Alkohol in der Reha-Klinik: Ach, ich nehm noch 'n Eierlikörchen

In einer Reha-Klinik ist Alkohol streng verboten. Eigentlich. Aber Pa­ti­en­t:in­nen halten sich nicht unbedingt daran – unsere Autorin hat es erlebt.

Ein Sektkorken

„Und? Schon den Sekt geköpft?“ Foto: R. REbmann/imago

Wer jemals in einer Reha-Klinik war, weiß, dass dort striktes Alkoholverbot angesagt ist. Aus gutem Grund. Knapp 8 Millionen Menschen in Deutschland trinken Bier, Wein, Schnaps in „gesundheitlich riskanter Form“. So jedenfalls sagt es das Gesundheitsministerium – und meint damit, dass diese nicht unbedingt klein zu nennende Bevölkerungsgruppe zwischen 18 und 64 Jahren ein Alkoholproblem hat, also abhängig vom Fusel ist. Früher nannte man sie abfällig „Säufer“.

Das kann eine Reha-Klinik natürlich nicht unterstützen. Und doch kann es anders kommen.

Als ich ausgerechnet an meinem Geburtstag in der Reha-Klinik irgendwo in der Mitte der Republik – Ort und Name der Klinik müssen aus später verständlich werdenden Gründen geheim bleiben – ankam, zapfte mir eine Schwester zunächst Blut ab, wog und maß mich und erkundigte sich sodann nach meinem Befinden: „Und? Schon den Sekt geköpft?“

„Äh, ist Alkohol hier nicht streng verboten?“ „Die einen sagen so, die anderen so.“ Und schob hinterher: „Geburtstag hat man schließlich nur einmal im Jahr. Und die Wochen hier können lang werden.“

Mit Krücken, Jogginghosen und Golfschläger

Fortan beobachtete ich die Sache mit dem Alkohol und dessen „absolutem“ Reha-Verbot mit wachsendem Interesse. Um eines gleich vorweg zu schicken: Das war keine Enzugsklinik für allerlei Süchte, sondern eine knallhart orthopädische Einrichtung: Knie, Rücken, Hüfte, Brüche aller Art, so was. Manche Patient:innen, in der Reha-Sprache Re­ha­bi­li­tan­d:in­nen genannt, quälten sich mit Krücken, sorry, Unterarmgehstützen, über das Klinikgelände. Andere hingegen joggten täglich durch den Märchenwald, in dem sich die Klinik versteckte.

Ein Mann verschwand nach dem vormittäglichen Reha-Sport in der nahe gelegenen Golfanlage. Bis zum Ende unserer gemeinsamen Reha-Zeit habe ich nicht herausfinden können, was ihn eigentlich plagte. Schulter und Rücken sicher nicht, beim Golfen muss man, soweit ich als Nichtgolferin das beurteilen kann, beide Körperteile gekonnt einsetzen. Und man muss Kraft haben. So eine Tasche mit Golfschlägern kann schon mal über 45 Kilo wiegen. Hüfte und Oberschenkel schienen auch tippitoppi gewesen zu sein. Zumindest lief er stets mit schnellen Schritten vom Ergometerraum zur Gymnastikhalle und von dort in die Schwimmhalle.

Sicher flitzte er behände von Golfloch zu Golfloch. So stellte ich es mir jedenfalls vor. Was mich aber vielmehr interessierte: Trug er dabei seinen Golfschläger in der einen Hand und eine Bierflasche in der anderen? Im Eppendorfer, einer Zeitschrift für Psychiatrie und Soziales, hatte ich gelesen, dass 40 Prozent aller Gol­fe­r:in­nen während ihrer Stunden auf dem Rasen und den Hügeln Alkohol zu sich nehmen: Bier, Sekt, Schnaps. Bei Turnieren sogar noch mehr. Die Folgen sind mitunter dramatischer als bei einem gewöhnlichen Fahrradunfall: schwere Schädel- und Augenverletzungen, Knochenbrüche, Risse innerer Organe. Hervorgerufen durch Golfschläger mit Rückschwung oder querfliegende Golfbälle. So ein geschlagener Golfball kann eine Geschwindigkeit von 300 Stundenkilometer bekommen. Der Eppendorfer titelte mit: „Golf: Handicap Alkohol.“

„Alkohol ist immer schlecht“

Dass Alkohol eine solch verheerende Wirkung haben kann, war mir bis dahin nicht bewusst. Die Ernährungsberaterin, deren Vorträgen zu Kalorien, der Lebensmittelpyramide und Alkohol wir lauschten, setze noch einen oben drauf. Mit bebender Stimme dozierte sie: „Alkohol ist immer schlecht.“ Aber räumte sie ein, es gebe ja auch noch das Leben und manchmal könne man Alkohol nicht vermeiden. „Aber ich sage mir dann immer: höchstens mal ein kleines Gläschen Wein am Wochenende.“ Am nächsten Morgen reinigt sie ihren Körper mit Wasser und Glaubersalz.

Die Re­ha­bi­li­tan­d:in­nen hörten es – und pilgerten in immer größer werdenden Gruppen immer öfter ins Eiscafé im nahe gelegenen Ort zu Kaffee, Kuchen und Aperol Spritz. Andere besorgten sich Alkopops und kippten sich diese draußen auf der Reha-Wiese hinter die Binde. Diese Scham legten vier Frauen, die beim Essen immer zusammensaßen, irgendwann ab und knackten das Büchsenbier drinnen im Foyer.

Das konnte nur Orangen-Schmidt toppen. Das ist ein kleiner Bioladen im Ort, der freitags ab 15 Uhr selbstgemachten Eierlikör und Erdbeerbowle ausschenkt. Vorher reicht Orangen-Schmidt – er heißt wirklich so – Gin, Johannisbeerlikör, Kräuterschnaps zum Verkosten. Eine klassische Win-win-Situation: Besser gelaunt als im Hof von Orangen-Schmidt kann man in der Reha-Zeit nie sein – und bei ihm klingelt die Kasse.

Orangen-Schmidt ist eine Legende im Ort. Wenn freitags die halbe Reha-Klinik in den Hof einrückt, zieht es auch Eingeborene zu ihm. Manche sind so alt, wie ich gern werden würde, mit Eierlikör haben sie beste Laune und sagen nie nein, wenn man sie fragt, ob sie noch ein Likörchen wöllten. Orangen-Schmidt füllt auf, auch seine Laune steigt zusehends. Aber irgendwann ruft er: „Feierabend.“

Bei Orangen-Schmidt bleibt immer mal was liegen: Regenschirme, Taschentücher, Handys. Nach vier Eierlikören schaute sich eine 80-jährige Anwohnerin suchend um: „Wo hab' ich nur meinen Rollator abgestellt?“

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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