piwik no script img

Rechte Empörung über TheaterstückGlatt gelogen

Das rechte Online-Magazin „Nius“ skandalisiert das Stück „Unsere Elf“ am Staatstheater Hannover. Der Angriff ist ein Beispiel rechter Kulturagitation.

Passt nicht ins nationalistische Weltbild Rechter: Ensemble des Theaterstücks „Unsere Elf“ Foto: Katrin Ribbe/Staatstheater Hannover

Bremen taz | Je sommermärchenhafter Fußballnationalmann­schaften ihre Europameisterschaft zu Ende spielen dürfen, desto mehr Aufführungstermine wird das Dokumentartheater „Unsere Elf“ von Tuğsal Moğul und Maren Zimmermann im Herbstspielplan des Schauspiels Hannover bekommen. Denn es bietet auf Grill­abendniveau nette Erinnerungsanimation für den aufgeklärten Fußballfan. Also für jenen, der die deutsche Nationalmannschaft auch als Ausdruck unserer diversen Gesellschaft zu feiern weiß.

Für Rechtspopulisten mit nationalistischer Agenda hingegen ist das ein Anlass zum Empören und Pöbeln. Das „Nius“-Online-Magazin des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt wirbt um Leser mit der Überschrift „Die Bundesregierung feiert die EM mit einem Theaterstück über den Islamisten Mesut Özil“. Und zeigt damit, nicht an der Realität, sondern an Propaganda interessiert zu sein.

Richtig ist: Die Produktion bekommt Geld aus dem EM-Kulturprogramm-Fonds des Bundes. Thematisiert werden in Hannover unter anderem Aufstiegshoffnungen sowie Respekt- und Akzeptanz-Sehnsüchte, die gerade migrantisch geprägte Jugendliche mit Fußball verbinden.

Das aus O-Tönen ehemaliger und aktueller Na­tio­nal­spie­le­r:in­nen collagierte Stück ist aber keines über Mesut Özil. Lediglich in einer von 23 Szenen geht es um den ehemaligen deutschen Nationalspieler. Hilflos genervt wird er im Kartoffel-Kostüm dargestellt und müht sich zunehmend vergeblich, zwischen den Zuschreibungen als Türke oder Deutsch-Türke auch Deutscher sein zu wollen. Die Aufführung zeigt Özil als unsicheren, fremdbestimmten Menschen, der sich beim freien Artikulieren in deutscher Sprache soufflieren lassen muss.

Das Stück

„Unsere Elf“: wieder am 11. 9. und 17. 9., 19.30 Uhr, Staatstheater Hannover

Dann singt er die Nationalhymne nicht mit, woraufhin ihn das Ensemble wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Das Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan wird erwähnt und dass Özil mittels eines Tattoos neuerdings seine Solidarität mit den rechtsextremen Grauen Wölfen bekundet. Die Entwicklung vom deutschen Inklusionshelden zum internationalen Fußballstar zum ultranationalistischen Türken beschreibt die Aufführung bedauernd – als gescheiterte Integration. Und zitiert Özil: Wenn „wir gewinnen“, sei er Deutscher. Wenn „wir verlieren“, sei er Immigrant.

Für diese subjektive Erfahrung gibt es objektive Indizien wie rassistische Beleidigungen, denen Özil ausgesetzt war. Die Aufführung legt nahe, dass diese Enttäuschung über ein nicht nur vorbildlich weltoffenes Deutschland ein Grund sein könnte für die Radikalisierung des Kickers.

„Nius“ resümiert: „Die Bundesregierung investiert unsere Steuergelder, um Islamismus salonfähig zu machen.“ Was Unsinn ist, denn die Produktion beschreibt, empathisiert und kritisiert Özils Wandlung und gibt die Widersprüche der Auseinandersetzung wieder.

Solche Differenzierungen sind im Rechtsausleger-Journalismus nicht vorgesehen, da gibt es keine Mängel deutscher Migrations- und Integrationspolitik, nur „einen Islamisten, der unsere Werte verachtet“ – und die hanebüchene Lüge, dem Schauspielabend liege „Islamismus-Apologetik“ zugrunde. Es gibt nicht eine Szene, mit der sich die Inszenierung islamistische Haltungen zu eigen macht.

Die „Nius“-Autor:innen bringen den Begriff „Vaterland“ ins Spiel, um daraufhin anzumerken: „Auf den Trikots der Schauspieler ist nirgends Schwarz-Rot-Gold zu sehen, dafür prangt bei Zweien der Schriftzug,DDR' auf der Jacke.“ Auch dieser Vorwurf geht ins Leere. Denn es handelt sich nicht um eine anti-westdeutsche Aussage, sondern um den Hinweis, dass auch Vorwende-Kicker aus dem Osten Deutschlands für die Aufführung interviewt wurden.

Gegen den freien öffentlichen Diskurs

Ebenso falsch ist die Aussage, „die Deutschen“ werden „im Namen der Bundesregierung gleich zu Beginn des Stücks für ihren Nationalstolz beschämt“. Richtig ist: Wenn das Ensemble den Saal betritt, klatscht es erst mal rhythmisch, grölt dann „Deutschland!“, beginnt die Nationalhymne zu singen und bricht das ab mit der Frage: „Das geht nicht, oder?“ – als zu diskutierende These, ob schon zu viel Nationalismus, Chauvinismus in der Begeisterung für ein Länderteam mitschwingt.

Der Angriff auf die Theaterproduktion in Hannover ist ein typisches Beispiel rechter Kulturagitation, mit der eine „deutsche kulturelle Identität im traditionellen Sinn“ hochgehalten wird, die von der aktuellen Kulturpolitik „beseitigt werden“ soll. Das behauptete jedenfalls die AfD-Fraktion im Bundestag 2023 in einem Antrag zur Neuausrichtung der Kulturpolitik.

Ziel ist wohl, Kunstinstitutionen als freie Orte öffentlicher Diskurse abzuschaffen zugunsten von Lehranstalten, an denen „Deutsche Leitkultur statt ‚Multikulturalismus‘“ gepredigt wird, wie es etwa auf der AfD-Webseite heißt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • :-) seit wann sind denn Nius und Blöd an irgendeiner inhaltlichen Auseinandersetzung interessiert und wen wundert es noch?



    Wenn der alte Wein jetzt im neuen Schlauch Nius oder anderen Hass- und Krawallkanälen der sog. sozialen Medien daher kommt bleibt es eine saure Plörre.

  • Eine wunderbare Diskussion die zum nachdenken anregen könnte. Auch wenn es europäische Gelder waren. Jetzt ist doch ein wunderbares Momentum, um zu überprüfen, inwieweit das nicht unerhebliche große "Kulturbudget" des Bundes/Landes nicht in anderen Bereiche allokiert werden kann. Wo es besser investiert wäre. Hierbei ist natürlich genau zu prüfen, dass von den verbleibenden Budgets weder rechts-noch linksradikale Maßnahmen unterstützt werden. Auch ist zu überlegen inwieweit ein Kulturbesuch (z.B. Theater, Konzert) von der Allgemeinheit finanziert werden sollte. Muss es so viel Geld sein, Kann das Geld nicht besser investiert werden?

  • "Glatt gelogen" -



    für einen Einzelartikel ist die Überschrift eigentlich eine Vergeudung.

    Hier könnte eine wöchentliche Kolumne über Julian Reichelt entstehen - die Überschrift wär immer passend und treffend zu allem was J.R. sagt, spricht oder schreibt.

    So was tippt sich doch wie von selbst?!

  • Ich werd mir das Stück selber anschauen müssen, um mir eine eigene Meinung bilden zu können - denn das was die taz hier von dem Stück wiedergibt, entspricht im Großen Großen und Ganzen dem Kern der Kritik des zugespitzten Nius Beitrages. Dem ewigen Narrativ, dass grundsätzlich die Gesellschaft die primäre Schuld an misslungener Integration trägt, möchte ich hier direkt widersprechen.

    • @Alexx:

      "Dem ewigen Narrativ, dass grundsätzlich die Gesellschaft die primäre Schuld an misslungener Integration trägt, möchte ich hier direkt widersprechen."

      Sie begreifen den Sachverhalt nicht. Ihre Schuldkomplexe, oder der Komplex keine Schuldkomplexe gemacht bekommen zu wollen, ist nicht Gegenstand des Sachverhalts.

      Es geht auch nicht um die persönliche Beleidigung von irgendwem, der den Zugegzogenen im Dorf, den Anderen neben sich in der Stadt, "das Fremde" im Land schon immer und zu allen Zeiten beklagte. Da er, dasie, da dies doch Maßstab zu sein habe.

      Es geht um eine offensichtlich in weiten Teilen integrationsunwillige Gesellschaft .



      Das ist Analyse ohne persönliche Beleidigung, vordergründige Moral und beschädigtes Selbstbild als guter Mensch.

      Deutschland ist ein Einwanderungsland. Bereits seit vielen Jahrzehnten. Ist ohne Bürgerkrieg und Faschismus nicht rückgängig zu machen.

      Nicht mal der Zustand der Bahn ist schlechter, als die Infrastruktur und Bereitschaft zur Integration in eine Einwanderungsgesellschaft. Im rechts-national-chauvinistisch driftenden Bürgertum. Integriert Euch endlich in die Einwanderungsgesellschaft.

      • @Elise Hampel:

        Ich bin zufällig über deine Kommentare gestolpert und hab mich jetzt extra angemeldet, um mal zu schreiben:

        Ich freue mich über deine Kommentare, die gut informierte Perspektive und deine Schlagfertigkeit in den Diskussionen.

        Ich finde nichts frustrierender, als wenn Leute in Diskussionen entweder aktiv desinformieren, oder so tief im Rauschen aus Unwissen, Narrativen oder blanken Lügen sitzen, dass man erstmal die Grundlagen erklären muss.

        Darum freu ich mich, zu lesen wie du gut informiert in Perspektive setzt.

        Danke! Ich lese weiter:)