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Kompetent versenktVom Scheitern des Green Deal

Das ambitionierte Klima-Projekt der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wurde von der Realität eingeholt. Um nachzujustieren, fehlt das Geld.

Der „Green Deal“ von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte Foto: dpa

Brüssel taz | Die letzte Europawahl war eine Klimawahl. Schüler und Eltern von „Fridays for Future“, Grüne und Sozialdemokraten machten 2019 massiven Druck für eine klimagerechte Transformation der Wirtschaft. Mit Erfolg. Als erste Amtshandlung verkündete EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen einen „European Green Deal“. Von der Leyen verglich ihn mit dem Apollo-Projekt und versprach eine europäische „Mondlandung“. Doch fünf Jahre später droht die Bruchlandung.

Statt vom Klima spricht von der Leyen nun von Aufrüstung und Bürokratieabbau. Und die Europäische Volkspartei (EVP), für die die CDU-Politikerin bei dieser Wahl als Spitzenkandidatin antritt, rüttelt am „Verbrennerverbot“, das ab 2035 nur noch schadstofffreie Fahrzeuge zulässt. Scheitert der Green Deal? Wollen von der Leyen und ihre EVP das Rad der EU-Politik zurückdrehen? Dies ist eine der zentralen Fragen des Europa-Wahlkampfs. Vor allem die Grünen läuten die Alarmglocke.

Wenn sich von der Leyen nach der EU-Wahl tatsächlich mit rechten Parteien verbünden sollte, drohe eine klimapolitische Katastrophe, warnen grüne Politiker. Zugleich verweisen sie jedoch stolz auf die Erfolge des Green Deal. Die Zusammenarbeit mit von der Leyen sei nicht so schlecht gewesen.

Doch hat der schwarz-grüne Deal wirklich funktioniert? Müssen die ehrgeizigen Klimagesetze, die Brüssel in den vergangenen fünf Jahren auf den Weg gebracht hat, jetzt „nur noch“ ordentlich umgesetzt werden? Und was ist eigentlich aus dem Versprechen geworden, dass der Green Deal der EU und Deutschland zu neuem, grünem Wachstum verhelfen und Europa zum Weltmarktführer bei „Green Tech“ machen werde?

Schlechter Witz

Dieses Versprechen hat sich als falsch erwiesen. Das deutsche Wachstum ist ein schlechter Witz und die EU ist wirtschaftlich weit zurückgefallen. Bei „Green Tech“ hat Europa sogar den Anschluss verloren. Sonnenkollektoren und Windräder werden mittlerweile in China produziert, energieintensive Unternehmen sind in die USA abgewandert oder planen dies zu tun. Das Gespenst der „Deindustrialisierung“ geht um in Europa.

Nur Schwarzmalerei? Nein. Die Realität hat den Green Deal überholt. Er beruht auf einem marktwirtschaftlichen Ansatz, während China und die USA auf Subventionen und Protektionismus setzen. Von der Leyen will die Wirtschaft regulieren, US-Präsident Joe Biden lockt mit Steuervorteilen. Bidens „Inflation Reduction Act“ zeigt Wirkung, von der Leyens Deal nicht – oder nur unzureichend.

Klar, die CO2-Emissionen gehen runter, der Anteil erneuerbarer Energien steigt. Doch kein einziges EU-Land ist bei der grünen Transformation „on track“ (im Plan), wie ein grüner EU-Abgeordneter einräumt. Selbst Deutschland droht seine Klimaziele zu verfehlen. Erfolge bei der Senkung der Treibhausgase sind vor allem auf Corona und die Wirtschaftskrise zurückzuführen – und nicht auf eine gelungene Politik.

Besserung ist nicht in Sicht. Denn dafür müssten die Investitionen in den Klimaschutz massiv steigen. Nach Angaben der EU-Kommission wären allein bis 2030 zusätzliche 620 Milliarden Euro nötig – pro Jahr. Das entspricht 3,7 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU.

Klammheimlich zusammengestrichen

Zusätzlich müssten die Europäer in Klima-Resilienz oder „Anpassung“ investieren: Deiche, Dämme, Fluss-Renaturierungen, Regenrückhaltebecken – aber auch Wärmedämmung, Klimaanlagen, um die Folgen der Klimakrise abzufedern. Doch dafür hat Brüssel bisher noch nicht einmal ein Programm aufgelegt.

Dringend nötig wäre auch ein Klimageld, um die sozialen Folgen der Transformation abzufedern. Doch auch dafür ist kein Geld da. Der EU-Klimasozialfonds ist klammheimlich zusammengestrichen worden. Der soziale Teil des Green Deal wurde de facto aufgekündigt.

Dabei kommt das dicke Ende noch. Der europäische Emissionshandel – das wichtigste Markt-Instrument – sieht kräftig steigende Preise vor. Ab 2027 werden auch Gebäude und Verkehr in den Handel einbezogen. Dann dürfte es für die Verbraucher richtig eng werden.

Schon jetzt murren viele Bürger ob der steigenden Preise, rechtspopulistische Parteien nutzen die Unzufriedenheit für ihre Zwecke aus. Bei der Europawahl könnten die Rechten deutlich zulegen – auch wegen der verkorksten Klimapolitik.

Doch die EU hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Statt den Green Deal neu zu justieren und um ein Sozialprogramm zu ergänzen, will sie die Unternehmen entlasten. Nach der EU-Wahl sollen zudem Strafzölle auf günstige E-Autos made in China kommen. Der Umstieg auf schadstofffreie Fahrzeuge wird so verteuert und erschwert – und nicht erleichtert, wie versprochen. Der Green Deal war eine schöne Idee. Nun wird er wohl endgültig verkorkst.

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9 Kommentare

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  • Die Frau hat in jedem Ministeramt bisher versagt, warum sollte es da mit einem mal bei der EU besser laufen?

  • ,,Bidens „Inflation Reduction Act“ zeigt Wirkung, von der Leyens Deal nicht".

    Darf man diese beiden denn theoretisch überhapt vergleichen?!



    Biden geht es um die Inflationsbekäpfung, von der Leyen, in der Tehorie zumindest, um Umweltschutz/ Klimaschutz?!

  • Es kommt wie es kommen musste im Kapitalismus. Sobald es um die Gewinne der Industrie und ihrer reichen Inhaber geht, spielt Klimaschutz keine Rolle mehr. Dabei war der Green Deal von vornherein schon zu unambitioniert und schwach als dass er zum aufhalten der Klimakatastrophe hätte groß beitragen können. Mal sehen wie das Ganze in zehn Jahren ausschauen wird, wenn die Klimakatastrophe noch näher an den reichen Westen herangerückt sein wird.

  • "Freihandel" und "Markt" ist traditionell das Konzept der wirtschaftlich Stärkeren. Es wird von den Aufsteigern mit trockenem Protektionismus und gezielter Industriepolitik gekontert.

    Vergessen wir aber nicht das Ziel: Wohlfahrtsgewinne durch halbwegs stabile Klimabedingungen, Umstieg von obsolet schädlichen Verbrennerautos etc. zu nachhaltiger Produktion und ja, auch ein Schutz europäischer wirtschaftlicher Dominanz.



    Mit EVP-Populismus leider nicht zu verknüpfen. Nicht nur in Deutschland haben die angeblich Konservativen den Umweltschutz aufgegeben und sogar als Popanz aufgebaut, schändlich bewusst.

  • Wir brauchen uns keinen Krieg in Europa aufzuhalsen – wir kriegen uns auch so kaputt.

  • Nein, der Autor hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die Unternehmen müssen entlastet werden, woher sonst soll das Geld für den Umbau kommen?

    In dem Artikel werden richtigerweise viele Stellschrauben richtig angerissen, die Schlüsse aber sind falsch.

    Erstens: Die EU-Kommission hat einen Riesenfehler gemacht, die Bürger nicht mitzunehmen. So entstand das dirigistische Bild von oben. Politik ist immer zur Hälfte Kommunikation. Das war unprofessionell.

    Zweitens: Die Regierungen haben versäumt, Best-Practice-Projekte zu würdigen und auszustellen. Stattdessen war man permanent im Verteidigungsmodus. Aufgeblasene Bürokratie und wenig Verlässlichkeit haben guten Willen zerstört. Insbesondere Abbau von Bürokratie hätte zur Gegenfinanzierung gefördert werden müssen. Das Gegenteil war der Fall.



    Wo gute Projekte gelingen, wie in Griechenland, ist die Akzeptanz hoch.

    Drittens: Das exotische Modell der Schuldenbremse in Deutschland bremst die gesamte Wettbewerbsfähigkeit in Europa aus. Was als Verantwortung für künftige Generationen verkauft wird, ist eine Versündigung an der künftigen Generation Europas. Dass die anderen Länder hier nicht lauter dagegen vorgehen, ist unverzeihlich.

    • @rakader:

      Da gibt es ein -entscheidendes- Missverständnis: 'Die Unternehmen' haben uns mit ihrer Profitgier in die Klimakatastrophe getrieben, deren Folgen/Reparatur oder Versuche eines 'weiter so' unter weniger CO²-Ausstoss im Rahmen dieses Währungssystems UNBEZAHLBAR sind. Der neoliberale Spruch: Wenn die Unternehmen durch Anreize am notwendigen Umbau sogar Wachstum und neue Märkte generieren, verkennt die ökonomischen Rahmendaten, denn bei den Verbrauchern, den früheren Kunden (denen die höhere Profitabilität sogar die Jobs geklaut hat) gibt es für diese Veränderungen keinen 'Spielraum' mehr. Wasserstoff, Technologieoffenheit, alles Geschwätz aus der Mottenkiste, wenn die Verfügbarkeit der Rohstoffe hierzulande nicht (mehr) gegeben ist. Selbst als Chinas Kunden können wir den Trend zum Degroth nicht mehr aufhalten...

  • Das Heizungsgesetz zurück in die Schublade verspricht Herr Merz, sollte er an die Regierung kommen. Im ländlichen Raum versuchen Unionsvertreter, nötige Einsparungen lieber bei Biodiversität / Umweltschutz umzusetzen. Wo zugunsten der Agrarlobby ohnehin sämtliche Vorgaben nur stark verwässert umgesetzt worden waren ("Niedersächsischer Weg" etc.)

    Ich will mich nicht mehr aufregen. Der Fisch ist gegessen. Der Drops gelutscht. Niemand muss irgendwelche Maßnahmen ergreifen, niemand Verhalten oder Dinge ändern. Bei den nächsten Wahlen wird die Klimakatastrophe einfach abgewählt.

  • Man muss sich schon entscheiden, was man will: den militärisch-industriellen Komplex pampern oder mit seinen rechten Kameraden und Kameradinnen gegen menschliche Bedürfnisse agieren.

    V.d.Leyen steht für letzeres.