Rechte Jugend in Ostdeutschland: An der Grenze

Nirgendwo erhielt die AfD so viele Stimmen wie im Landkreis Görlitz. Viele junge Menschen wählten hier rechts. Wie geht es denen, die sich dagegenstemmen?

Ein altes Gebäude an einem Marktplatz.

Ein um­kämpfter Ort in Sachsen: das Rathaus in Zittau, Landkreis Görlitz Foto: Gabriele Hanke/imago

ZITTAU/GÖRLITZ taz | Noch ist es ruhig rund um das Zittauer Rathaus. Der Neorenaissancebau wirft lange Schatten in der Nachmittagssonne, ein paar wenige Pas­san­t:in­nen sind unterwegs, zu hören ist das Klackern von Ösen gegen die Fahnenmaste. Sechs Flaggen hängen insgesamt vor dem Torbogen des Rathauses: EU, Bundesland Sachsen, Landkreis Görlitz auf der einen Seite, Tschechien, Polen und Deutschland auf der anderen Seite. Die 25.000-Einwohner-Stadt liegt im Dreiländereck, Europa ist hier fußläufig.

Auf dem warmen Kopfsteinpflaster des Marktplatzes hocken Alena, Lothar und Johanna. Sie warten darauf, dass noch eine siebte Flagge dazu kommt. Um 18 Uhr an diesem Montag soll Oberbürgermeister Thomas Zenker zum Kick-off des diesjährigen Christopher Street Days am wichtigsten Gebäude der Stadt die Pride-Flagge hissen. Die Stimmung ist trotzdem so mittel. Es ist der Tag nach den Wahlen. Wahlkater.

„Man fühlt sich irgendwie unnötig“, sagt Alena. „Fast als wäre die eigene Stimme wertlos.“ Die AfD bekam im Landkreis Görlitz, in dem auch Zittau liegt, bei Kommunal- und Europawahl so viele Stimmen wie sonst nirgendwo in Deutschland. Alena und Lothar sind 17, Johanna ist 16. Alle drei haben das erste Mal gewählt. Geschockt seien sie nicht, bedrückt treffe es eher.

Und aktuell vermissten sie die Schule ein bisschen, denn dort könnten sie so was immer gut und offen besprechen. Gerade sind sie im Praktikum: zwei im Gastrobereich, eine beim Tierarzt. „Und da ist natürlich völlig klar, dass viele Kollegen die AfD gewählt haben, und mit denen will man es sich nicht verscherzen“, sagt Johanna. „Ich mag die ja auch alle.“

Wenn nicht gerade Praktikum ist, gehen die drei zusammen auf die Schkola, eine Schule mit alternativem Lernkonzept: flache Hierarchien, weltoffene Ausrichtung. Rechtsextreme Mitschüler seien da kein Thema. Bei einer Mädchengruppe, die in der Zwischenzeit dazugestoßen ist, sieht das anders aus. Sie sind nicht im Praktikum und mussten am Vormittag im Deutschunterricht mit einem ihrer Klassenkameraden rumdiskutieren.

„Unsere Lehrerin hatte gefragt, ob wir Mitteilungsbedarf hätten, und der Typ meinte dann, dass ihm die queere Szene extrem auf den Keks geht und heterosexuelle Menschen in ihrer Daseinsberechtigung eingeschränkt werden. Und dass man endlich die Grenzen zu Polen und Tschechien zumauern muss.“ Es sei nur dieser eine Schüler gewesen, aber auch wegen Leuten wie ihm seien sie heute hier.

Kooperation zwischen Linken und AfD

Als sich dann um 18 Uhr zwei junge CSD-Organisator:innen auf eine Bank vor dem Rathaus stellen und an die Dutzenden Zu­hö­re­r:in­nen appellieren, hier und heute den Mut nicht zu verlieren, beginnt zeitgleich auf der anderen Seite des Rathauses ein Hupkonzert. Niemand hebt auch nur die Augenbraue, es ist schließlich Montag. Seit Jahren schon versammeln sich auf der Rückseite Hunderte Rechte und hetzen gegen die Regierung, Einwanderer, das System. Wie an so vielen anderen Orten in Sachsen, hat sich auch hier der ehemalige Protest gegen die Coronamaßnahmen radikalisiert.

Menschen bei einer Demonstration.

Demo und Gegendemo am Montag Foto: Leonie Gubela

Eine Besonderheit in Zittau ist, dass die demokratische Zivilgesellschaft ähnlich routiniert dagegen hält. Heute inklusive dem Oberbürgermeister, der bei seiner CSD-Ansprache mahnt, sich bloß nicht einreden zu lassen, an der Wahl sei irgendwas faul gewesen, oder dass jemand, der mit demokratischen Mitteln gewählt wurde, per se ein Demokrat sei. Zenker predigt zu den Bekehrten, man bekommt das Gefühl, seine Rede wäre auf der anderen Seite des Rathauses besser aufgehoben.

Trotzdem ist der Jubel euphorisch, die Wählergemeinschaft „Zittau kann mehr“ (Zkm), der Zenker vorsteht, hat viel Rückhalt in der Stadt. Obwohl die AfD rund 8 Prozentpunkte dazugewann, hat Zkm mit Plakaten wie „Zittau kann mehr … Menschen vertragen“ oder „Zittau kann mehr … als schlechte Laune“ kaum an Stimmen eingebüßt.

Unaufgeregt wirkt Zenker Stunden vor dem CSD-Kick-off in seinem Büro im Rathaus. Wenn auch etwas desorientiert. Denn seit gestern spät in der Nacht sei er damit beschäftigt, herauszufinden, „wie die Lage drumherum so ist“. Mit den Nachbargemeinden hat man gemeinsame Zweckverbände für das Gewerbegebiet, für das Abwasser, bildet eine touristische Gebietsgemeinschaft und, und, und.

„Da ist extrem wichtig zu wissen, wie stabil die Kolleginnen und Kollegen aufgestellt sind. Können die noch sichere Entscheidungen treffen, oder wird alles, was sie tun, demnächst im Stadtrat hinterfragt?“ Blockadesituationen hat er in seinen neun Jahren im Amt selbst genug erlebt, insbesondere als sich eine Zeitlang AfD und Teile der Linken zusammentaten. Eine „ziemlich merkwürdige Situation“, für die er sich mehr mediale Aufmerksamkeit gewünscht hätte.

75% der Schule stimmen für die AfD

Zu viel Aufmerksamkeit hingegen habe bekommen, was sich im April 2023 während einer Stadtratssitzung abspielte. Damals hatten Flüchtlingsgegner den Ratssaal gestürmt, um gegen eine geplante Asylunterkunft zu protestieren. Zenker stellte sich ihnen damals stoisch entgegen und hat den Vorfall längst abgehakt. Trotzdem sei das, was sich Montag für Montag auf der Rückseite des Rathauses abspiele, „nicht als Alltag auszuhalten“. Spätestens zur Mittagszeit werde es an diesen Tagen ruhiger im Gebäude, die Kol­le­g:in­nen wechseln ins Homeoffice.

Eine 16-Jährige, die mit den Rekord-Ergebnissen der AfD zufrieden ist

„Ich bin nicht unzufrieden mit Zittau generell, aber mit den ganzen Ausländern“

Hannah und Nadja, 13 und 16 Jahre alt, finden an den rechten Aufmärschen so gar nichts bedrohlich. Sie stehen dicht nebeneinander in der hintersten Reihe und applaudieren etwas zeitverzögert, während auf der Bühne ein Mitglied der Partei „Die Basis“ seine Pläne für eine „neue Demokratieform“ darlegt, „bei der alle mitspielen dürfen“. Immer wenn sie montags Zeit haben, kommen die zwei Mädchen aus einer der umliegenden Ortschaften mit dem Mofa her. Sie können sich im Wahlergebnis sehr gut wiederfinden, bei der U-18-Wahl in ihrer Schule hätten 75 Prozent für die AfD gestimmt.

Genervt sind sie beide von den Lehrern, die dann immer so enttäuscht täten und versuchten, die Schüler zu lenken. „Ich bin nicht unzufrieden mit Zittau generell, aber mit den ganzen Ausländern“, sagt Nadja, die, wie Hannah auch, eigentlich anders heißt. Letztens sei sie im Club angegrabscht worden, zum Glück seien ihr ein paar Jungs zur Hilfe gekommen. „Ich glaube einfach, dass viele Menschen Angst vor dieser Asylflut haben, wir haben zu viele Ausländer reingelassen.“

Am nächsten Tag in der nächstgrößeren Stadt Görlitz. Am Bahnhof stoßen sich zwei Jungs um die 14 gegenseitig mit den Ellbogen in die Rippen, während sie gemeinsam in Richtung Ausgang gehen. Das bunte Werbeplakat zum Pride Month ist noch gar nicht in Sichtweite, da ziehen sie schon die Rotze hoch. Kurz davor bleiben sie stehen, spucken gegen die Aufschrift „Farbe zeigen“ und laufen weiter zur Tram.

„Das sind alles Trendnazis“

Ein paar hundert Meter weiter auf dem Wilhelmsplatz stehen Elias, 19, Michael, 18, Henning, 18, und Theo, 18, zusammen. Nichts liegt ihnen ferner, als auf Regenbogenplakate zu spucken. 37,2 Prozent bekam die AfD im Stadtrat. Die ganzen jungen Leute, die für die Rechten gestimmt hätten, „das sind alles Trendnazis“, glauben sie. „Die labern das von Tiktok nach, da ist so viel Schmutz unterwegs.“ Ein Freund von Elias sei sein Leben lang genauso links gewesen wie er, dann habe er aufgehört zu kiffen und gesagt, er sei jetzt Nazi. „Seine Mutter war immer linker als er. Er ist das perfekte Beispiel eines Trendnazis.“

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Sie alle wollen ihre Zwanziger zwar dringend woanders verbringen, fühlen sich aber noch halbwegs wohl in Görlitz. „Wir sind ja aber auch nicht die, die Probleme bekommen würden“, sagt Henning. Seine Freundin habe asiatische Wurzeln „und da überlegen wir uns schon, ob wir nicht zu ihrem Schutz und zum Schutz unserer zukünftigen Kinder in den Westen ziehen wollen.“

Das mit den Trendnazis sieht Dorothea Schneider etwas anders. Die 39-Jährige ist Vorsitzende des Vereins „Augen auf“. Sie engagiert sich seit ihrer Jugend gegen den Rechtsextremismus in der Region. Egal welcher der vielen Proteste gegen rechts, die im Landkreis wöchentlich so stattfinden, Schneider ist schon da und managt die Lage. Vergangenen Winter baten einige Schü­le­r:in­nen sie, ihnen dabei zu helfen, montags wieder Gegenproteste vor dem Rathaus in Zittau auf die Beine zu stellen. Schneider organisierte, vernetzte, beriet und ermutigt die Jugendlichen seitdem, immer wieder selbst ans Mikro zu treten.

Sie beobachtet, wie ihre jungen Mit­strei­te­r:in­nen immer selbstbewusster würden, dass der gemeinsame Kampf zu einer Art „Rettungsanker“ geworden sei. Das Wahlergebnis hat sie kommen sehen, auch den Rechtsruck unter den Jüngeren. Dass das nur ein Trend sei, glaubt sie nicht. „Man muss schon generell sehr offen rechten Positionen gegenüber sein.“

Einfluss habe natürlich, welches Weltbild im Elternhaus vorherrsche, in der Kita, in der Schule und dann beobachte sie auch, dass gerade junge Mädchen sehr auf das Gehabe rechter Typen abfahren würden, den Style, das toxisch Männliche.

Immer mehr Menschen melden Demos an

Besonders wichtig sei aber sicherlich die Selbstwirksamkeit, „dass die in ihren Gruppen merken, sie sind stark, sie sind präsent, sie sind einschüchternd.“ Und deswegen ist ihr Selbstwirksamkeit auch so wichtig für die Jugendlichen, die seit Monaten unermüdlich immer montags auf der demokratischen Seite des Rathauses stehen.

Schneider hat sie einfach machen lassen und wurde dann dafür kritisiert, dass Antifa-Fahnen wehten. Das könnte ja die Leute verschrecken. „Und ich denke mir, die Jugendlichen werden hier durch die Stadt gejagt, die haben keinen Jugendclub mehr, in den sie ohne Weiteres gehen können, die treffen sich privat und werden noch verfolgt.“

Mittlerweile sei ihr der Protest fast zu bürgerlich geworden, sie würde sich wünschen, die jungen Leute würden mal wieder mehr „Alerta!“ rufen – „weil ich genau weiß, was dieser Moment denen gibt“.

Schneider, die mit 16 von Dresden nach Zittau kam und damals völlig überfordert gewesen ist mit der Gewalt, die ihr hier entgegenschlug, ist dankbar, dass es Initiativen wie „Augen auf“ gab. Jetzt ist sie dabei, die Menschen nach der Wahl wieder ein bisschen aufzubauen. „Besonders die Jüngeren sind frustriert und denken, dass all der Protest vermeintlich nichts gebracht hat.“

Doch es mache sie zuversichtlich, wenn immer mehr Menschen ihr aktuell berichten, eine Demo angemeldet zu haben. Wenn sie in der Öffentlichkeit bepöbelt und bedroht wird, wenn sie Hasspostings gegen sich liest, sind das für sie Erfolgsindikatoren. Es bedeutet, dass das Engagement für Demokratie die Leute immer noch triggert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Veranstaltung zur Frage, was in diesem Wahljahr auf dem Spiel steht. Vor Ort in Erfurt, Chemnitz und Cottbus. Alle Infos und Anmeldung: taz.de/panterforen

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.