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Kürzungspläne von ThyssenkruppStahlkocher wollen um Jobs kämpfen

Bei Deutschlands größtem Stahlproduzenten Thyssenkrupp könnten Tausende Arbeitsplätze verschwinden. Betriebsrat und IG Metall fordern Jobgarantie.

Künftig soll der Stahl bei Thyssenkrupp klimafreundlich aus der Produktion kommen Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Bochum taz | Mit harter Kritik haben Betriebsräte und die Gewerkschaft IG Metall auf die Pläne von Deutschlands größtem Stahlhersteller Thyssenkrupp reagiert, seine Produktionskapazitäten in Nordrhein-Westfalen massiv reduzieren und damit wohl auch Tausende Arbeitsplätze vernichten zu wollen. „Wir fordern Zukunft statt Kündigung“, erklärte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Stahltochter Thyssenkrupp Steel (TKS), Tekin Nasikkol. Sofortige Jobstreichungen seien undenkbar, ein bis März 2026 geltender Tarifvertrag schließe betriebsbedingte Kündigungen aus. „Daran lassen wir nicht rütteln, da ziehen wir rote Linien“, so der Betriebsratschef.

Auch der Bezirksleiter der IG Metall in Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler, forderte, Thyssenkrupp müsse sich seiner Verantwortung nicht nur für sein riesiges Stahlwerk in Duisburg, sondern auch für seine übrigen Standorte in Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen, Hagen, im Sieger- und Sauerland bewusst sein. „Wir werden nicht akzeptieren, dass Zigtausende Menschen um ihren Job bangen müssen“, sagte der Gewerkschafter.

Der von der IG Metall gestellte stellvertretende Vorsitzende des TKS-Aufsichtsrats, Detlef Wetzel, erklärte, „Voraussetzung für Verhandlungen über eine Neuaufstellung des Unternehmens“ sei deshalb „ein harter Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen über März 2026 hinaus“.

TKS hatte am Donnerstagabend verkündet, die Produktionskapazitäten um mehr als 20 Prozent von 11,5 auf 9 bis 9,5 Millionen Tonnen reduzieren zu wollen. Besonders treffen dürfte dies den Standort Duisburg: Von den insgesamt 27.000 TKS-Beschäftigten arbeiten rund 13.000 in den dortigen Stahlwerken, die als größtes zusammenhängendes Industrieareal Westeuropas gelten und fast fünfmal so groß sind wie das Fürstentum Monaco.

Konkurrenz und schwache Nachfrage

Aktuell leidet die Stahlsparte des Gesamtkonzerns, der etwa auch im Kriegsschiffbau und im Rohstoffhandel aktiv ist, unter Billigkonkurrenz aus Asien und schwächelnder Nachfrage durch die Automobilindustrie. Für das 4. Quartal 2023 hatte der Gesamtkonzern deshalb einen Verlust von 314 Millionen Euro ausweisen müssen – im Vorjahreszeitraum war noch ein Gewinn von 75 Millionen verbucht worden.

In der Gesamtkonzern-Zentrale in Essen wird seit Langem daran gearbeitet, die Verantwortung für das volatile Stahlgeschäft zu reduzieren. Monatelang verhandelte Thyssenkrupps seit Juni 2023 amtierender Gesamtkonzernchef Miguel Lopez mit der EPH-Holding des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky über die Gründung eines Joint Ventures beim Stahl – bisher ohne Ergebnis.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Stahltochter TKS, der einstige SPD-Vorsitzende und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, hatte schon Ende Februar versucht, die Belegschaft auf Einschnitte vorzubereiten: TKS müsse zu einem Unternehmen werden, das sich „seine Investitionen selbst verdient und nicht immer wieder auf die Hilfe des Konzerns oder eines neuen Anteilseigners angewiesen ist“, erklärte Gabriel im Interview mit der Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ).

Nordrhein-Westfalens grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur erklärte dagegen, Produktionskürzungen und drohender Arbeitsplatzabbau seien „eine enttäuschende Nachricht“ – schließlich unterstützen Bund und Land Thyssenkrupp bei der Umstellung auf klimaneutrale Produktion mit 2 Milliarden Euro. Allerdings: Die Umstellung eines einzigen Hochofens von Kokskohle auf grünen Wasserstoff kostet 3 Milliarden Euro – und allein im Duisburger Norden stehen davon vier. Dazu kommen zwei weitere Hochöfen im Duisburger Süden bei der Konzernbeteiligung Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM).

Transformation kostet 18 Milliarden Euro

Insgesamt dürfte die Umstellung damit also 18 Milliarden Euro kosten – Geld, das der Stahlkonzern nicht hat. Betriebsräte und Gewerkschaft bleiben dennoch kämpferisch: Für den 30. April haben sie zu einer Belegschaftsversammlung eingeladen – in der Arena des MSV Duisburg. „Wir erwarten einen Großteil der 27.000 Kolleginnen und Kollegen“, sagt Betriebsratschef Tekin Nasikkol – „und werden unseren Forderungen Nachdruck verleihen“.

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1 Kommentar

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  • "Insgesamt dürfte die Umstellung damit also 18 Milliarden Euro kosten – Geld, das der Stahlkonzern nicht hat."



    ...und nach der Umstellung braucht er grünen Wasserstoff, dessen Verfügbarkeit und Preis in den Sternen steht.



    Ein Subventionsgrab, aka Fass ohne Boden.



    Ich kann es mir in diesem Zusammenhang nicht verkneifen, den Gipfel des Wahnsinns zu erwähnen: "Grüner Wasserstoff aus Biogas" [1]



    [1] taz.de/Gruener-Was...us-Biogas/!6002876