach H. Arendt.



    Ich freue mich, dass die Linke wieder zueinander fand, und verstehe die Verteufelung Mélenchons kaum. Jedenfalls deutlich besser die Gemeinschaft zusammenbringend, selbst der, als Macron oder gar LePen.



    Man kann in Frankreich etwas wählen: die neue Volksfront.



    Zur Not die Liberalen. Niemals: eine neo-rassistische Partei, die mehr für Putin übrig hat als für Menschen.

  • Das einzige vielleicht positive an der vorzeitigen Neuwahl könnte sein, dass der Rassemblement National zwar an die Regierung kommt, es aber noch Macron als Präsidenten gibt.



    Wenn Marine le Pen Präsidentin wäre und es gleichzeitig eine braune Parlamentsmehrheit gäbe, könnte der Rassemblement National 5 Jahre lang durchregieren.

    • @Carsten S.:

      sie werden die probleme und fehler macron in die schuhe schieben und seine regierungsbefugnisse beschneiden, durch blockaden

    • @Carsten S.:

      Ist mir auch durch den Kopf gegangen. Vielleicht der Versuch der Entzauberung der Rechten, während der aussen-und sicherheitspolitische Schaden noch durch den Präsidenten eingehegt werden kann, weil er da das letzte Wort hat.