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Lösungsvorschlag für Hamburgs ZugproblemEin neuer Hauptbahnhof

Hamburgs Hauptbahnhof gilt als „größter Flaschenhals“ der Bahn, zu viele Züge und Menschen für zu wenig Gleise. Jetzt liegt eine Idee auf dem Tisch.

Hübsch, aber zu wenig Gleise für haltende Züge: der im Jahr 1904 gebaute Hamburger Hauptbahnhof Foto: Markus Scholz/dpa

Hamburg taz | Radikale Vorschläge hat die „Junge Ortsgruppe“ des Verkehrsclubs Deutschland Nord (VCD). Vorschläge wie diesen hier: Der Hamburger Hauptbahnhof soll verlagert werden. Etwa einen Kilometer weiter östlich, rund um den heutigen Bahnhof Berliner Tor, soll ein neuer Hauptbahnhof entstehen, mit 27 Gleisen auf zwei Ebenen, ähnlich wie beim Berliner Hauptbahnhof.

„Der jetzige Hauptbahnhof ist zu klein“, sagt Jonas Spanier, der die Pläne vorstellte. Der habe nur acht Gleise, Münchens Hauptbahnhof dagegen 30, auch andere Städte hätten mehr Gleise. Das Problem sei, dass in Hamburg die ICE und Regionalzüge schnell weiter müssen, um den Bahnsteig für die nächsten Züge frei zu machen. Deshalb führen die ICE leer zum Kopfbahnhof Altona, wo sie bleiben können.

Ein früherer Bahnchef nannte Hamburgs Hauptbahnhof mal den „größten Flaschenhals“ im Netz der Bahn. Und weil mit dem Deutschland-Takt der Schienenverkehr verdoppelt werden soll, kündigte bereits 2020 der damalige Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann (CDU) an, dass die Verbindungsgleise zwischen Hauptbahnhof und Altona entlastet werden sollen. Damit vier statt zwei Gleise genutzt werden können, soll die dort fahrende S-Bahn in einem Tunnel verschwinden.

Das ist dem VCD nicht genug. Dieser Verbindungsbahnentlastungstunnel (VET) löse demnach das Problem nicht. Denn entscheidend sei die zu geringe Gleiskapazität am Hamburger Hauptbahnhof. Auch mit Bau des VET, das zeige ein Blick auf den Fahrplan des Deutschland-Takts, führen die Züge von Hamburg aus nicht häufiger. „Es bleibt alles, wie es ist“, sagt Spanier. „Der Hauptbahnhof stammt von 1904. Er war für 600.000 Menschen, die ihn täglich nutzen, nie ausgelegt.“

Der Hauptbahnhof stammt von 1904. Er war für 600.000 Menschen, die ihn täglich nutzen, nie ausgelegt

Jonas Spanier, Verkehrsclub Deutschland Nord

Hinzu komme, dass der Bahnhof für die Züge, die bald durch den Fehmarn-Belt-Tunnel aus Nordeuropa kommen, sowie für Reisende aus Lübeck eine Sackgasse darstelle. Eine Skizze des VCD macht deutlich, dass nur ein Gleis in der Mitte der Halle den Zügen ermöglicht, die Richtung nach Süden zu wechseln.

„Schiene Plus“ heißt der Plan, den die Gruppe mit Hilfe von Ingenieuren für den neuen Hauptbahnhof entworfen hat. Berliner Tor ist heute kein schöner Ort. Rund um den S- und U-Bahnhof sind breite Autostraßen. Der Ort bestehe aus Kreuzungen und Parkplätzen, sagt Spanier. „Wir haben dort eine Fläche von zwölf Hektar, die frei von Gebäuden ist.“

Auf zwei Etagen könnte dort der neue Bahnhof entstehen. Unten würden Gleise aus Richtung Lübeck im Osten und Elmshorn im Westen in zwei Bögen jeweils Richtung Süden über die Elbe führen. „Diese Gleise binden 20 Millionen Skandinavier besser an Mitteleuropa an“, sagt Spanier. Dazwischen wäre Platz für vier Kopfgleise für Regionalzüge aus dem Westen. Oben gäbe es 15 Kopfgleise für Fern- und Regionalzüge aus dem Süden, die dort dann eben auch länger stehen bleiben könnten. Etwas versetzt kämen noch vier Kopfgleise für Züge aus Richtung Lübeck dazu. Das Ganze sieht in der Präsentation noch aus wie eine Strichesammlung und ist kein Architekturentwurf.

Baute man dies, wäre der Entlastungstunnel, für dessen Bau sieben Jahre lang Hamburgs City-S-Bahn halb lahmgelegt werden müsste, verzichtbar. Der Tunnel würde Milliarden Euro kosten – eine exakte Kostenschätzung ließ der Senat schwärzen – und würde wohl größtenteils vom Bund bezahlt werden. „Unsere Gegenfinanzierung ist der VET“, sagt Spanier vom VCD. Der neue Bahnhof und alle Umbauten wären „preislich in etwa in der Gegend“.

Am Berliner Tor sollen dann gleich noch zwei kleinere Tunnel für Autos entstehen. Außerdem müsste Hamburg seine Güterumgehungsbahn ausbauen, die Platz für zwei Gleise hat. Die Strecke soll aus Bergedorf kommende S-Bahn-Fahrgäste während der Bauphase an einen U-Bahnhof anschließen. Und über sie sollen künftig die ICE zum Betriebswerk fahren.

Berliner Tor hat den Vorteil, dass dort bereits drei U-Bahn-Linien halten. Um auch die U1 anzubinden, müsste sie verlegt werden. Dies sei aber in offener Bauweise möglich. Den alten Bahnhof würden die Planer als „Altstadtbahnhof“ erhalten, für S-Bahnen und Regionalzüge.

Der VCD-Nord fordert nun, alle Varianten für den Ausbau des Bahnknotens Hamburg offen zu diskutieren. Das sei vor der Entscheidung für den Bau des Entlastungstunnels nicht geschehen, weil SPD und Grüne diese Debatte mieden. Die Bürger dürfen nur mitreden, in welcher Variante die S-Bahn unter die Erde kommt. Nicht ob.

Deshalb hatte schon im vorigen Mai Holger Busche von der Fachgruppe Mobilität von ­„Scientists for Future“ vorgeschlagen, statt des Tunnels zwei neue Schienenwege zu bauen, die es Fahrgästen ermöglichen, das Zentrum zu umfahren. „Ich begrüße diese neue Diskussion sehr“, sagt Busche. Er hält die Konzepte für verknüpfbar.

Noch ist der Tunnel nicht beschlossen

Auch Verkehrspolitikerin Heike Sudmann (Die Linke) sagt, der Vorschlag habe eine ernsthafte Prüfung verdient. Sie möchte ihn im Verkehrsausschuss diskutieren. FDP-Politikerin Sonja Jacobsen nennt das Konzept „verlockend“, fragt sich aber nach den Erfahrungen mit Stuttgart 21, ob es sich um eine günstige Alternative handele.

Hamburgs Verkehrsbehörde und das Bundesverkehrsministerium äußerten sich nicht zum VCD-Vorschlag. Eine Bahnsprecherin sagte, man habe diesen „zur Kenntnis genommen“. Der Plan sei eine „gesamt­städtische Angelegenheit“ mit Wirkung auf nationale und internationale Verbindungen. Mit dem VET-Tunnel als Maßnahme des Deutschland-Takts werde sich für Hamburgs Reisende die Anbindung verbessern, sagt die Sprecherin. Beschlossen sei der noch nicht. Das passiere, „wenn die Finanzierung zwischen Land, Bund und DB feststeht“.

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11 Kommentare

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  • Warum fragt sich die fdp-Politikerin nicht auch beim Tunnelbau, ob die Variante so günstig ist - mit Blick auf Stuttgart 21?

  • taz: "Hamburgs Hauptbahnhof gilt als „größter Flaschenhals“ der Bahn, zu viele Züge und Menschen für zu wenig Gleise. Jetzt liegt eine Idee auf dem Tisch." - *Ein neuer Hauptbahnhof*

    Schon wieder ein Großbauprojekt in Hamburg? Da wird es also wieder 'Ausschreibungen' geben, wo die Baufirmen sich gegenseitig unterbieten und am Ende die Baufirma den Zuschlag erhält, die gar nichts auf die Reihe bekommt. Die Hansestadt Hamburg begreift anscheinend nicht, dass sie Großbauprojekte schon seit langer Zeit nicht mehr "gebacken" bekommt, weder in der angegebenen Zeit noch für die geplanten Kosten. Die Baukosten für die Elbphilharmonie betrugen am Ende rund 866 Millionen Euro, also mehr als das Elffache der mit ursprünglich 77 Millionen Euro geplanten Summe. Und der Elbtower (geschätzte Kosten = 1 Milliarde €), der ein Wahrzeichen von Hamburg werden soll(te), steht momentan als 'Bauruine' herum. Mal davon abgesehen, dass ein 245 Meter hoher Elbtower die schöne Hansestadt verschandeln würde, würde sich nach Expertenmeinung der Boden in der Umgebung durch das hohe Gewicht auch noch setzen. Das würde wieder viel Arbeit für Anwaltskanzleien geben, die dann Klagen einreichen; deshalb sollte man das 245-Meter-Ding auch gar nicht weiterbauen, wenn man nicht noch mehr Geld "verbrennen" will.







    Elbphilharmonie, Elbtower und jetzt auch noch einen neuen Hauptbahnhof. Aber Politiker sind nun einmal so, sie wollen nämlich "wichtig" sein und alles sofort "regeln". Besser wäre es allerdings, wenn sie erst mal nachdenken würden, aber das kann man bei Politikern wohl nicht erwarten.

    • @Ricky-13:

      Die erste Shinkansen-Strecke zwischen Tokyo und Osaka wurde auch doppelt so teuer wie ursprünglich veranschlagt. Darüber redet heute aber keiner mehr, sondern nur darüber wie zuverlässig und leistungsfähig das Shinkansen-System ist. Mit der Elphi ist es schon heute fast genauso, weil in vielen Köpfen inzwischen zu einem schönes Wahrzeichen und Must-See in Hamburg geworden sind ist. Geben Sie dem ganzen noch Max. 20 Jahre, dann redet auch hier niemand mehr über dessen Kosten, sondern nur darüber wie froh man ist die Elphi zu haben.



      Außerdem soll das Großprojekt „neuer Hamburger Hauptbahnhof“ ein anderes, viel unsinnigeres Großprojekt (VET) obsolet machen. Einen Tod müssen wir halt sterben angesichts der Tatsache, dass der Verkehrsknoten Hamburg gnadenlos überlastest ist, was bekanntlich immer wieder zu Problemen und Ärger führt.

    • @Ricky-13:

      Der Unterschied ist natürlich, dass ein neuer Hauptbahnhof, im Gegensatz zu den anderen beiden genannten Großprojekten, wirklich nötig ist...

  • Und in Stuttgart hattense 18 und bald bur noch 8. War alles mit barrierefreiem Umsteigen von gleis zu Gleis, ohne Aufzüge oder Firlefanz und tatsächlich im betriebsablauf mit überhauptkeinem Problem mehr, seit der "Lokwechsel" (wichtigstes Argument anno dunnemal für Abschaffung des Kopfbahnhofs) nu im SPV schon sehr sehr lang der Vergangenheit angehört. Bald ham wir dann nur noch die 8 Gleise im Keller - mit abschüssigen Bahnsteigen, nutzbar weder mit Rollator noch Rollstuhl noch Kinderwagen noch Rollkoffer. Und alle Züge ohne das neuste Zugbeeinflussungssystem werden den Bahnhof garnicht anfahren können - wobei dieses System in den Tunneln bislang noch GAR NICHT INSTALLIRT ist. Bahnhof erreichbar bislang somit nur per Rangierlok und Bauzug. Also bittebitte keine Megaprojekte mehr, die unsere jetzigen Probleme dann im Jahr 2060 lösen sollen und, nach preislicher Verzehnfachung plus jahrzehnteweiser Verzögerung, dann 2080 womöglich tatsächlich lösen werden - oder verschlimmern, siehe Stuttgart.. @PEACE85 hat da sowasvonrecht.

  • Mit Verlaub.....

    diese Idee, dieser Vorschlag, dieser Lösungsversuch wird niemand der Heute bei der taz arbeitet, bezw. die taz liest zu seiner Lebzeiten umgesetzt bezw. in Betrieb erleben.



    Wir sind in Deutschland



    Planungszeit ca. 15 Jahre, Genehmigungsverfahren incl. Widerspruchsverfahren ca. 20 bis 25 Jahren, Bauausführung incl. Alle möglichen Pech und Pleiten 20 Jahren.

    So jung kann nicht mal der jüngste taz Volontär sein bezw. der jüngste taz Leser.



    Ps. Frankfurt/Main spinnt sich etwas ähnliche zurecht: der Sackbahnhof soll untertunnelt um eine Durchgangsstation ergänzt werden..... Hirngespinste

    • @Peace85:

      Das ist doch das Problem: Gerade Tunnel-Lösungen sind so teuer und in der derzeitigen Lage kaum zu verwirklichen. Man muss doch nachdenken, bevor weiter um ein Provisorium herumgedoktort wird, bei dem niemand glücklich wird. Lässt sich vielleicht am Beispiel Berlin Hbf lernen, dass es auch zügiger gehen könnte oder sind die Züge inzwischen abgefahren für zukünftige Planungen ?

  • Hamburg21 :)

    • @Herr Lich:

      Eigentlich genau das Gegenteil davon. Die "21"-Projekte (von denen nur das in Stuttgart übrig geblieben ist) stehen ja dafür, alles in Tunnels zu verlegen, was mit diesem Vorschlag eben genau verhindert werden soll.

      • @~JV:

        Trotzdem wird das ein FoB.



        Ein Fass ohne Boden.

        • @Stoffel:

          Und die angedachte Tunnel-Lösung ist das nicht?