Deutsche Organisationen verlassen X: Haut endlich ab!

Auf X gibt es momentan eine Austrittswelle. Soll man die Plattform nun den Rechten überlassen? Die Antwort ist leicht: Ja, der Ort ist verloren.

leuchtendes riesiges Logo X auf einem Dach, wenige erleuchtete Fenster eines Hochhauses

„Str + X“ ist der Kurzbefehl für Löschen auf der Tastatur. Könnte sich X mal zu Herzen nehmen Foto: Carlos Barria/reuers

Und wieder eine weniger. Wer dieser Tage auf das X-Profil der österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl klickt, erhält eine Fehlermeldung. Das Profil existiert nicht mehr. Strobl, die vor allem zu Rechtsextremismus und der Neuen Rechten arbeitet, wird seit Jahren auf der Plattform bedroht.

Jetzt scheint sie es nicht mehr auszuhalten. „Ich habe einen der schlimmsten Shitstorms erlebt, den ich je auf Twitter erlebt habe. Es waren vor allem unterirdische Kommentare über mein Aussehen, meine Stimme und meine Psyche. Nachdem das drei heikle Themen für mich sind, wollte ich mich dem nicht mehr aussetzen“, schreibt sie bei Bluesky.

Der Abschied von X, ehemals Twitter, ist ein quälend langsamer. Spätestens seit Elon Musk übernommen hat, wird das Ende der Plattform herbeigeschrieben – auch in dieser Zeitung. Immer mehr Privatpersonen, Politiker_innen und Institutionen haben sich zurückgezogen. Doch so richtig aufgegeben wurde X noch nicht. Einige harren weiter aus, andere, wie Strobl, meldeten sich ab und kamen dann doch wieder zurück. Doch die Argumente, diesen Raum zu erhalten, zählen nicht mehr.

Twitter war noch nie ein repräsentativer Debattenort, aber einige fanden hier interessante politische Diskussionen und Perspektiven, auf die sie in den klassischen Medien nicht stoßen konnten. Doch seit Langem schon ist die Plattform dafür unbrauchbar geworden. Nützliche Funktionen wurden abgeschafft, die Algorithmen verändert, Menschen, die sich um Moderation und Sicherheit kümmerten, wurden gefeuert, gesperrte rechtsextreme Accounts zurückgeholt.

Desinformationen, Hass und Hetze

X gleicht heute einem Haifischbecken voller Faschos und Trolle. Es ist ein Ort, wo Musk mit der AfD kuschelt und progressive Stimmen gemobbt und bedroht werden. Ein Raum für Desinformation, Hass und Hetze. Jede Nutzer_in, jeder Klick bedeutet mehr Geld und Macht für den Multimillionär, der mit antisemitischen Verschwörungserzählungen, rassistischen, trans- und frauenfeindlichen Takes Aufmerksamkeit generiert. Wieso sollte man sich dort noch freiwillig auf­halten?

Ein häufiges Argument ist, man dürfe die Plattform nicht den Rechten überlassen. Man müsse dort präsent sein, dem ganzen rechten Müll linke Inhalte entgegensetzen und sich hinter die Bedrohten stellen. Doch so richtig die Solidarität mit den Bedrohten ist, so falsch ist X als Ort dafür. Die Rechten haben ihn übernommen, Musk hat es so gewollt. Diejenigen, die sich dem entgegenstellen, dringen schon lange nicht mehr durch. Das hinzunehmen, mag schwer sein, aber es gibt dort nichts mehr zu gewinnen.

Das Vorhaben, den Ort als Debattenraum zu erhalten, gleicht dem Versuch, in einem bayerischen Bierzelt die Leute zu überzeugen, keinen Alkohol zu trinken, in einer Nazikneipe am Tresen über Menschenrechte zu streiten oder beim Rammstein-Konzert über Feminismus zu diskutieren. Es ist vergebene Liebesmüh. Denn die Algorithmen belohnen rechte Hetze und halten linke und progressive Stimmen klein.

Neue Orte suchen

Viel wichtiger wäre es, den Ort zu einem irrelevanten zu machen. Dafür müssen in erster Linie Meinungsmacher_innen aus Politik, NGOs und Medien sich andere Kommunikations- und Profilierungstools suchen.

Doch welche? Bislang hat sich keine der vielen Alternativen, von Mastodon über Bluesky bis Threads, durchgesetzt. Doch vielleicht muss es gar kein Nachteil sein, wenn die Debatten sich nicht auf eine Plattform konzentrieren, sondern an vielen Orten gleichzeitig stattfinden. Schon jetzt sind viele der Stimmen, die einige bei X vermissen, an anderen Orten präsent. Und vielleicht wird sich irgendwann eine der Alternativen durchsetzen, das liegt in der Hand aller.

Dass diejenigen, deren Aufgabe es ist, die Rechtsextremen und ihre Umtriebe journalistisch und wissenschaftlich im Blick zu behalten und die Gesellschaft darüber zu informieren, mit einem Account auf der Plattform bleiben, ist relevant. Für alle anderen kann es nur heißen: Haut ab! Es wird nur noch schlimmer.

Vor wenigen Tagen haben 49 deutsche Organisationen, darunter die Ärzte der Welt und die Kindernothilfe, zum Internationalen Tag gegen Hate Speech ihre Accounts deaktiviert. Ein Schritt in Richtung der Irrelevanz der Plattform. Mögen den 49 viele nachfolgen.

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Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

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