Europawahl und Bier: Mit der Trinkerwelt auf du und du

Po­li­ti­ke­r:in­nen fürchten am Sonntag leere Wahllokale. Und so locken manche das Wahlvolk mit Freibier. Toppen kann das nur die Bier-Partei.

Bierkrug

Hinten Anstellen! Und nur ein Bier pro Briefwahlantrag! Foto: imago

Wir müssen über Bier reden. Kein Getränk mit Wumms ist langweiliger als das Gebräu aus Hopfen und Malz. Okay, für mache ist es ein Volksgetränk, für mich ist jeder Schluck, als würde man mich in eine Lederhose mit Enzian am Brustgurt pressen.

Ich hatte gehofft, um eine Bierkolumne drumrum zu kommen. Aber angesichts der Bierschwemme, die Deutschland mit den Europawahlen ereilt hat, kann sich selbst eine Bierignorantin wie ich dem nur schwer entziehen. Und das nicht, weil Bier und Politik mittlerweile eine untrennbare Einheit sind. Man kennt das ja allein vom „politischen Aschermittwoch“, bei dem ständig Trachtenjanker, Dirndl, Humpen durchs Fernsehbild getragen werden, während CSU-Chef Markus Söder sich größte Mühe gibt, mal Sätze ohne „Kifferconnection“, „Politiksimulaten“ und „wokenessfreie Zone“ zu formulieren, die aber trotzdem bierselig sein sollen. Vermutlich kann das selbst jeder Bierliebhaber nur mit drei Maß ertragen.

Auch die Bier-Partei hätte ich easy-peasy ignorieren können. Die hat mit ihrer Kandidatur für die Europawahlen schon jetzt ihren Wahlkampf für die nächste Bundestagswahl 2025 klargemacht. Jedenfalls sagte Spitzenkandidat Dominik Wlazny, ein österreichischer Kabarettist, Musiker und Arzt, sinngemäß, dass man bis nächsten Herbst getrost durchtrinken könne. Das passt, finde ich, vor allem zum Wahlslogan: „Mut zur Dichtheit“.

Bier-Tasting mit Pub-Quiz

Diese Bierkolumne muss sein, weil die Parteien offenbar große Angst vor dem Sonntag haben. Werden genug Bür­ge­r:in­nen an die Wahlurnen kommen? Wissen die eigentlich, was wir in Brüssel so machen? Kennt man uns überhaupt? Aber Parteien sind pfiffig. Jedenfalls die SPD in Elmshorn. Das ist eine Stadt in Schleswig-Holstein mit knapp 50.000 Ein­woh­ne­r:in­nen und einer Brauerei. In die hatte die SPD im Mai zu einem Bier-Tasting mit Pub-Quiz eingeladen. Die Sozis schmissen Runde um Runde Freibier und wer die meisten Quizfragen beantwortete, gewann eine Reise nach Brüssel.

Oder Duisburg in Nordrhein-Westfalen. Da fürchtete nicht allein die SPD, die hier stärkste politische Kraft ist, sondern gleich mal die gesamte Stadt, dass die Wahlhelfer am Sonntag die einzigen Gäste in den Wahllokalen sein werden. Und wieder mal bewiesen die Sozialdemokraten Einfallsreichtum. Wie bewegt man die Kumpel in der Stadt mit dem Status des ewigen Kohlereviers? Klar, mit Bier. Wer an einem sonnigen, luftigen Tag mit einem ausgefüllten Briefwahlantrag im Stadtteil Beeck zur SPD an den Infostand kam, der konnte seinen Zettel gegen ein Freibier tauschen. Es gab aber nur ein Bier pro Briefwahlantrag – damit war ein Besäufnis mit der SPD Beeck ausgeschlossen. Wäre es aber auch so, das Bier war alkoholfrei.

Ob das Bier alkoholfrei war, zu dem Landwirtschaftsminister Cem Özdemir mal in einen Stuttgarter Klub eingeladen hatte, ist mir nicht bekannt. Am Sonntag wählt nämlich nicht nur Europa, sondern auch Baden-Württemberg, nämlich neue Gemeinderats- und Kreistagsabgeordnete. Cem Özdemir hat dort im Mai die Grünen unterstützt. Die Idee „Auf ein Bier mit Cem Özdemir“ fanden die Schwaben aber super, das Event war rege besucht. Wer wollte nicht schon mal wissen, ob Özdemir mit Bier genauso gut umgehen kann wie mit Cannabis?

Manche sagen, Cannabis ist keine Droge, sondern eine Ersatzreligion. Kann schon sein, mit Religion kenne ich mich nicht sonderlich gut aus. Aber nicht nur Po­li­ti­ke­r:in­nen wissen, wie man das misepetrige Volk an die Wahlurnen kriegt, sondern auch Kirchenväter. In Bayreuth wird im Juni das Kreuzlai-Bier ausgeschenkt. Ein spezielles Gebräu, das die Katholiken in Oberfranken zu den Kirchenvorstandswahlen locken soll. Auch so eine Wahl ist Politik in Europa. Denn Franken, ganz gleich ob in Ober-, Mittel- oder Unterfranken, regieren insgeheim die Katholiken. Nach dem Desaster bei der Landtagswahl im vorigen Herbst erwähnt man dort besser nicht, dass man noch SPD-Mitglied ist.

Die Bier-Partei sollte in Bayern – Stichwort Oktoberfest – die besten Chancen haben. Doch ganz so süffig, wie die Partei selbst glaubt, ist sie gar nicht. Auch wenn ihr Lieblingsort, das Bierhaus Urban in der Berliner Urbanstraße, 24/7 geöffnet ist. Als Parteizentrale keine schlechte Wahl, will man die Funktionäre rund um die Uhr treffen. Man kann aber auch einen Profijob übernehmen. Momentan sucht die Bier-Partei laut ihrer Website eine oder einen Officemanager. Interessanter erscheint mir allerdings die Stelle der Communitymanagerin, die ebenfalls ausgeschrieben ist. Man kann es auch so formulieren: mit der Trinkerwelt auf du und du. Aber ich trinke ja kein Bier.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.