Massendemonstrationen in Argentinien: Unis an der Spitze des Protests
Die Sparpolitik des argentinischen Präsidenten Javier Milei ruiniert den Bildungssektor. Dagegen gehen landesweit 2 Millionen Menschen auf die Straße.
Der Hochschulrat der öffentlichen Universitäten hatte zu dem Marcha Federal Universitaria aufgerufen. Alle Altersklassen und sozialen Schichten waren bei der bisher größten Manifestation gegen den libertären Präsidenten vertreten. Allein in der Hauptstadt Buenos Aires marschierten schätzungsweise eine halbe Million Menschen vom Kongress zur Plaza de Mayo vor dem Präsidentenpalast. Wobei es viele wegen der Überfüllung gar nicht bis auf die Plaza schafften. Landesweit waren knapp 2 Millionen Menschen auf den Beinen, um für das öffentliche und kostenlose Bildungssystem zu demonstrieren.
„Wir verteidigen die öffentliche, freie und kostenlose Universität, die eine der großen Errungenschaften unseres Volkes ist und die wir nicht aufgeben werden“, sagte Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel bei der zentralen Kundgebung vor dem Regierungssitz Casa Rosada. „Wir verteidigen unser Recht auf ein Leben in Würde.“
Nach seinem Amtsantritt im Dezember hatte Milei keinen Haushaltsentwurf für 2024 vorgelegt, sondern den Haushalt 2023 schlicht um ein Jahr verlängert. Dadurch blieben die Zuweisungen für die jeweiligen Bereiche zwar absolut gesehen konstant, aber die Jahresinflation von über 200 Prozent bewirkte einen starken Wertverlust der Haushaltsmittel. Dass in einigen Universitätsgebäuden buchstäblich die Lichter ausgingen, weil die laufenden Stromrechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten, war nur das kleinere Übel.
Rund 90 Prozent der Hochschulbudgets werden für Löhne und Gehälter des Lehrpersonals und anderer Mitarbeiter ausgegeben. Bislang hat sich die Regierung geweigert, über Lohn- und Gehaltserhöhungen zu diskutieren. Stattdessen propagierte Milei einen privaten Bildungssektor, warf den Hochschulen Verschwendung vor und bezeichnete sie als „Parasiten“.
In den bisher vier Monaten der Milei-Präsidentschaft betrug der inflationsbedingte Kaufkraftverlust der Beschäftigten über 30 Prozent. Nicht wenige Dozent*innen sind bereits unter die Armutsgrenze gerutscht. Finanzielle Zugeständnisse machte die Regierung lediglich bei den Unterhalts- und den Fixkosten.
Parlamentarisch gesehen ist Milei der schwächste Präsident der letzten 40 Jahre. Sein einziger Rückhalt ist die Unterstützung durch die Bevölkerung. Deren massive Beteiligung an der Marcha Federal Universitaria dürfte ihm einiges Kopfzerbrechen bereiten. Viele der Demonstrierenden gehörten zu denjenigen, die ihm mit ihrer Stimme zum Wahlsieg verholfen hatten. Die nächste Woche wird zeigen, ob Milei zum Einlenken fähig ist. Dann werden sich der Hochschulrat und die Regierung zum ersten Mal zusammensetzen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen