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Wahlkampf in Großbritannien„Kneipenschwätzer“ mit „Putin-Virus“

Der britische Rechtspopulist Farage macht den Westen für Putins Einmarsch in der Ukraine verantwortlich. Die Empörung darüber facht ihn weiter an.

Nigel Farage verteidigt seine Ukraine-Äußerungen und bekennt sich zugleich zur Nato: Wahlkampfauftritt in Kent am Montag 24. Juni Foto: Chris J Ratcliffe / reuters

Berlin taz | Rechtspopulist Nigel Farage ist der Shootingstar des britischen Wahlkampfs. Seine Partei Reform UK zieht in manchen Umfragen schon an den regierenden Konservativen vorbei. Nun entdeckt er die Außenpolitik.

„2014 stand ich im Europaparlament auf und ich sagte, ich zitiere: ‚Es wird Krieg in der Ukraine geben‘“, erläuterte Farage am Freitag in einem BBC-Fernsehinterview im Zusammenhang mit Russlands Präsidenten Putin. „Warum sagte ich das? Mir war klar, dass die endlose Osterweiterung der Nato und der Europäischen Union diesem Mann (er zeigt auf ein Bild von Putin) einen Grund gab, seinem Volk zu sagen, ‚Die kommen uns wieder zu nahe‘ und in den Krieg zu ziehen.“ Ja, der Westen habe Russlands Einmarsch in der Ukraine 2022 provoziert, bestätigte er auf Nachfrage.

„Was er sagte, war völlig falsch und spielt Putin in die Hände“, empörte sich Premierminister Rishi Sunak. Labour-Oppositionsführer Keir Starmer nannte Farages Worte „eine Schande“. Eine seltene Einmütigkeit der beiden Spitzenpolitiker – und eine Steilvorlage für Farage.

In der Samstagsausgabe des konservativen Hausblatts Daily Telegraph schrieb Farage unter dem Titel „Die Irrtümer des Westens in der Ukraine waren eine Katastrophe und ich werde mich nicht dafür entschuldigen, die Wahrheit zu sagen“, er habe als einziger immer recht behalten, denn „der Westen hat Putin in die Hände gespielt“ und Russland zum Krieg provoziert.

Damit provozierte Farage noch schärfere Widerrede. „Ekelhafter Quatsch“, twitterte Expremier Boris Johnson. Exverteidigungsminister Ben Wallace nannte Farage einen „Kneipenschwätzer“. Sogar das Verteidigungsministerium veröffentlichte ein Kurzvideo mit „Fakten über die Nato“. Und aus dem Präsidialamt in Kyjiw vermeldete ein BBC-Journalist den Kommentar: „Leider infiziert der Virus des Putinismus Menschen, und er kann schlimmere Folgen haben als Covid.“

Die Sonntags-Boulevardzeitung Mail on Sunday schlagzeilte daraufhin „Selenskyj: Farage mit Putin-Virus infiziert“, woraufhin Farage rechtliche Schritte ankündigte.

Am Montag legte Farage mit einer außenpolitischen Grundsatzrede nach. Auf einer südost­englischen Wiese schäumte der Reformführer, er werde keine Belehrungen von Parteien annehmen, die für die Kriege in Irak und Libyen verantwortlich seien. Er erklärte sich zum Champion der Nato und des Bündnisses mit den USA – Farage ist mit Donald Trump befreundet – und sagte, weder das 2-Prozent-Ziel der Nato für Verteidigungsausgaben als Anteil des Bruttoinlandsprodukts seien ausreichend noch das 2,5-Prozent-Ziel Rishi Sunaks: 3 Prozent müssten es schon sein.

Immerhin trifft Farage einen Nerv: Im britischen Wahlkampf werde zu wenig über Außenpolitik gesprochen, monierte er. Dafür hat er nun gesorgt. Und man spricht über ihn. Logisch, wie er der BBC erklärte: „Ich bin der einzige in der britischen Politik, der vorhersagte, was passieren würde.“

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14 Kommentare

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  • Interessanter Kommentar im Guardian:

    》Farages Ukraine-Kommentare waren kaum beleidigend - andere Parteichefs könnten eine Geschichtsstunde gebrauchen

    Simon Jenkins

    Der Satz von Farage ist jedem bekannt, der an den Seminaren teilgenommen hat, die auf den Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 folgten. Die neu befreiten Russen sagten mit einer Stimme: Ihr habt gewonnen, aber treibt Moskau nicht zu weit. Der Kreml-Experte George Kennan warnte den Westen davor, sich in seinem Sieg zu sonnen. Er würde Russland den chauvinistischen - und kriegerischen - Rechten ausliefern. Moskaus damaliger Staatschef Michail Gorbatschow appellierte an die Nato, ihre Mitgliedschaft nicht auf die an Russland angrenzenden Länder auszuweiten. Sie sollten neutral sein, wie es Finnland war. Aus den Archiven geht hervor, dass diese Nichterweiterung vereinbart und von den USA und anderen Ländern mündlich zugesagt wurde.

    Innerhalb eines Jahrzehnts verhandelte die Nato mit potenziellen neuen Mitgliedern in den baltischen Staaten und am Schwarzen Meer. Als Putin im Jahr 2000 an die Macht kam, erkannte er dies und strebte selbst eine Mitgliedschaft in der Nato an. Dies scheiterte jedoch. Aber westliche Staa

  • Interessanter Kommentar im Guardian:

    》Farage’s Ukraine comments were hardly offensive – other party leaders could use a history lesson

    Simon Jenkins

    》The Farage line is familiar to anyone who took part in the seminar fest that followed the collapse of the Soviet Union in 1991. The newly liberated Russians said with one voice, you have won but do not push Moscow too far. The Kremlin expert George Kennan warned the westnot to revel in its victory. It would hand Russia over to the chauvinist – and belligerent – rightwingers. Moscow’s leader at the time, Mikhail Gorbachev, pleaded with Nato not to extend its membership to the countries bordering Russia. Let them be neutral, as Finland was. Archives show that this non-extension was agreed andverbally promisedby the US and others.



    Within a decade, Nato was negotiating with potential new members in the Baltic states and the Black Sea. On coming to power in 2000, Putin realised this andsought membership of Natohimself. This came to nothing. But western statesmen such as Henry Kissingercontinued to preachagainstinflaming Russian nationalism, not least over Ukraine,motherland of medieval Russia.《

  • Seltsam, dass eine breite Front, angefangen mit Rechtspopulisten bishin zu ehemaligen Kanzlerberater unter Brandt (wie Albrecht Mueller von Nachdenkseiten) und bishin zu ehemaligen Moskau-Korrespondentinnen und Moderatorinen wie Gabriele Krone-Schmalz alle dasselbe behaupten.



    Man macht es sich vlt etwas arg zu einfach, unbequeme Wahrheiten zumindest in diesem Fall einfach als Querfront abzuqualifizieren. Stattdessen sollte man/frau sich einmal die Fakten selbst anschauen.

    • @Werner2:

      Kujat, Erler, Verheugen, Jeffrey Sachs, Mearsheimer, Teltschik, Ischinger ... alle sagen sie das, alle sind sie anerkannte aussenpolititisch Experten . Trotzdem wird man sofort in die Ecke der Putinunterstutzer gestellt, wenn man eine Mitverantwortung des Westens behauptet.

      • @Günter Schönegg:

        Sie vergessen Stoltenberg, Merkel, Peter-Scholl-Latour, George F. Kennan, Prof. Stephen Walt, William Burns sowie die 40 Unterzeichner hier. Unter anderem der letzte US-Botschafter in der Sowjetunion und Robert McNamara.



        www.blaetter.de/au...storischem-ausmass

  • Ich verstehe immer noch nicht, welchen Vorteil es diesen Menschen bringt, für Putin zu sein. Kommt das wirklich bei den Wählern an, einen brutalen, menschenverachtenden Massenmörder zu hofieren? Einen Busenfreund des nordkoreanischen Diktators und der iranischen Frauenschlächter?

    Wer will denn freiwillig mit diesen Schlächtern gemeinsame Sache machen? Und wer, welche Wähler unterstützen so etwas?

    Wir werden uns noch umschauen, wenn die Atommächte allesamt von Autokraten/Diktatoren regiert werden. Wer glaubt denn im Ernst, dass irgendeine rechte Regierung in Frankreich oder UK im Ernstfall Polen beschützt? Und dann muss man nur kurz mit Atombomben drohen und nimmt sich das Stück Land, das man gerade möchte.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Das ist doch kein Fussballspiel, wo man für "Team Putin" oder "Team Selensky" ist.



      Man kann auch einfach bei den jungen Männern sein, die aus der Ukraine fliehen oder sich verstecken, weil sie nicht an der Front verheizt werden wollen.



      Man kann einfach bei den Soldaten auf beiden Seiten sein und sich sagen:



      "Striche auf der Landkarte oder ideologische Fragen sind kein einziges dieser Leben wert".



      Oder bei den Zivilisten, die sterben, wenn Dörfer den Besitzer wechseln.



      Sie sehen, weder Putin noch Selensky noch Biden oder Trump spielen hier eine Rolle.



      Und wenn man durch einen Stopp der NATO-Osterweiterung Frieden erkaufen könnte. Dann ist das den Versuch wert. Waffen kann man immer noch liefern, wenn das nicht klappt.



      Wenn man aber nur Waffen liefert und es doch um die NATO ging. Dann wird Putin die Ukraine vernichten, damit sie nicht in die NATO kann.



      Wie auch immer: Einen Versuch ist es wert, wenn es Leben rettet.

      • @Kartöfellchen:

        1. Es gibt keine NATO Osterweiterung. Es gibt eine Russland Westerweiterung. Es stehen russische Soldaten in der Ukraine, nicht umgekehrt.

        2. Den Krieg hat Putin begonnen, niemand sonst. Es stehen russische Soldaten in der Ukraine, nicht umgekehrt.

        3. Das Märchen des provozierten Putin ist astreine russische Desinformation.

        4. Putin muss nur seine Soldaten zurück nach Russland beordern und aufhören die Ukraine zu bombardieren, dann ist Frieden. So wie vor dem Kriegsbeginn 2014.

        5. Die russischen Soldaten begehen Massaker in den besetzten ukrainischen Dörfern und Städten, ist das der Frieden, den Putin der Ukraine bringt?

        • @Gnutellabrot Merz:

          Der User hat doch bereits ausführlich geantwortet.



          Ja, man kann auch einfach weitermachen wie bisher. Aber was bringt das? Vieles spricht dafür, dass es Putin vor allen Dingen um die NATO geht. Also wird er versuchten die Ukraine so zu zerbomben, dass nix mehr übrig bleibt - dann gibt es auch keinen Nato Beitritt. Aber haben Sie Mal daran gedacht was das für die Menschen bedeutet? Warum fliehen wohl so viele wehrfähige Männer? Abstimmung mit Füßen nennt man das.

        • @Gnutellabrot Merz:

          1. Haben Sie die letzten 30 Jahre ohne Nachrichten verbracht. Die NATO erweitert sich seit Mitte der 90er. Und auch in die Ukraine. Wenn Sie mir nicht glauben, dann vielleicht Selensky: Die Ukraine ist de facto-NATO-Mitglied.



          www.zeit.de/politi...ilung-solidaritaet



          3. Nicht alles, was nicht in Ihr Weltbild passt, ist russische Desinformation. Es gibt seit den 90ern! ständige, sowohl russische wie westliche Warnungen, dass die NATO-Osterweiterung die Russen provozieren würde. Ein Beispiel hier:



          www.blaetter.de/au...storischem-ausmass



          2. , 4. Niemand bezweifelt das. Die Frage ist, wie man ihn dazu bringt. Und "Nur Waffen liefern" hat es bisher nicht so gebracht, oder?



          5. Ja, das ist passiert. 2022 in Butscha, vor allem.



          Welche Massaker passieren denn aktuell? Und wenn diese passierten, hätten die Amerikaner sicher Sattelitenaufnahmen. Und glauben Sie, dass Frieden oder Krieg weiteren Massakern besser vorbeugt?

  • Wenn Farange den 2.Platz erreicht wird es langsam einen Meinungsumschwung in Europa bezüglich Ukraine geben.

    Auch Merz schlägt schon leiser Töne bezüglich Waffenlieferungen an die Ukraine und würde sogar zulassen dass im Osten mit den BSW koaliert wird.

    Angesichts dieser Vorfälle wir es doch zu Friedensgesprächen kommen, bis dahin wird es aber noch zu viele Tote geben.

    • @AndreasHofer:

      Meine Befürchtung ist eher:



      Wir erhalten einen schlechteren Frieden als wir 2021 hätten bekommen können zum Preis von Hunderttausenden Toten.



      Wobei mir wirklich egal ist, ob Ukrainer, Russe, Tschetschene, Freiwilliger aus dem Westen oder sonst wer.



      Keiner verdient es zu sterben.

  • War das nicht einer der Lügenbarone des Brexit, die sich nach dem Erfolg erstmal verzogen haben? Ja der spaltet halt schön weiter. Mal sehen, wann er seinen Posten bei Gazprom bekommt