EU-Lieferkettengesetz kommt: Das letzte Glied einer langen Kette
Eine Mehrheit im EU-Parlament für die Richtlinie scheint sicher. Sie verspricht mehr Rechte für die Beschäftigten in Fabriken und auf Plantagen – weltweit.
Nach längerem Hin und Her scheint die Lieferketten-Richtlinie der Europäischem Union auf gutem Weg zu sein. Warum ist das wichtig?
Wenn sie sich für sozialen und ökologischen Fortschritt interessieren, können Verbraucher:innen bald etwas beruhigter einkaufen. Denn die Lage der Beschäftigten in den weltweiten Zulieferfabriken und auf den Plantagen des Südens dürfte sich in einigen Jahren wohl etwas verbessern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Löhne steigen, weniger schulpflichtige Kinder Kaffeebohnen pflücken und die Wasserverschmutzung im Umkreis von Bergwerken abnimmt. Andererseits könnten Produkte wie Textilien oder Lebensmittel dadurch in hiesigen Geschäften aber auch um einige Cent oder Euro teurer werden. Diese Folgen sind zu erwarten, weil die EU kurz davor ist, ihre Richtlinie für Unternehmensverantwortung zu beschließen. Große Firmen in der EU wären dann verpflichtet, sich um die sozialen und ökologischen Menschenrechte der Beschäftigten ihrer weltweiten Zulieferer zu kümmern. Dann müssten hiesige Auftraggeber wie beispielsweise Edeka, H&M oder VW aktiv dafür sorgen, dass es bei den Zulieferern nicht zu Kinder- und Zwangsarbeit kommt, Mindestlöhne gezahlt werden, Mindesturlaub gewährt wird, die Beschäftigten unabhängigen Gewerkschaften beitreten können und Agrarkonzerne das Land benachbarter Bauern nicht vergiften. Ein solches Gesetz galt bisher zwar schon in Deutschland, aber nicht europaweit.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Warum wurde das nötig?
Die Globalisierung seit den 1980er Jahren führte dazu, dass deutsche und europäische Unternehmen ihre Herstellung in der Heimat reduzierten oder beendeten und mehr Produkte in aller Welt in Auftrag gaben. In den neuen Zulieferfabriken vor allem Asiens waren und sind die Arbeitsbedingungen jedoch schlechter als in Europa. Von diesem Kostenvorteil profitieren auch die hiesigen Konsument:innen in Gestalt günstiger Preise. Das gilt für Textilien aus Bangladesch ebenso wie für Medikamente aus Indien und Smartphones oder Autoteile aus China.
Was steht in der Lieferketten-Richtlinie?
Die Unternehmen müssen die menschenrechtlichen Risiken bei ihren Lieferanten analysieren, sie möglichst ausschließen, eingetretene Schäden ausgleichen und darüber teilweise auch öffentlich berichten. Tragen sie eine Mitverantwortung für Schäden, haften sie und können vor europäischen Gerichten auf Schadenersatz verklagt werden. Außerdem sollen sie Beschwerdemechanismen einrichten, damit die Beschäftigten der Zulieferer ihre Probleme bei den Auftraggebern zu Gehör bringen können. Staatliche Behörden wachen darüber, dass die Firmen die Richtlinie einhalten. Grundsätzlich gilt das für EU-Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Jahresumsatz, ebenso außereuropäische, die einen entsprechenden Umsatz in Europa erwirtschaften.
Warum wurde monatelang diskutiert?
Nach jahrelangen Verhandlungen hatten EU-Kommission, Mitgliedstaaten (auch die Bundesregierung) und das EU-Parlament im vergangenen Dezember einen Kompromiss ausgehandelt. Dann kam die FDP auf die Idee, alles nochmal infrage zu stellen. Bundesfinanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann beriefen sich auf Organisationen wie den Industrieverband BDI, die die Richtlinie ablehnten, weil sie angeblich viele Firmen überfordere. So wurde drei Monate weiter diskutiert, um einen neuen Kompromiss zu finden, der eine Mehrheit bekommen würde. Trotz deutscher Enthaltung. Das hat vor einer Woche grundsätzlich geklappt – allerdings um den Preis einer Abschwächung.
Was wurde geändert?
Eigentlich hatte man sich darauf geeinigt, dass hiesige Firmen ab 500 Beschäftigten und 150 Millionen Euro Jahresumsatz einbezogen werden. Nun soll die Untergrenze bei 1.000 Leuten und 450 Millionen Euro liegen. Und das erst sieben Jahre nach dem Beschluss, also vielleicht ab 2031. In der Zwischenzeit gilt die Richtlinie erst mal nur für große Firmen ab 5.000 Mitarbeitenden und 1,5 Milliarden Euro Umsatz. Dann sinkt die Untergrenze Jahr für Jahr ab, bis sie bei Firmen mit 1.000 Leuten angelangt ist. Schließlich werden nur gut 5.000 europäische Unternehmen direkt betroffen sein, nicht mehr gut 16.000, wie ursprünglich geplant.
Werden die Firmen tatsächlich überfordert?
Die Richtlinie wird viele Firmen zusätzliches Geld kosten. Wenn zum Beispiel ein Textilzulieferer in Bangladesch den Lohn erhöht, kann sich das im Preis niederschlagen. Die hiesigen Unternehmen haben auch zusätzliche Arbeit, weil sie die neuen Qualitätsanforderungen umsetzen, also etwa Beschwerden von Beschäftigen der Lieferanten beantworten müssen. Vielleicht sind ein, zwei neue Stellen im Betrieb nötig. Doch den größten Teil der regelmäßigen Überprüfungen werden automatisierte Rechercheverfahren erledigen, die die im Internet zugänglichen Informationen scannen. Eine Intervention des einzelnen Auftraggebers wird wohl nur in Einzelfällen nötig sein. Wobei all das für kleine europäische Firmen schwieriger sein kann als für große. Manche Unternehmen sagen, dass sie mit der Richtlinie zurechtkommen werden, andere kritisieren sie.
Wofür braucht Deutschland ein eigenes Gesetz?
Manche Länder waren schneller als die EU. Unter anderem Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Norwegen haben schon eigene Lieferkettengesetze – Deutschland auch. Dieses sei nun überflüssig und könne „aufgehoben“ werden, fordert Lindner. Er verkennt, dass Deutschland die kommende Richtlinie in nationales Recht übertragen muss. So sind Bundestag und Regierung verpflichtet, die strengere Regelung im deutschen Recht zu verankern. Das bereits existierende Gesetz ist dafür der richtige Ort.
Ist die Richtlinie endgültig beschlossen?
Mit einiger Wahrscheinlichkeit stimmt das EU-Parlament am 24. April endgültig zu. Nachdem der Rechtsausschuss kürzlich bereits „Ja“ sagte, scheint die Mehrheit sicher. Fraglich jedoch ist, ob dann bereits die von Fachleuten abgesegneten Übersetzungen in alle EU-Sprachen vorliegen. Wenn nicht, mag nach der EU-Wahl im Juni eine weitere Abstimmung in der nächsten Legislatur notwendig werden. Das könnte der neuen Mehrheit und den Gegner:innen noch einmal einen Hebel in die Hand geben, die Richtlinie zu ändern – wenngleich das sehr unüblich wäre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“