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Pro und ContraDienen Werkstätten der Inklusion?

Ob Werkstätten zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung beitragen, ist umstritten. Einerseits gibt es dort Freiheiten, andererseits niedrige Löhne.

Geschützter, aber auch ausgrenzender Ort: Werkstatt für Menschen mit Behinderung Foto: Daniel Karmann/dpa

Ja,

d enn Werkstätten sind wichtig für viele dort Beschäftigte. Zum Beispiel für diesen Mann, den ich vor einigen Jahren in Kiel traf. Er strahlte so viel Fröhlichkeit aus, dass er die ganze Umgebung damit ansteckte, schon beim Anblick seines Rollstuhls, der mit bunten Stickern beklebt war. Er steuerte das schwere Gefährt mit dem Mund, sein Körper war spastisch gelähmt und kaum beweglich. Sprechen konnte er nicht, aber seine Mimik war ausdrucksstark. An seinem Job in der Werkstatt mochte er alles – die Kolleg:innen, die Tätigkeit selbst, das Geld, das er dort verdiente.

Es gibt viel Kritik an solchen Einrichtungen, vor allem an zwei Punkten: Dass die Entlohnung niedrig ist und dass nur wenige Menschen den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt schaffen. Beides stimmt, zu diesem Schluss kamen auch die Behindertenbeauftragten der Länder und des Bundes in ihrer „Erfurter Erklärung“ von 2022: Der Auftrag der Werkstätten, Menschen für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren, müsse „bei einer Übertrittsquote von unter einem Prozent als weitestgehend gescheitert“ angesehen werden. Aber in derselben Erklärung heißt es auch: „Für viele dort Arbeitende bedeuten die Werkstätten Orte der Wertschätzung und Gemeinschaft sowie der Teilhabe am Arbeitsleben.“

Menschen mit Behinderung haben dieselben Rechte wie alle anderen, so steht es in der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 auch in der Bundesrepublik gilt. Aber dort steht genauso, dass diejenigen, die intensivere Unterstützung benötigen, gefördert und geschützt werden sollen. „Mit den Schwächsten beginnen“, nannte das der 2022 verstorbene Psychiater und Sozialreformer Klaus Dörner. Dörner ist eigentlich der Letzte, der als Befürworter der Werkstätten infrage kommt, denn er setzte sich für die „heimlose Gesellschaft“ ein, wollte psychisch Kranke, Alte und Pflegebedürftige aus Sondersystemen herausholen.

Aber er beschrieb auch das „Grundbedürfnis, Bedeutung für Andere zu haben, gebraucht zu werden. Um Gottes Willen nicht zu viel davon! Aber auch nicht zu wenig.“ Eine Antwort auf dieses Bedürfnis sei Arbeit, glaubte Dörner. Und diese Arbeit kann nicht nur auf dem ersten Arbeitsmarkt stattfinden, weil der Hürden hat, die nicht jeder bewältigen kann. Sich krankmelden, wenn es einem nicht gut geht – für psychisch Kranke ist das ein Horror. Unter Zeitdruck etwas schaffen zu müssen – auf keinen Fall. Eine festgelegte Stundenzahl am Tag arbeiten – bitte nicht.

Es ist ein Missverständnis, dass Inklusion bedeutet, Menschen hinzubiegen, damit sie in den kapitalistischen Arbeitsmarkt passen. Echte Inklusion meint das Eingeständnis, dass es keine normale Norm und behinderte Nichtnorm gibt, sondern dass wir alle manches können und vieles nicht: Ich zum Beispiel kann schreiben, aber habe Inklusions­bedarf bei IT-Fragen.

In einer perfekten Welt wären alle Arbeitsplätze so individuell wie die Menschen, die sie besetzen. Da wir aber in einer unperfekten Welt leben, braucht es einerseits Schutzräume wie die Werkstätten. Und andererseits braucht es mehr Unternehmen, die sich trauen, diejenigen Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, die das wollen und können. Dafür stehen mit Instrumenten wie dem Budget für Arbeit oder der Arbeitsassistenz bereits viele Tore offen – sie müssen nur durchschritten werden. Oder mit dem Rolli durchfahren. Esther Geißlinger

Nein,

denn Werkstätten verbessern nicht die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, sondern verlagern sie in ein Parallelsystem, das sie abschottet. Werkstätten sind heute ein Niedriglohnsektor, der vom ersten Arbeitsmarkt völlig abgekoppelt ist und mit ausländischen Unternehmen um die billigsten Dienstleistungen konkurriert.

Ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben bleibt so für viele eine Illusion. Immer wieder protestieren Betroffene mit Kampagnen wie #ihrbeutetunsaus oder #stellt­unsein gegen ihre schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ihre Arbeitsbedingungen. In Hamburg gingen Werkstattbeschäftigte auf die Straße, um für einen besseren Lohn zu demonstrieren – derzeit liegt er bei durchschnittlich nur 1,30 Euro pro Stunde.

Denn Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung haben per Gesetz nur einen „arbeitnehmerähnlichen“ Status. Damit genießen sie zwar den weitestgehenden Kündigungsschutz und müssen dem Arbeitgeber gegenüber keine bestimmte Leistung erbringen. Zugleich haben sie aber weder das Recht, einen Betriebsrat zu gründen noch ein Streikrecht – also keine rechtliche Grundlage, um ihre Arbeitsbedingungen zu kritisieren. Und eben auch keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.

Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 hat sich Deutschland jedoch verpflichtet, Menschen mit Behinderung gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu bieten. Daher müssen Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen mindestens fünf Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, muss eine gestaffelte Ausgleichsabgabe zahlen. Aber auch die Ausgleichsabgabe kann umgangen werden: Wenn Unternehmen Werkstätten mit Dienstleistungen beauftragen, können sie die Hälfte ihrer Aufwendungen mit der Ausgleichsabgabe verrechnen und die Dienstleistung mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent versteuern.

Der Anreiz, Menschen mit Behinderung einzustellen, ist für die meisten Unternehmen aufgrund der damit verbundenen Umstände gering. Für manche ist es vielleicht auch ein Anreiz, Dienstleistungen kostengünstig auszulagern und sich am Ende mit Begriffen wie „inklusiv“ oder „sozial produziert“ zu schmücken. Das klingt eher nach Ausbeutung und nicht nach Inklusion.

Auch die Werkstätten haben kaum Anreize, ihre Beschäftigten in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, da sie selbst wirtschaftlich handeln. Bislang erhalten nicht einmal ein Prozent der 320.000 Beschäftigten mit Behinderung eine Chance, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Zugleich steigt die Zahl der Menschen, die in Werkstätten vermittelt werden, kontinuierlich an, denn viele von ihnen werden schon in der Sonderschule entmutigt, einen Berufsweg außerhalb der Werkstatt einzuschlagen. Ihnen wird vermittelt, dass sie in den Einrichtungen der Träger besser aufgehoben sind. Wenn sie Ausbildungsangebote wahrnehmen oder an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen wollen, werden sie oft abgewiesen.

Während Werkstätten für manche Menschen einen wichtigen Schutzort bieten, behindern sie einen noch viel größeren Teil dabei, sich zu entfalten und selbstbestimmt zu leben. Daher braucht es mehr staatliches Engagement für das Ziel, inklusive Strukturen zu etablieren, die die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben tatsächlich ermöglicht. Sarah Lasyan

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Esther Geisslinger
Schleswig-Holstein
Jahrgang 1968. Ist in der taz als Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein zuständig von Flensburg bis Elmshorn, von Fischerei bis Windkraft, von lokalen Streitigkeiten bis Landtagsdebatten. Schwerpunkte: Soziales, Gesundheitspolitik
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4 Kommentare

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  • Diejenigen, die diesen Lohn subventionieren, müssen von ihrem Lohn noch die komplette, eigene Versorgung finanzieren, was beim Behinderten nicht der Fall ist. Der Umgang mit Behinderten ist in unserem Land grenzwertig. Sie haben ganz andere Probleme. Ich bin gesetzlicher Betreuer meiner behinderten Schwester und könnte Lieder davon singen. Die wichtigsten Dinge laufen oft schief. Aber es gibt 5 mal so viele leer stehende Behindertenparkplätze, die dazu führen, dass die Nichtbehinderten abends schön den Klimawandel bei der Parkplatzsuche anheizen und fünfmal um den Häuserblock fahren, weil nur Behindertenparkplätze frei stehen. Dagegen muss der Rollstuhl alle anderthalb Jahre ausgetauscht werden, weil es an den U-und Bus-Bahnhöfen vom Ausstieg zum nächsten Einstieg nur Kopfsteinpflaster gibt und dabei die Lager kaputt gehen, selbst wenn der Behinderte einen niedrigen BMI hat.

  • Ein Bekannter von mir hat Trisometrie 21 und arbeitet in einer speziellen Werkstatt eines kirchlich/sozialen Trägers, dummerweise oft Behindertenwerkstatt genannt. Er ist total glücklich, dass er dort eine Arbeit hat, arbeitet dort total gerne, und der Lohn ist ihm eigentlich egal, er wird ja eh "aufgestockt". Ich habe ihn dort schon öfters besucht und bin so auch mit dem Träger ins Gespräch gekommen. Die haben mit gesagt, dass es unabhängig des gezahlten Lohnes immer ein Minusgeschäft ist, bei dem der Träger drauflegen muss. Das wenige Geld dient als "symbolischer Lohn der Arbeit" und schon die wenigen Euros machen sie glücklich, weil sie sich so gewollt und gebraucht vorkommen. Wenn man nun Mindestlohn fordern würde, dann fürchte ich, dass die Träger aussteigen.



    Ich glaube wir führen hier eine Diskussion, welche dem Problem so nicht wirklich gerecht wird. Denn würde sich die Einstellung von Menschen mit geistigem Handycap auch nur minimal rechnen, warum stellt sie dann kaum jemand ein?



    Menschen mit körperlichem Gebrechen haben eine hundertfach höhere Chance in der Wirtschaft unter zukommen, sie sind brutal gesagt für jeden AG kalkulierbarer.

    • @Rudi Hamm:

      Das Hauptproblem sind wahrscheinlich nicht die Werkstätten selbst, sondern die Möglichkeit, diese auf sehr günstige Weise zu nutzen, um als mittleres Unternehmen die Quote zu umgehen.



      Um dieses Problem zu lösen müssen nicht die Werkstätten aufgelöst, sondern die Quotenregelungen strenger gehandhabt werden.



      Selbst die Contra-Stimme gibt ja zu, dass es sich hier um wichtige Schutzräume handelt. Wir müssen nur aufpassen, dass dort niemand eingesperrt wird.

    • @Rudi Hamm:

      Schlecht geschrieben, bevor es moniert wird, richtiger wäre:



      Das wenige Geld dient als "Anerkennung für Arbeit" und schon die wenigen Euros werden auch als Anerkennung und "auch wir können etwas erreichen" wahrgenommen.