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Vom Ahrtal ins Tiny HouseDas Leben nach der Flut

Die Mutter unserer Autorin verlor in der Ahrtal-Flut vor drei Jahren ihr Zuhause und zog in ein Tiny House. Was braucht sie, um glücklich zu sein?

Wohnküche mit bodentiefen Fenstern: Platz ist in der kleinsten Hütte Foto: Lena Frings

Meine Mutter lebt in einem Tiny House. Es ist 34 Quadratmeter groß und steht auf einer Wiese zwischen Rosenhecken und Pflaumenbäumen, flankiert von zwei großen Einfamilienhäusern. Seit drei Jahren lebt sie jetzt schon darin. Ihr vorheriges Zuhause verließ sie nicht freiwillig. Die Flutkatastrophe im Ahrtal zerstörte 2021 ihre Mietwohnung und mein Elternhaus, ein paar Straßen weiter. Nach der Flut wurden im Ahrtal 170 Tiny Houses aufgestellt. Meine Mutter konnte für eine monatliche Gebühr von 400 Euro eines davon beziehen. Sie wohnt gerne in diesem Tiny House.

Menschen wollen beides: Wohlstand und Sicherheit. Vertrackterweise ist es gerade unser Wohlstand und unsere Art zu leben, die die Welt unsicherer machen. Um das auszutarieren, müssen wir in verschiedenen Lebensbereichen den Sweetspot zwischen Wohlstand und selbst auferlegter Beschränkung finden, der sich angesichts des Klimawandels rechtfertigen lässt – auch beim Wohnen. Es war unter anderem die dichte Bebauung, die die Flut im Ahrtal so verheerend ausfallen ließ. Wie viel Platz braucht es also zum Leben? Und wie viel zum guten Leben?

Es gibt darauf unzählige Antworten, die sich je nach Lebensphase ändern können. Hätte ich meine Mutter vor dreißig Jahren gefragt, hätte sie vermutlich gesagt: Ein Haus mit einem großen Garten! Das waren die Wohnverhältnisse, in die ich hineingeboren wurde: Ich wuchs in einem alten Haus mit Garten auf, in dem wir als Kinder herumtollten. 120 Quadratmeter für eine Familie. Die nächste Station war für meine Mutter nach der Trennung eine Wohnung mit rund 60 Quadratmetern. Sie hatte sich gerade fertig eingerichtet, als die Flut sie am Abend des 14. Juli 2021 überraschte. Sie entkam dem Wasser so gerade noch, durchs Fenster. Es folgten Monate in Gummistiefeln und Gästezimmern.

Und dann das Tiny House, 34 Quadratmeter. Wieder ein neuer Ort. „Das hätte ich damals auch nicht gedacht, dass mein Leben so verläuft“, sagt sie. Dennoch fühlt sie sich wohl. Da kann der Wind noch so sehr an der Plastikfassade rütteln, hier drinnen hat sie wieder ihren Platz. Doch auch aus dem Tiny House muss sie bald wieder raus – bis Ende des Jahres muss sie ausziehen.

Einer der Gründe dafür: Das Häuschen entspricht nicht der Bauordnung. In Rheinland-Pfalz ist unter anderem festgelegt, dass die Deckenhöhe in Wohnräumen 2,40 Meter hoch sein muss. In Hamburg reichen 2,30 Meter aus, in Berlin sind es sogar 2,50 Meter. Das Häuschen, in dem sie nun seit drei Jahren lebt, und mit dessen wenigen Quadratmetern sie gut zurechtkommt, ist also laut Baurecht zu klein für sie.

Herbert Hofer, Vorstandsmitglied der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, schmunzelt ein bisschen, als ich ihm von der Situation meiner Mutter erzähle. Dass es diese Regelungen im Baurecht gibt, hat natürlich gute Gründe.

„Die Terrasse werde ich am meisten vermissen“, sagt Annette Frings Foto: Lena Frings

Wohnen muss Bedürfnisse erfüllen

Vor etwa 150 Jahren noch war das Wohnen mancherorts sehr beengt, es entstand der Begriff der Mietskaserne. Eigentümer machten Geld mit kleinen Parzellen, Hinterhöfe wurden zugebaut, sodass die dort gelegenen Zimmer kaum Luft und Licht erreichte. Mehrköpfige Familien hausten oft gedrängt in einem Zimmer. Die Kinder schliefen auf dem Fußboden und manchmal war es in den Räumen so feucht, dass sich Schimmel ausbreitete und die Tapete von den Wänden löste.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Als Reaktion auf diese unmenschlichen Verhältnisse wurden Vorschriften formuliert – um Mie­te­r*in­nen zu schützen. Mindestmaße sind also zunächst einmal gut, denn: Man kann auch zu wenig Platz zum Leben haben. Was diese Regel jedoch eigentlich zu fassen versucht, so Architekt Hofer, sei das Bedürfnis nach Privatsphäre, nach Licht, Luft und Wärme. Es geht also darum, dass Wohnen menschliche Bedürfnisse erfüllen muss.

Hofer ist begeistert von der Idee, Wohnraum möglichst effektiv zu nutzen. Er entwirft gelegentlich selbst Tiny Houses, die dann allerdings dem Baurecht entsprechen. Richtig in Fahrt kommt er, als er vom Ownhouse erzählt. Das sieht fast aus wie ein Tiny House, ist aber quasi next level. Das Ownhouse wurde von seinem Erfinder Klemens Jakob im Sinne maximaler Nachhaltigkeit konzipiert. Es kann aus natürlichen Materialien wie Holz und Lehm selbst gebaut werden, um darin autark zu leben. Gemüse wächst im Wintergarten, das Regenwasser wird durch eine Pflanzenkläranlage gereinigt. Und das alles auf 18 Quadratmetern!

Der plötzliche Verlust des Zuhauses traumatisiert

Gerade in puncto Nachhaltigkeit unterscheidet sich das Ownhouse von gewöhnlichen Tiny Houses denn besonders nachhaltig sind Letztere nicht unbedingt. Das Tiny House meiner Mutter ist etwa nicht gut gedämmt, die Wände sind dünn und der Stromverbrauch ist darum relativ hoch. Hofer ist dennoch überzeugt: Wer minimalistisch lebt, der verbraucht weniger. Schließlich muss weniger Wohnfläche beheizt werden, und viel besitzen kann man auch nicht, dafür fehlt schlicht der Platz. „Ich habe hier nur das, was ich wirklich brauche“, sagt auch meine Mutter. Vieles, was sie früher besaß, benötigt sie hier nicht.

Vielleicht sollte man die Frage also anders formulieren – offenbar geht es beim Wohnen weniger um die Quadratmeterzahl als vielmehr um die Frage: Was braucht es fürs gute Wohnen?

Hofer sagt: „Wenn wir die Bedürfnisse ans Wohnen herunterbrechen, ist es zunächst Schutzbedürfnis. Die erste Schutzhülle ist die Haut, die zweite die Kleidung und die dritte ist sozusagen der Wohnraum.“ Das meint er ganz praktisch, als Schutz vor Hitze, Regen und Kälte. Aber auch psychologisch gesehen sind die eigenen vier Wände ein Schutz vor der Außenwelt. Sie sind Abgrenzung und ermöglichen Privatsphäre.

Was passiert, wenn diese Schutzhülle fehlt, hat der Architekt Hofer selbst erlebt. Er steht regelmäßig in Schuld, einem Dorf an der Ahr, an einem Infopoint. Dieser ist ein gemeinsames Angebot des Helfer-Stabs, der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz und der Architektenkammer. Ex­per­t:in­nen beraten hier zum Wiederaufbau. Manche Menschen, die zu ihm kämen, kämpfen seit der Flutkatastrophe mit Traumata. Hofer befasst sich also als Architekt auch mit Schwierigkeiten im Wiederaufbau, die psychologischer Ursache sind. Dass man durch den Verlust des Zuhauses über Nacht traumatisiert werden kann, leuchtet ein: Schließlich wird der vermeintliche Schutz vor dem Außen jäh zerstört.

Immer mehr Raum für immer weniger Menschen

Schutz vor dem Außen suchen die Deutschen in den letzten Jahrzehnten auf immer mehr Wohnraum. Lebte eine Person in Deutschland 1991 im Durchschnitt noch auf 34,9 Quadratmetern, standen einem Menschen im Jahr 2021 bereits 47,7 Quadratmeter zur Verfügung. Das ist ein Anstieg von 37 Prozent binnen 30 Jahren. Bedürfnisse sind dadurch allerdings nicht zwingend besser erfüllt: Viele ältere Menschen haben wesentlich mehr Wohnraum zur Verfügung, als sie brauchen, und fühlen sich in leeren Zimmern einsam, junge Familien drängen sich in engen Wohnungen.

Womit wir beim nächsten Thema wären: Was es aktuell am dringendsten braucht, ist mehr bezahlbarer Wohnraum in den Städten. Für viele Menschen ist die Miete der größte Ausgabenposten. Hierzulande leben mehr als die Hälfte der Menschen in Mietwohnungen, Höchstwert in der EU. In den vergangenen 30 Jahren ist jedoch – parallel zur steigenden Quadratmeterzahl – die Anzahl an Sozialwohnungen zurückgegangen und der Mietpreis pro Quadratmeter gestiegen. Hofer fordert daher, dass das Wohnraumschaffen einfacher werden müsse. Das hieße auch: „Man müsste schauen, welche Regelungen wirklich notwendig sind.“

Hofer wünscht sich mehr Flexibilität. Für sinnvolle Lösungen müsse man verschiedene Wege gleichzeitig gehen. Vor meinem inneren Auge entstehen Städte, in denen Tiny Houses in Baulücken stehen und die sich organisch nach den Bedürfnissen der Menschen entwickeln. An der Ahr ist genau das gelungen – die Not hat flexibel gemacht. Durch eine Kooperation der Gemeinden, dem Aktionsnetzwerk „Deutschland hilft“ und der Tatkraft vieler Helfenden konnten nach der Flut die Tiny Houses aufgestellt werden, von denen auch meine Mutter eines bewohnt. Diese Art von unbürokratischer Kooperation war „ein absoluter Sonderfall in unserer gesamten Geschichte“, erklärt Birte Steigert vom Aktionsnetzwerk „Deutschland Hilft“.

Wo sie gebraucht werden

Könnte das auch eine Lösung für Süddeutschland nach dem Hochwasser sein? Dazu Steigert: „Angesichts von Flutkatastrophen wird das in Zukunft ein wichtiges Thema.“

Was mit den Tiny Houses im Ahrtal passiert? Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Viele sind in den Besitz der Gemeinden übergegangen, werden weggekarrt und anderweitig genutzt. Sie waren schließlich von Anfang an nur als provisorische Notlösung gegen drohende Obdachlosigkeit angedacht. Und vielleicht finden ein paar von ihnen auch den Weg dorthin, wo sie gerade dringender gebraucht werden.

Meine Mutter hat inzwischen eine neue Wohnung gefunden, im Herbst wird sie einziehen. Wenig zu besitzen, sagt sie, sei für sie mittlerweile auch eine Form von Freiheit geworden.

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