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Das politische Klima vor der EuropawahlVerschreckt von Polykrisen

Kai Schöneberg
Kommentar von Kai Schöneberg

Die Welt schlittert in die Klimakatastrophe, die Menschen jedoch wenden sich ab. Doch es ist noch nicht zu spät zum Handeln.

Es wird Regen geben Foto: Marijan Murat/dpa

B ald kommt die Sintflut: 150 Liter Niederschlag pro Quadratmeter sagt der Deutsche Wetterdienst für die Nacht von Freitag auf Samstag in der Region zwischen Allgäu und Mittelfranken voraus. Ein schweres Unwetter mit möglicherweise desaströsen Folgen für Natur und Menschen. Es ist nicht die einzige Katastrophe. Weitere aktuelle Nachrichten: Hitzewelle mit bis zu 50 Grad im Norden Indiens. Be­woh­ne­r:in­nen verlassen wegen des angestiegenen Meeresspiegels eine Karibikinsel vor Panama. Millionen Menschen nach Tropensturm in Bangladesch ohne Strom. Tote und Verwüstungen nach 25 Tornados in den US-Bundesstaaten Texas, Oklahoma und Arkansas. Vielfach ist es einfach das übellaunige Wetter. Oftmals ist es aber der Klimawandel, der solche Extremsituationen begünstigt.

Und? Kämpft die Menschheit verzweifelt gegen die sich anbahnende Apokalypse? Für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels der Pariser Klimaverträge? Nein. Viele Kli­ma­wis­sen­schaft­le­r:in­nen verzweifeln, weil ihre Aufrufe von der Politik nicht befolgt werden. Vier von fünf von ihnen fürchten, dass sich die Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter um mindestens 2,5 Grad Celsius erwärmen wird.

Gleichzeitig werden die Eu­ro­päe­r:in­nen beim kontinentalen Urnengang vom 6. bis 9. Juni das Klima möglicherweise abwählen. Die schwarz-grün-rote Allianz, die nach den vergangenen Wahlen 2019 den europäischen „Green Deal“ ermöglicht hat – eines der weltweit ambitioniertesten Klimagesetze – steht vor einer Niederlage. Umfragen sehen rechte Parteien mit Kli­ma­wan­del­leug­ne­r:in­nen in ihren Reihen auf dem Vormarsch.

Während die Bewegung bei den 2019er Wahlen noch den Rückenwind der riesigen Fridays-for-Future-Proteste hatte, sind die Wäh­le­r:in­nen nun verschreckt von Polykrisen, Zeitenwende und Heizungsgesetz. Das Klima ist vor lauter Fake News und rechten Verdrehungen zum Verliererthema im politischen Diskurs geworden. Ein antiökologischer Backlash steht bevor. Keine neuen Verbrennerautos mehr ab 2035? Brauchen wir nicht, meinen viele in der Union. Selbst die Grünen plakatieren lieber für mehr Sicherheit als gegen die Erd­er­hitzung, ihr Klimaminister Habeck lässt Flüssiggasterminals und Gaskraftwerke bauen.

Was tun? Wählen gehen, weil die Klimakrise unsere Lebensgrundlagen zerstört. Die EU-Wahl zur Klimawahl machen. Und warum nicht gleich an diesem Freitag beim Klimastreik mitmachen? Fridays for Future protestieren in 90 Städten in Deutschland und in 12 EU-Staaten für eine bessere Klimapolitik. Ja, die Welt leidet derzeit unter vielen Problemen. Aber die Klimakrise ist das weitreichendste von ihnen.

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Kai Schöneberg
Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt
Hat in Bonn und Berlin Wirtschaftsgeschichte, Spanisch und Politik studiert. Ausbildung bei der Burda Journalistenschule. Von 2001 bis 2009 Redakteur in Bremen und Niedersachsen-Korrespondent der taz. Dann Financial Times Deutschland, unter anderem als Redakteur der Seite 1. Seit 2012 wieder bei der taz als Leiter des Ressorts Wirtschaft + Umwelt, seit August 2024 im Sabbatical.
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10 Kommentare

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  • 2,5 Grad wärmer als heute klingt so harmlos. Ein Meeresspiegel, der ein bis zwei Meter höher liegt? Wahlberechtigte, die von Job zu Job hetzen, können sich nicht vorstellen, was das bedeutet. Die Zahlen sind zu abstrakt. Wahlberechtigte, die hungern, nicht fasten, interessiert das Ende der Korallenriffe und des Regenwaldes nicht. Mitgefühl reicht nur noch für das engste Umfeld, und den Unschuldigen wird die Schuld in die Schuhe geschoben.



    Wem nützt das?

  • "Aber die Klimakrise ist das weitreichendste von ihnen"



    Wenn das so wäre, dann wären "wir" nicht aus der Kernkraft ausgestiegen und hätten dafür die Kohlekraft hochgefahren.



    Wenn das ein Hr. Habeck mit seinen qualifizierten Beratenden so entscheidet, dann wird das einen fundierten Grund haben:



    Die Risiken der Kernkraft werden deutlich höher eingeschätzt als die Risiken durch einen Klimawandel.



    Man sollte Dinge nicht danach beurteilen, was Politiker:Innen sagen, sondern was sie tun.

  • Katastrophitis

    Zitat: „Bald kommt die Sintflut“



    Das sieht man beim „Spiegel“ ganz genau so: „Überraschend war die Katastrophe nicht gekommen. Wissenschaftler hatten beizeiten gewarnt, Umweltschützer unermüdlich demonstriert. Schließlich hatten sogar die Politiker den Ernst der Lage erkannt - zu spät: Das Desaster, der weltweite Klima-GAU, war nicht mehr aufzuhalten.



    Jetzt, im Sommer 2040, ragen die Wolkenkratzer New Yorks weit vor der Küste wie Riffs aus der See. Überflutet, vom Meer verschluckt, sind längst auch Hamburg und Hongkong, London, Kairo, Kopenhagen und Rom. Das Vereinigte Königreich ist in einen Archipel zerfallen. An den Küsten aller Kontinente drängt sich das Meer in die Mündungstrichter der großen Ströme. Wo Nil und Ganges, Rhein und Amazonas in die See fließen, sind mächtige Buchten entstanden, die tief ins Binnenland reichen.

    Seit die Eiskappen an den beiden Erdpolen immer rascher abschmelzen, hat die See ganze Länder



    verschlungen. Dänemark, die Niederlande, Belgien und Bangladesch existieren nicht mehr.



    Immer häufiger toben in den subtropischen Breiten Stürme von früher unbekannter Wucht, begleitet



    von sintflutartigen Regenfällen." (DER SPIEGEL 33/1986)

  • die menschheit - die nationen .... ach leute ... hört doch mal bitte mit diesen ungenauen kategorien auf!



    Das hauptproblem von wahrheit sind ungnaue kategorien!!!



    das hauptproblem von demokratie sind ungenaue soziale räume und gruppen!!!

    Der menscheit oder ganzen nationen etwas zuzuschreiben oder versagen vorzuwerfen, ist genau das gegenteil von dem was wir brauchen.

    wir müssen ganz genau wissen wo das problem liegt. genau das macht der psychoanalytiker und jeder (gute) wissenschaftler, er präzisiert die schon vorhandenen tatsachen und ergänzt sie mit weiteren details.

    also bitte liebe leut, schickt euch doch mal an, die dinge genau zu nehmen. denn wahrheit und demokratie - gerechtigkeit und fairness sind genau darauf angewiesen.



    ansonsten braucht ihr euch gar nicht wundern, das die dinge nicht so laufen wie ihr sie gerne hättet.

    das fazit ist ja gut, aber von der totalen verneinung zur "wahllosen" aufforderung zum klimastreik, gibt es noch jede menge andere wege sich zu engagieren.

    die zu kennen und den leuten schmackhaft zu machen, darum gehts. zeigt den begrenzten details die details ihrer erweiterung. ansonsten blockieren sich weiter die unverständigen details ... ;)

  • *Deutschland wird heißer und trockener. Der wärmeliebenden Europäischen Gottesanbeterin gefällt diese Entwicklung: Ihre Population wächst stetig*, schreibt National Geographic (22.07.2022). Aber nicht nur der 'Europäischen Gottesanbeterin' gefällt der Klimawandel, auch die 'Asiatische Tigermücke' fühlt sich langsam in Deutschland pudelwohl. Wenn ein Insekt, das sich eigentlich nur in warmen Gegenden dieser Welt wohl fühlt (ihre ursprüngliche Heimat ist Indonesien, Thailand und Vietnam), sogar hier in Deutschland gedeiht, dann kann man das als bestes Indiz ansehen, dass die Menschheit "den Karren in den Dreck gefahren hat". Was macht die Politik (weltweit) gegen den Klimawandel? NICHTS. Zum besseren Verständnis buchstabieren wir das Wort doch mal gemeinsam: N.I.C.H.T.S.

    Für viele Menschen ist der Klimawandel auch zu abstrakt und noch in 'weiter Ferne'. In einigen Regionen verdursten die Bäume schon oder ganze Wälder fackeln ab und in anderen Regionen sammelt sich das Wasser und überschwemmt alles. Trotzdem verteidigt der Mensch sein törichtes 'Tun und Handeln' weiter und will nicht davon ablassen. Aber "wer nicht hören will, der muss fühlen", und das fängt ja jetzt schon an.

  • Glaubt ernst jemand, dass die Menschheit ihre selbst verschuldeten Katastrophen noch abwenden kann?

    Ich nicht. Nicht mehr. Und dann ist es letztlich auch egal.

    *den Tempomat auf 160 einstellt*

    • @Nordischbynature:

      Es geht nicht um glauben. Niemand weiss es. Und jetzt alles zerstören wegen eines "Glaubens" finde ich destruktiv. So machen sie es sich sehr einfach. Wie ein religiöser Fanatiker, der sich alles erlaubt, weil er daran "glaubt".

      160 ist sicher kein "Attentat", im Zusammenhang mit den vorherigen Sätzen klingt es allerdings schon wie ein Freibrief.

      • @menschbin:

        Klimaschutz ist eine gesellschaftliche Aufgabe, keine rein individuelle. Und unsere politisch organisierte Gesellschaft will offenbar nicht. Warum sollte ich?

  • Den Artikel als Anlass genommen für den WahlOmat:

    Vorgeschlagen wurde, nahezu gleichrangig, DAVA (für Menschen mit MigraHintergrund), CDU (..), V3 (Vegetarier) und Piraten sowie SPD.

    Scheint also irgendwie egal zu sein, was man wählt....

    • @fly:

      "DAVA (für Menschen mit MigraHintergrund)"



      Das klingt jetzt aber schon ein wenig nach einem Vorurteil...



      In meinem Bekanntenkreis gibt es nicht eine einzige Person mit Migrationshintergrund, die diese Partei wählen möchte.



      Selbst die Person mit türk. Hintergrund hat kein Interesse daran, dass es eine, ich zitiere, "Erdogan-Partei" in Deutschland gibt.