piwik no script img

Demo in Berlin zum Angriff in DresdenNicht einschüchtern lassen

Berlin versammelt sich zu einer Solidaritätskundgebung für den angegriffenen SPD-Abgeordneten Ecke. Auch NRW-Ministerpräsident Wüst spricht.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst spricht während einer Demonstration für Demokratie und gegen Gewalt Foto: Liesa Johannssen/reuters

Berlin taz | Es ist eine sehr emotionale Kundgebung. An die zweitausend Menschen versammelten sich am Sonntagabend vor dem Brandenburger Tor. Zeitgleich fanden in Potsdam und dem Tatort Dresden Kundgebungen statt. Der Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke wühlt die Menschen auf. Auch den Politikerinnen und Politikern, die bei der Kundgebung in Berlin sprechen, ist anzumerken, wie sehr ihnen dieser Angriff unter die Haut gegangen ist.

Matthias Ecke war am Freitagabend in Dresden beim Kleben von EU-Wahlplakaten von vier Tätern angegriffen und so massiv zusammengeschlagen worden, dass er operiert werden musste. Kurz zuvor waren Angriffe auf zwei Grünen-Politiker im nordrhein-westfälischen Essen bekannt geworden. Die Liste der zunehmenden Attacken ist lang.

„Haltung zeigen gegen Hass und Gewalt: Unsere Demokratie lässt sich nicht einschüchtern!“, ist das Motto am Sonntag am Brandenburger Tor. SPD-Chef Lars Klingbeil, Luisa Neubauer von Fridays for Future, die Grünen-Chefin Ricarda Lang, der Juso Vorsitzende Philipp Türmer, die stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken Katina Schubert und viele andere sind gekommen. Man kann ihre Reden als flammend bezeichnen.

Nicht einschüchtern lasse man sich von rechtsradikalen Schlägertrupps, so der einhellige Tenor. Die Enthemmung sei von den Verantwortlichen der AfD klar provoziert: Von Höcke, Gauland und Co. Von Gauland stammt der Ausspruch: „Wir werden sie jagen“. Lars Kingbeil ist nicht der Einzige, der am Sonntag das Bild von den geistigen Brandstiftern verwendet. „Sie haben nicht selbst zugeschlagen, aber sie haben das Klima provoziert“.

Wüst und Kretschmer auch am Brandenburger Tor

Große Sorge wird bei den Ansprachen um die vielen ehrenamtlichen EU-Wahlhelfer und die Lokalpolitiker in den Kommunen geäußert. Noch viel schutzloser als Bundes – und Landespolitiker seien die vor Ort engagierten Menschen. „Lasst eure Freunde in Halle, Erfurt und Dresden nicht im Stich“, appelliert Türmer. In jedem Dorf, in jeder Stadt müsse dagegen gehalten werden.

Aber da ist noch einer, der Worte in einer Klarheit findet, die man in dieser Form nicht erwartet hat. Hendrik Wüst, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Zusammen mit Michael Kretschmer, dem CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen ist er zum Brandenburger Tor gekommen. Juso-Chef Türmer hatte sich zuvor verwundert gezeigt, dass Friedrich Merz, Bundeschef der Union, nicht gekommen ist. Immerhin sei der doch auch schon wegen des am Montag stattfindenden CDU Parteitags in der Hauptstadt.

Mit seiner Körpergröße überragt Wüst die Menge. Bevor er auf die Bühne geht, zieht er das Sakko aus. Mit Kretschmer habe er verabredet, dass er zu den Versammelten spreche. „Wir sind hergekommen, um Flagge zu zeigen“, ruft Wüst. Vor dem Anschlag auf „Matthias“ (Ecke) „wurden zwei Grüne vorher bei uns“ (in NRW) angegriffen.

Natürlich seien die demokratischen Parteien nicht immer einer Meinung, sagt Wüst. „Aber wir müssen zusammenstehen“. Die Angriffe erinnerten an „das dunkelste Kapitel unserer Geschichte“. Nicht über Nacht sei das so gekommen. Erst seien es Gedanken gewesen, dann Worte, dann Hass und Hetze, „deswegen wehret den Anfängen“, steigert sich Wüst. „Wer denkt wie ein Nazi, wer redet wie ein Nazi – ist ein Nazi!“ Laut rufend bringt es Wüst auf den Punkt: „Die AfD ist eine Nazi-Partei“!

Michael Kretschmer dankt seinem Parteikollegen mit einem Schulterklopfen, die Versammelten tun es mit Applaus.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Es ist wohlfeil sich mit Ecke zu solidarisieren und auf die AfD zu schimpfen.

    Vom Grundsatz her ist mir alles was gegen diese Hetzer geht sympathisch. Zur Wahrheit gehört aber auch, daß die Anzahl der Angriffe und Anschläge jede Partei betrifft. Gerade auch die AfD scheint offiziellen Angaben gemäß besonders betroffen zu sein. Im speziellen bezüglich körperlichen Angriffen.

    Es wird nicht explizit gesagt, aber bei all diesen Reden schwingt mir zu sehr mit: "Angriffe auf Parteien gehen gar nicht, aber auf die AfD sind sie nicht so schlimm"

    Und auch wenn ich diese Partei hasse, wie keine andere, wünsche ich mir, daß wir zumindest alle in der Ablehnung von Gewalt vereint sind.

  • Den Ausspruch "Wir werden sie jagen." hat Gauland (hauptsächlich mit Bezug auf Kanzlerin Merkel) benutzt ( www.br.de/bundesta...e-jagen-100.htmler ). Die Formulierung stammt aber nicht von Gauland, sondern sie wurde schon früher von Politikern der Union, der SPD, der FDP und den Grünen verwendet. 2 Beispiele:



    1. Ludger Volmer von den Grünen, der nach der Bundestagswahl 1994 sagte: "Wir werden den Kanzler jagen." Quelle: www.spiegel.de/pol...-0000-000013683714



    2. Christian Lindner, FDP, 2013: "Wir jagen die Regierung von Hannelore Kraft." Quelle: www.christian-lind...on-hannelore-kraft

    Im Übrigen: Der Gauland-Ausspruch ist von 2017. Da war der 17jährige, der sich jetzt der Polizei gestellt hat, 10 Jahre alt. Ob der sich an den Gauland-Spruch erinnert hat? Das erscheint ziemlich unwahrscheinlich.

  • ...aber keine Vertreter*innen der FDP und des BSW!!

  • Da kann man annehmen, dass es jede Menge Anzeigen an den Herrn Wüst



    hageln wird. Abscheulich....