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Tod von Medard MutomboStaatsanwaltschaft ermittelt wieder

Der psychisch erkrankte Medard Mutombo war 2022 nach einem brutalen Polizeieinsatz gestorben. Sein Bruder hatte nun Erfolg mit einer Beschwerde.

Der Bruder des Verstorbenen, Mutombo Mansamba, bei einer Pressekonferenz im Oktober 2022 Foto: Carsten Koall/dpa

Berlin taz | Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen zum Tod des psychisch erkrankten Medard Mutombo nach einem Polizeieinsatz wieder aufgenommen. Das geht aus einem Schreiben der Behörde an die Anwältin des Bruders des Verstorbenen hervor, das der taz vorliegt. Damit hatte der Bruder, Mutombo Mansamba, bereits zum zweiten Mal Erfolg mit einer Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens.

Auf taz-Anfrage erklärte Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner, der Beschwerde seien „Ermittlungsanregungen entnommen worden, denen noch nachgegangen werden soll“. Welche das genau sind und warum diese nicht schon nach der ersten Beschwerde vor rund einem Jahr berücksichtigt wurden bleibt unklar. Ermittelt werde nach wie vor gegen Unbekannt wegen Körperverletzung im Amt.

Für Mansambas Anwältin Regina Götz ist das Einlenken der Behörde nicht wirklich ein Grund zur Freude. Sie gibt sich skeptisch: „Ich frage mich, ob das Ziel der neuen Ermittlungen überhaupt ist, Anklage zu erheben – oder nur das Nötigste zu tun“, sagte Götz der taz. „Der bisherige Umgang mit dem Fall Medard Mutombo zeigt, dass offenbar kein großes Interesse an der Strafverfolgung besteht.“

Nach brutalem Polizeieinsatz zusammengebrochen

Der Tod von Kupa Ilunga Medard Mutombo im Herbst 2022 hatte Entsetzen und massive Kritik am Vorgehen der Polizei ausgelöst. Der 64-jährige Kongolese litt an einer Schizophrenie und lebte seit mehr als 20 Jahren in Spandau in einem Wohnheim für von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen.

Im September 2022 sollte er auf Grundlage eines richterlichen Unterbringungsbeschlusses von dort in eine geschlossene Psychiatrie gebracht werden. Weil das Gericht damit rechnete, dass Medard sich wehren würde, ordnete es polizeiliche Begleitung an und räumte auch die Befugnis zur Anwendung von Gewalt ein.

Die Polizei überwältigte und fesselte den um sich tretenden und schlagenden Medard. Er kollabierte, wurde reanimiert, fiel ins Koma und starb etwa drei Wochen später im Krankenhaus. Die Todesursache war dem Obduktionsbericht zufolge ein durch Sauerstoffmangel bedingter Hirnschaden. Sein Bruder Mansamba warf den Po­li­zis­t*in­nen daraufhin rechtswidrige Gewalt vor und erstattete Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Unbekannt, stellte das Verfahren allerdings nach wenigen Monaten ein.

Mansamba war wütend über die in seinen Augen schlechte Arbeit der Anklagebehörde – und reichte mit seiner Anwältin Regina Götz im Mai 2023 die erste Beschwerde ein. Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen im August wieder auf. Doch die Hoffnung war nur von kurzer Dauer, berichtet Anwältin Regina Götz. Bereits im November wurde das Verfahren erneut eingestellt.

Hinweisen nicht nachgegangen

Mansamba und Götz wollten das nicht hinnehmen. Keine der offenen Fragen sei geklärt worden, betont die Anwältin und wirft der Staatsanwaltschaft vor, diese habe „ausschließlich Argumente für die Einstellung des Verfahrens gesucht“. Götz kritisiert unter anderem, dass sich die am Einsatz beteiligten Po­li­zis­t*in­nen zwar zum Widerstand des späteren Todesopfers geäußert hätten. Sie seien aber nie als Zeugen oder gar als Beschuldigte zur Fixierung und zum Tod von Medard vernommen worden – ein schweres Versäumnis, so Götz.

Außerdem fordert die Anwältin ein medizinisches Gutachten zur Todesursache. Sie verweist darauf, dass laut Ermittlungen ein Notarzt gesagt habe, er gehe davon aus, dass Medard aufgrund der gewaltsamen Fixierung durch die Polizei kollabiert sei und einen sogenannten lagebedingten Erstickungstod erlitten habe. Dieser Arzt wurde aber nie vernommen.

Auch Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht von Berlins Bürger- und Polizeibeauftragten Alexander Oerke, der den Fall ebenfalls untersuchte, müssten in die Ermittlungen einfließen, verlangt Regina Götz. In dem Report hatte Oerke im vergangenen Herbst eine „Verkettung von vermeidbaren Fehlern“ moniert und dargelegt, dass der gerichtliche Unterbringungsbeschluss rechtswidrig war.

Anfang dieses Jahres legten Götz und Mansamba deshalb erneut Beschwerde ein. Nun erhielten sie den Brief, in dem die Staatsanwaltschaft ohne Begründung mitteilt, das Verfahren sei ein weiteres Mal aufgenommen worden. Die neuerliche Aufnahme habe sie überrascht, sagte Götz der taz. Insgesamt fehle ihr aber inzwischen das Vertrauen: „Ich wundere mich, dass in einem Fall, in dem jemand sein Leben verloren hat, so mangelhaft ermittelt wird.“

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4 Kommentare

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  • Die taz berichtete gerade, dass in Nienburg ein psychisch kranker Mann, der das Messer gegen Beamte gezückt hatte, mit mehreren Schüssen von Polizeibeamten erschossen wurde. Der mehrfache Schusswaffengebrauch der Polizei, bei der zudem eine Beamtin durch ein Schuss schwer verletzt wurde, wirft viele Fragen auf. Trotzdem ermittelt nicht eine Polizeirevier, dass weit vom Tatort entfernt ist, sondern ein benachbartes Polizeirevier. Vermutlich typisch bei Fällen dieser Art. Dabei könnten sich viele Polizeibeamte aus Sportverein, Familie oder Schule oder Ausbildung kennen.

    Hier das verstörende Handyvideo der gescheiterten Festnahme, bei dem Polizisten auf engsten Raum mehrfach schossen und vermutlich nicht versuchten, die Situation zu deeskalieren.

    twitter.com/Refuge...774717070258671882

    Wenn man sich in dem Zusammenhang die vielen Widersprüche bei den Ermittlungen im Fall Oury Yalloh anschaut, der in einer Polizeiwache verbrannte, gerät das Vertrauen in den Rechtsstaat ins wanken.

    Margot Overath (WDR), die jahrelang als Journalistin in dem Fall recherchierte, zeigt, dass etwas faul in dem System Polizei, Staatsanwaltschaft, Richterschaft sein könnte, wenn Beamte betroffen sind, die täglich beruflich miteinander zu tun haben.

    Eine ganze Polizeiwache könnte in schwerste Verbrechen verwickelt sein, laut Overath. Es bleiben sehr viele Fragen offen, weil Staatsanwaltschaft und Richter diesem Verdacht verneinten und nicht genug nachgingen.

    Deshalb wird es Zeit, dass sich amnesty international diese und andere Fälle von Gewalt mit Todesfolge bei der Polizei in der BRD untersucht. Zuständige Ministerien schauen weg, streben keine wissenschaftliche Aufklärung der gehäuften Todesfälle in Polizeigewahrsam an.

    www1.wdr.de/mediat...-jalloh/index.html

  • war denn auf dem Transport eine Ärztin, ein Arzt, eine Psychiaterin, ein Psychiater dabei?

    • @Brombeertee:

      Und noch was: Nun hab ich mir noch den Artikel, der den Vorfall selbst beschreibt, taz.de/Tod-nach-Po...ieinsatz/!5896276/, durchgelesen.

      Dort fällt mir auf: "Medard hat die Tür einen Spalt geöffnet, und dann sind die Polizisten rein. Sie haben versucht, seine Hände auf dem Rücken zu fixieren, ..." -> Das ist m. E. ein grober Fehler. Ein Tür-Öffnen, nach tagelangem Nicht-Öffnen, ist ein Vertrauensbeweis; dann gehört achtsam gesprochen, notfalls viele Stunden.

      Weiter: Der Bruder sagt, er hätte einbezogen werden sollen, ""Ich hätte mit meinem Bruder sprechen können"", "Medard habe nie Deutsch gelernt", ""Ich habe mit ihm Französisch gesprochen oder Lingala, unsere Sprache"". -> Ein Gespräch eines Vertrauten in der Sprache der Kindheit hätte sehr wahrscheinlich beruhigend gewirkt. Der Bruder hätte auch mitfahren können.

      Weiter: "Ein Detail bestätigt die Pressestelle [der Polizei] aber doch: Es waren Diensthundeführer vor Ort. „Die jedoch“, wie es heißt, „nicht zum Einsatz kamen.“" -> Auch die Anwesenheit der Hunde kann massiv Streß auslösen.

      Weiter, aus einem Leser*innen-Kommentar: "War der Rettungsdienst anwesend? Jedes Notarzteinsatzfahrzeug hat Medikamente bei sich, die in Sekunden als Spray über die Nase appliziert werden können, damit bringt man eine Menge ängstlicher und aufgebrachter Menschen zur Ruhe." -> mal vorausgesetzt, das hilft auch bei Schizophrenie, wäre das eine Sache, die die Polizei sachgemäß beherrschen sollte.

      Und noch was Rechtliches: es irritiert mich, dass in so einem Fall die Staatsanwaltschaft gegen den Willen des Bruders, also des Nebenklägers in spe, das Verfahren einstellen kann. M. E. müsste bei schweren Fällen, also insbesondere, wenn ein Mensch zu Tode kommt, nach spätestens einem Jahr Ermittlung oder beim Versuch, das Verfahren einzustellen, der Fall zwangsläufig vor Gericht landen. Meine Rechtsauffassung. Scheint im Strafrecht nicht so zu sein.

    • @Brombeertee:

      Ich weiß nicht, wie das organisiert war, aber wie es m. E. idealerweise hätte sein sollen. Es ist sicherlich, bei der Psychose Schizophrenie, eine sehr schwere Aufgabe, den Schritt in die geschlossene Psychiatrie vorzunehmen.

      Zunächst finde ich, dass der Wechsel von der Sozialunterkunft zur geschlossenen Psychiatrie für den Betroffenen recht heftig sein muss, also viel Streß auslösen kann. Was seine Gegenwehr (heftig um sich treten) ja auch zeigt. D. h. ganz am Anfang, vor dem Ankommen im psychiatrischen Krankenhaus, geht die Krise vom Ausgangszustand auf 180% hoch, um sich dann, wäre es gutgegangen, im mittleren Bereich einzupendeln. Es ist nicht einfach ein Transport und dann beginnt Psychiatrie.

      Der Hauptfehler liegt also m. E. daran, die Aktion als Transport abzufahren, anstatt als eine therapeutische Intervention. Wobei auch dies kritisch gesehen werden kann. Auf jeden Fall braucht es von Anfang an, vom Beginn des Transports bzw. vorher, von der Ankündigung bzw. der Urteilsverkündung (Entscheidung, dass dieser Mensch in die geschlossene Psychiatrie gebracht werden soll und darf) an, eine fachkundige Begleitung.

      Die, wenn auch nicht ideale, aber beste Kompetenz, die unsere Gesellschaft dazu entwickelt hat, ist wohl eher in der Psychiatrie als in Polizei oder Justiz angesiedelt. Obwohl es gut wäre, auch dort spezielle Teams zu haben, die Psychiatrie beherrschen.

      Also käme eine Aktion in Frage, die von Anfang an fachlich-psychiatrisch geleitet ist. Wichtig wäre dabei, dass sich alle Beteiligten (ob aus dem Krankenhaus, Polizei, Sanitäter:innen, Notarzt ..) gegenseitig in ihren Rollen anerkennen, keine Vorurteile und Animositäten mitschwingen, am besten sich schon als festes Team kennen und eingespielt sind, denn der Auftrag ist extrem schwer genug. Und sinnvoll wäre auch, den Zeitpunkt des eigentlichen Transportes nach der psych. Entwicklung und nicht nach dem Dienstplan zu bestimmen.

      Es ist auch ein gesellschaftliches, nicht nur ein Polizei-Problem.