: Ein ganz normaler Beziehungsmord
Das Landgericht verurteilt einen Türken zu lebenslanger Haft. Er hatte im Oktober seine deutsche Ehefrau erstochen, die ihn verlassen hatte. Für die Richter war das kein Ehrenmord, sondern eine Beziehungstat, wie sie auch unter Deutschen vorkomme
VON PLUTONIA PLARRE
Aus dem Nichts ist er plötzlich vor ihnen aufgetaucht. Dabei haben sich beiden Frauen zuvor eigens noch vergewissert, dass er nicht in dem Dönerimbiss ist. Erst dann haben die 24-jährige Steffanie C. und ihre Mutter Karin K. den Laden betreten, um der dreijährigen Hatice ein Bounty zu kaufen. Als sich der Verkäufer bückt, um den Schokoriegel hervorzuholen, steht der gebürtige Türke Mahmut C. auf einmal mit einem Küchenmesser in der Hand vor seiner deutschen Frau Steffanie. Zwei-, drei-, vier-, fünfmal rammt er ihr die Klinge in die Brust. Karin K. wirft sich dazwischen. Auch auf seine Schwiegermutter sticht Mahmut C. ein. Vor den Augen des Kindes brechen die Frauen blutüberströmt zusammen. Steffanie C. verstirbt in dem Imbiss. Zwei Stiche haben sie mitten ins Herz getroffen. Karin K. hat Glück. Die 52-Jährige kann durch eine Notoperation gerettet werden.
Das Verbrechen hat sich am 18. Oktober 2004 im Bezirk Prenzlauer Berg ereignet. Der 29-jährige Mahmut C. war drei Tage flüchtig. Dann stellte er sich der Polizei. Gestern hat ihn die 35. Strafkammer des Landgerichts zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe wegen Mordes und versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
Steffanie C. hatte sich von Mahmut C. nach sechsjähriger Ehe getrennt. Die Mutter von zwei Kindern musste sterben, weil sie ihr eigenes Leben leben wollte. Das eint sie mit der 21-jährigen Semra U., der 32-jährigen Meyrem O. und der 23-jährigen Hatun S. Die vier Frauen mit sehr unterschiedlichen Biografien sind alle in den Wintermonaten 2004/05 von ihren Exehemännern – bei Hatun S. stehen die Brüder unter Verdacht – getötet worden. Dass die mutmaßlichen Täter in allen Fällen türkischer beziehungsweise kurdischer Herkunft sind, hat dazu geführt, dass plötzlich der Begriff „Ehrenmord“ in aller Munde war. Die Publikationen einiger deutsch-türkischer Autorinnen taten ein Übriges, um die Debatte über Zwangsverheiratung und das Gefangensein türkischer junger Migrantinnen im engen Ehrenkodex ihrer Familien zu befördern.
Negative Begleiterscheinung der Diskussion ist allerdings, dass jede Bluttat im türkischen Milieu sofort unter den Generalverdacht gestellt wird, ein „Ehrenmord“ zu sein. Ein Mord also, bei dem der oder die Täter muslimischen Glaubens von in bestimmten Kulturkreisen vorherrschenden traditionellen Wertvorstellungen geleitet waren. Wertvorstellungen, bei denen der Mann seine Ehre über das normengerechte Verhalten der weiblichen Familienmitglieder definiert.
Auch der Mordfall Steffanie C. ist von der Öffentlichkeit als Ehrenmord eingestuft worden. Der Grund: Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen Mahmut C. Darin heißt es wörtlich: „Der Angeklagte sah seine Ehefrau, die sich von ihm getrennt hatte, als sein Eigentum an und wollte sich an ihr aus verletzter Ehre rächen. Auch gegenüber der Schwiegermutter ging es ihm darum, Rache zu nehmen, da er ihr die Verantwortung für die Trennung zuschrieb.“
Der mehrtägige Prozess gegen Mahmut C. hat die Annahme eines Ehrenmordes im klassischen Sinne allerdings nicht bestätigt. „Das war eine Beziehungstat, wie sie auch Deutsche gegen Deutsche verüben“, so der Vorsitzende Richter Ralph Ehestädt gestern nach der Urteilsverkündung.
„Dass Männer die von der Frau ausgehende Trennung nicht akzeptieren ist kein kulturelles, sondern ein patriarchales Problem“, sagt Irma Leisle, Leiterin der Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen (BiG). Pro Jahr gehen bei BiG rund 6.000 Anrufe ein. Die Polizei verbucht jährlich sogar rund 10.000 ihrer Einsätze unter dem Stichwort häusliche Gewalt. Todesopfer gibt es zum Glück äußerst selten. Trotzdem: 25 Prozent aller Frauen erfahren häusliche Gewalt. „Man braucht nur mal in der U-Bahn durchzählen“, empfiehlt Leisle. „Das ist jede vierte Frau.“ Das Problem werde gern als Unterschichtenphänomen abgetan oder bestimmten Ethnien zugeschrieben. Richtig sei: Von der Ärztin bis zur Sozialhilfeempfängerin – Gewalt gegen Frauen macht vor niemandem Halt.
Und es gibt noch eine Faustregel: In der Trennungsphase ist die Gefahr für die Frau am größten. Diese Erfahrung hat sich auch im Fall von Steffanie C. auf grausame Weise bestätigt: Die 17-Jährige ist mit einem Kind aus einer früheren Beziehung schwanger, als sie Mahmut C. 1998 kennen lernt. Ein Jahr später findet die Hochzeit statt. Steffanies Mutter, Karin K., ist gegen die Verbindung. Aber Steffi setzt ihren Kopf durch. 2000 kommt die gemeinsame Tochter Hatice zur Welt. Die finanziellen Verhältnisse der vierköpfigen Familie sind nicht üppig. Man lebt von ihrer Sozialhilfe und seinen bescheidenen Einkünften vom Bau. Mahmuts Spielsucht wird alsbald zum Problem. Es gibt Zeiten, da steht nicht mal was zum Essen auf dem Tisch. Er ist aggressiv gegen sie und die Kinder. Im Dezember 2002 flüchtet sie ins Frauenhaus, kehrt aber kurz vor Silvester zu ihm zurück. Sie streiten und versöhnen sich, immer wieder aufs Neue. Es ist ein ewiges Hin und Her. Steffanie sucht zunehmend Rat bei ihrer Mutter und einer Freundin. Die beiden Frauen sind für ihn ein rotes Tuch. Am 31. Juli 2004 zertrümmert er die Wohnungseinrichtung. Das ist die Zäsur.
Die zu Hilfe gerufene Polizei weist Mahmut C. aus der Wohnung. Beim Amtsgericht erwirkt Steffanie auf Grundlage des Gewaltschutzgesetzes gegen ihn ein Kontaktverbot. Soll heißen: Er darf sich ihr und den Kindern nicht weiter als 50 Meter nähern, sie nicht ansprechen, nicht anrufen. Diesmal will sie wirklich die Trennung. Er merkt das genau. Aber er hält sich nicht an die Auflagen. Taucht plötzlich aus dem Nichts auf der Straße auf, klettert auf das Baugerüst vor ihrem Haus, wartet auf dem Weg zur Grundschule, kreuzt im Flur des Bezirksamts ihren Weg. Und immer wieder droht er Steffanie vor Zeugen: Ich werde dich töten und deine Mutter und deine Freundin und vielleicht sogar die Kinder auch. Immer wieder wenden sich die Frauen an die Polizei. Aber die sagt, sie sei machtlos. „Bevor wir etwas tun können, muss einer praktisch erst ein Messer im Rücken haben“, gibt einer der Beamten bei einem Einsatz bedauernd zu verstehen.
Während des Gerichtsverfahrens sagt Mahmut C. kein Wort. Aschfahl im Gesicht, tief in eine Nylonsportjacke verkrochen sitzt er neben seinem Dolmetscher. Erst unmittelbar vor der Urteilsverkündung bricht es stockend auf Türkisch aus ihm heraus: „Ich habe Steffi über alles geliebt. Ich schäme mich und entschuldige mich bei allen.“ Als der Richter das Urteil verliest, sackt er hemmungslos schluchzend in sich zusammen.
Nach allem, was der psychiatrische Gerichtssachverständige in dem Verfahren vorträgt, ist Mahmut C. ein denkbar einfacher, schlichter Mann. Geboren und aufgewachsen in Ostanatolien als der Älteste von neun Kindern eines Pistazienenbauern, der der Spielsucht verfallen ist und zu Hause ein gewalttätiges Regiment führt. Immer wieder muss er vor dem Vater flüchten, übernachtet im Ziegenstall. Nach fünf Klassen verlässt er die Schule. Von der Kinderlähmung hat er eine bleibende Behinderung am Bein zurückbehalten. Aber er ist durchsetzungsfähig und zäh. 1997 schlägt er sich über Zypern nach Deutschland durch. Sein Ziel ist Berlin. Hier hat er einen Cousin. Der Mann, der zu diesem Zeitpunkt mit Karin K. zusammenlebt, führt ihn in die Familie ein. So lernt Mahmut C. Steffanie kennen. Aber schon bald nach der Hochzeit zeigt sich: Die beiden leben in völlig verschiedenen Welten, können ihre Probleme nicht kommunizieren. Er ist nicht zur Selbstreflexion in der Lage, hat eine Schwarzweiß-Wahrnehmung. Dass sich die Frauen gegen ihn verbünden, macht ihn rasend. Die Machtverhältnisse stehen Kopf. Eigentlich ist er doch der Herr im Hause.
Die lebenslängliche Freiheitsstrafe für Mahmut C. begründete das Gericht so: Die Tat sei angekündigt gewesen, von Besitzdenken, Selbstsucht und Hassdenken geprägt, nach dem Motto: Wenn ich die Frau nicht haben kann, dann soll sie auch kein anderer haben. In dem Umstand, dass der Angeklagte in Ostanatolien groß geworden ist und einer anderen Wertvorstellung unterliegt, hatte die Strafkammer keinen Strafmilderungsgrund gesehen.
Die Grenzen dafür sind inzwischen sehr eng gesteckt, wie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt. Demnach hätte der Angeklagte so fest in seinen anatolischen Überzeugungen verhaftet sein müssen, dass er die Verwerflichkeit seines Handels nach hiesigen Normen nicht hätte erkennen können. Mahmut C. hatte dazu nichts dergleichen von sich gegeben. Das Wort Ehre ist in dem Verfahren nur ein einziges Mal gefallen – als ein Freund des Angeklagten in den Zeugenstand trat. Zu diesem hatte Mahmut C. nach der Tat gesagt: „Ich habe meine Ehre gerettet.“
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