Argentiniens Präsident Milei in Hamburg: Der Kettensägenmann kommt
Javier Milei wird in Hamburg von der rechtsliberalen Hayek-Gesellschaft geehrt. Gegen seine brachiale, marktradikale Politik gibt es Protest.
Globalisierungskritische und lateinamerikanische Exil-Gruppen haben sich zusammengetan und den „Monat Anti-Milei“ organisiert. In mehreren deutschen Städten veranstalten sie ein „Programm gegen rechte internationale Netzwerke und das EU-Mercosur-Handelsabkommen“. Neben Vorträgen, Paneldiskussionen und Ausstellungen in Berlin, Kassel und Hamburg gipfelt der Protest in der alternativen Preisverleihung der „rostigen Kettensäge“ an Milei.
Milei hatte schon vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten im Dezember eine „Schocktherapie“ für Argentinien angekündigt. Gern zeigt er sich auf der Bühne mit einer Kettensäge als Symbol für seinen radikalen Sparkurs und den Abbau des Sozialstaats. Das Land befindet sich seit Jahren in einer Wirtschaftskrise, in den vergangenen zwölf Monaten sind die Verbraucherpreise um 289 Prozent gestiegen.
Milei ist es zwar gelungen, das Inflationstempo zu drosseln, im April war die Inflationsrate mit 8,8 Prozent seit Langem mal wieder einstellig, Konjunktur und Konsum schwächeln jedoch. Vor allem die unteren und mittleren Einkommensgruppen leiden unter seinen Maßnahmen. Der internationale Währungsfonds hat seine Wachstumsprognose für Argentinien kürzlich um 5,6 Prozentpunkte nach unten korrigiert – auf minus 2,8 Prozent.
Pressefreiheit eingeschränkt, Knüppel frei für die Polizei
In den ersten sechs Monaten seiner Amtszeit hat Milei den Peso abgewertet, die Renten gekürzt und mindestens 15.000 Staatsangestellte entlassen. Er hat die Pressefreiheit eingeschränkt, die Ausgaben für das Bildungssystem radikal gekürzt – und Demonstrationen dagegen mit brutaler Polizeigewalt niederknüppeln lassen.
Der exzentrische Präsident, der kürzlich bei der Vorstellung seines neuen Buches auf der Bühne selbst einen Rocksong sang, geht nun auf Europatour. Vom 13. bis zum 15. Juni ist er zum G7-Gipfel in Italien eingeladen. In der folgenden Woche wird er in Prag und in Madrid Preise von liberalen Thinktanks annehmen.
Milei vernetzt sich mit anderen Rechten und Libertären. Bereits im vergangenen Monat war er in Spanien auf einer Wahlkampfveranstaltung der rechtsextremen Vox aufgetreten. Mit dabei waren unter anderem auch Georgia Meloni, Viktor Orbán und Marine Le Pen.
Zum Ende seiner Europareise wird Milei am 22. Juni im Hotel Hafen Hamburg von der Hayek-Gesellschaft geehrt. In der Begründung für die Preisverleihung beschreibt die Gesellschaft ihn als „leuchtendes Beispiel für die Kraft liberaler Ideen“. Mit seinem „unerschrockenen Eintreten für individuelle Selbstbestimmung und freie Märkte“ steht Milei tatsächlich genau in den Fußstapfen des Namensgebers der Gesellschaft und bezieht sich regelmäßig auf ihn.
Friedrich August von Hayek war gemeinsam mit seinem Lehrer Ludwig von Mises ein bedeutender Theoretiker der sogenannten Österreichischen Schule. Die Ökonomen stehen für eine marktradikale Denkweise, die spätestens ab den 1970er-Jahren maßgeblich die Entstehung des modernen Neoliberalismus beeinflusste. In ihren zahlreichen Büchern und Aufsätzen beschreiben sie, wie sich der Staat aus dem Spiel der freien Märkte heraushalten müsse, da jegliche Form der wirtschaftlichen Planung zur Unterdrückung der individuellen Freiheit und in den Autoritarismus führe.
Die Hayek-Gesellschaft wurde 1998 von Wirtschaftswissenschaftler*innen, Jurist*innen und Unternehmer*innen in Freiburg gegründet. Ihr Ziel ist es, die Theorien von von Hayek in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu tragen.
Streit um Abgrenzung nach rechts
Im Vorstand sitzen zahlreiche Mitglieder der FDP. Unter den Mitgliedern ist Hans-Georg Maaßen, Vorsitzender der Werteunion und ehemaliger Verfassungsschutzchef, der auch auf einer Podiumsdiskussion während der „Hayek-Tage“ redet. Auch Unternehmer wie Theo Müller von Müller-Milch gehören zur Hayek-Gesellschaft. Müller nennt die Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion, Alice Weidel, eine Freundin, die öfters bei ihm zu Hause zu Besuch sei.
Immer wieder gab es internen Streit über eine fehlende Abgrenzung nach rechts und zur AfD. 2015, 2017 und 2021 kam es zu Austrittswellen. Die AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch und Peter Boehringer sind weiterhin Mitglieder.
Neben der Verleihung der Hayek-Medaille an Milei soll es an dem Wochenende auch zu einem Treffen mit Olaf Scholz kommen. Bereits im Januar hatten sie telefoniert, dabei ging es auch um das EU-Mercosur-Abkommen. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem lateinamerikanischen Länderbund wird bereits seit über 20 Jahren verhandelt. In den letzten Jahren lagen die Verhandlungen immer wieder auf Eis. Zu groß waren die Bedenken einzelner Länder etwa in Bezug auf den Schutz des Regenwaldes.
Bettina Müller, beim Verein Power-Shift für Handels- und Investitionspolitik zuständig und Mitorganisatorin des „Monat Anti-Milei“, kritisiert das anstehende Treffen. „Ich befürchte, dass das Abkommen wieder auf dem Tisch liegen könnte. Auch Scholz ist ein Verfechter des Abkommens“, sagt sie. Ein Zustandekommen wäre ihrer Ansicht nach allerdings desaströs, sowohl ökologisch als auch für die regionale Wirtschaft in Lateinamerika. „Das Abkommen würde den Pestizideinsatz massiv ausweiten, die Abholzung verstärken und ungleiche Strukturen zwischen Groß- und Kleinbauern in Lateinamerika vergrößern“, konstatiert sie.
Neben den Gefahren des Abkommens wollen die Organisator*innen des Protests darauf aufmerksam machen, dass Milei auf seiner Reise internationale rechte Netzwerke knüpft und pflegt. „Wir wollen mit dem Protest auch die globale Dimension von Mileis Projekt beleuchten“, sagt Lucio Piccoli vom Bloque Latinoamericano Berlin. „Milei hat gute Verbindung zu Elon Musk, Donald Trump und Rechten in Europa. Wir demonstrieren nicht nur wegen der Situation in Argentinien, denn diese hängt auch mit dem Rechtsruck in Deutschland, Europa und anderswo zusammen“, sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“