Propalästinensische Proteste in Indiana: Organisatoren radikalisieren sich
Solidarität kippt in Dämonisierung. Ein Lehrender schildert seine Eindrücke von den propalästinensischen Protesten an der US-Universität von Indiana.
„Glory to Hamas.“ Gibt es dazu noch etwas zu sagen? Kaum zu glauben waren die Parolen, die Hunderte von Studierenden auf dem Campus der Columbia University und noch radikaler vor den Toren der Universität brüllten.
Auch an unserer Universität, der Indiana University im Mittleren Westen der USA, die nicht gerade als Unruheherd bekannt ist, gab und gibt es entsprechende Proteste. Wir sind eine solide staatliche Hochschule, die international für die Jacobs School of Music und das Kinsey Institute bekannt ist. Etwa 10 Prozent der knapp 50.000 Studierenden auf unserem Campus sind jüdisch. Seit dem 25. April befindet sich gegenüber dem Chabad-Haus, in dem viele jüdische Studierende ein- und aus gehen, ein Zeltlager „für bedingungslose Solidarität mit Palästina“.
Die Parolen, verbal und auf Plakaten, richten sich zum Teil direkt gegen sie und werden zumindest so empfunden. Nicht alle Parolen sind so mordlustig wie die Forderung nach der Globalisierung der Intifada. Einige dämonisieren lediglich Israel. Zum Beispiel durch die Behauptung, Israel verübe in Gaza Völkermord, eine Verleumdung, die durch ständige Wiederholung als unbestreitbare Tatsache dargestellt wird. Auf unserem Campus führt sie vor allem dazu, dass alle, die diesen Vorwurf nicht teilen, als zutiefst böse angesehen werden.
Erstaunlich unwissend
Nun sind sich längst nicht alle Studis, die solche Parolen schreiben und rufen, über deren Bedeutung und Wirkung auf jüdische Studierende im Klaren. Ich habe mit Studis gesprochen, die ein Plakat hochhielten, auf dem Polizei, Ku-Klux-Klan und „IOF“ gleichgesetzt wurden. Aber erst einer der vermummten Organisatoren, der angerannt kam, um unser Gespräch zu unterbrechen, konnte aufklären, was IOF bedeutet: Israel Offence Forces oder Israel Occupying Forces – so ganz sicher war er sich auch nicht.
Aber die Botschaft, die bei den jüdischen Studierenden ankommt, ist, dass das Land, mit dem sie sich verbunden fühlen, sei es aus jüdischer Tradition, sei es aus religiösen oder familiären Gründen, in einer Weise dämonisiert wird, die sie gleich mit verdammt.
Viele der protestierenden Studierenden mögen erstaunlich unwissend sein. Nicht so die Organisatorinnen und Organisatoren. Unter ihnen hat eine rasante, sektiererische Radikalisierung stattgefunden. Kurz nach dem 7. Oktober habe ich mit dem Vorsitzenden des Palestine Solidarity Committee (PSC) an unserer Universität im Uni-Radio diskutiert. Auch wenn wir in vielen Punkten nicht einer Meinung waren, verurteilte er zumindest im privaten Gespräch die Hamas. Und er fragte jüdische Bekannte, ob es ihnen gut gehe.
Vor einer Woche schaute ich auf sein Twitter-Profil. „Glory to Hamas“ war da zu lesen. Israel ist für ihn „eine dämonische, nicht zu ändernde Gesellschaft, die niemals ein einziges Recht auf Existenz hatte und niemals haben wird“. Zionisten, also alle, die Israel nicht verurteilen, setzt er mit den Nazis gleich. Zionisten, so schreibt er, seien „Indigene der Hölle.“
Gefallen an der Hamas
Das PSC ruft maßgeblich zu den Campusprotesten auf und berichtet auf seiner Instagram-Seite laufend vom Protestcamp. Dafür gibt es viel Applaus. Auch von einem iranischen Account namens „Mahdi_Alavi“. Er ermuntert die Studierenden, den Brief von Ajatollah Chamenei an die Jugend Europas und Nordamerikas zu lesen. Dafür gab es in den Kommentaren Liebes- und Applaus-Emojis, aber keinen Widerspruch.
Auch ein anderer Anführer der Proteste, der es besonders gut versteht, die anderen Studierenden per Megafon anzuheizen, gewährt auf sozialen Medien Einblick in sein Denken. Über die israelische Armee schreibt er auf X: „Sie haben über Massenvergewaltigungen gelogen, damit sie selbst Massenvergewaltigungen begehen konnten“, und leugnet damit die unvorstellbar brutale sexuelle Gewalt der Mörder des 7. Oktobers. Auch er findet Gefallen an der Hamas. Sie sei „Israel in jeder relevanten Hinsicht moralisch überlegen“.
Was ist auf solch eine Pro-Hamas-Propaganda zu antworten? Die jüdischen Studierenden ließen laute Musik laufen, auch als muslimische Gebete geschlechtergetrennt zelebriert wurden, erinnerten an die Geiseln und posierten mit israelischen Fahnen vor dem Zeltlager, in dem sich mindestens zwei Hamas-Sympathisanten aufhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee