Experte zu EU-Lieferkettengesetz: „Europa übernimmt Verantwortung“
Obwohl die FDP blockierte, kommt die EU-Lieferketten-Richtlinie. Sie macht die Arbeitsbedingungen weltweit besser, sagt Völkerrechtler Markus Krajewski.
taz: Weil die FDP die EU-Lieferkettenrichtlinie monatelang blockierte, waren Nachverhandlungen nötig – mit dem Ergebnis, dass der Text nun schwächer ausfällt. Ist er trotzdem in Ordnung?
Markus Krajewski: Ja, die Richtlinie ist auch so akzeptabel. Man kann über die Details streiten, doch insgesamt haben die Verhandlungen keine schlimmen Änderungen verursacht. Wenn die meisten Unternehmen die Richtlinie umsetzen, wovon ich ausgehe, werden sich die Arbeitsbedingungen weltweit zum Positiven verändern.
MARKUS KRAJEWSKI ist Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Nun müssen sich aber weniger Unternehmen an die Regeln halten, weil Mindestumsatz und Mitarbeiterzahl angehoben wurden. Außerdem gelten lange Übergangsfristen, bis die Richtlinie in Kraft tritt. Ist das keine erhebliche Abschwächung?
Das ist nicht schön. Tatsächlich werden tausende Unternehmen nicht unter die Richtlinie fallen, die sich sonst daran hätten orientieren müssen. Trotzdem wurde die Grundstruktur beibehalten. Sehr wichtig erscheint mir, dass die hiesigen Betriebe künftig zivilrechtlich haftbar sein werden.
Was bedeutet diese Haftung genau?
Wenn eine europäische Firma mitverantwortlich ist für einen Schaden, den Beschäftigte eines Zulieferers erleiden, dann haftet sie bald dafür. Sie kann in ihrem Heimatland, etwa Italien, Deutschland oder Dänemark, auf Schadensersatz verklagt werden. Das ist eine deutliche Verbesserung.
Muss Deutschland die strengere EU-Regelung übernehmen?
Das deutsche Lieferkettengesetz muss entsprechend verschärft werden. Bisher ist die zivilrechtliche Haftung darin nicht enthalten.
Der Sinn der EU-Richtlinie besteht ja darin, dass europäische Firmen künftig auf die sozialen und ökologischen Menschenrechte der Beschäftigten ihrer globalen Zulieferer achten müssen. Wie könnte sich das außerdem konkret auswirken?
Die Unternehmen, die unter die Richtlinie fallen, müssen zum Beispiel einen Beschwerdemechanismus einrichten. Wenn Beschäftigte in Asien keinen Lohn erhalten, können sie sich etwa per Mail an die hiesige Firma wenden. Diese sollte dann mit ihrem Zulieferer Kontakt aufnehmen, damit der Missstand abgestellt wird. Im deutschen Lieferkettengesetz gibt es dieses Verfahren schon. Aus meiner Zusammenarbeit mit Unternehmen weiß ich, dass sie es überwiegend ernst nehmen. Künftig wird diese Regelung auch für Betriebe in anderen EU-Mitgliedsstaaten gelten.
Das hiesige Lieferkettengesetz ist in manchen Punkten strenger als die kommende EU-Richtlinie. So gibt es in Deutschland bisher keine Untergrenze für den Umsatz, so dass hier zur Zeit mehr Firmen erfasst sind. Muss Deutschland auch diesen schwächeren EU-Standard übernehmen?
Nein, strengere nationale Regeln brauchen nicht an niedrigere EU-Vorgaben angepasst zu werden. Aber es kann passieren, dass Wirtschaftsverbände oder FDP das verlangen.
Was halten Sie von der Kritik mancher Wirtschaftsverbände, die Richtlinie würde einheimische Unternehmen überfordern?
Nicht viel. Sicher, sie müssen sich umstellen und oft auch neue Verfahren einführen. Aber das Entscheidende ist, dass EU-Firmen sich darum bemühen, die Menschenrechte in ihren Zulieferfirmen zu gewährleisten. Können Sie dieses Bemühen nachweisen, haben sie die wesentliche Pflicht schon erfüllt.
Die Diskussion über die schlechten Zustände in den weltweiten Zulieferfabriken begann vor etwa 30 Jahren. Das hing mit der Globalisierung zusammen. Europäische Unternehmen verringerten ihre hiesige Produktion und verlagerten sie in Länder mit niedrigeren Kosten und weniger menschenrechtlichem Schutz. Kann man sagen, dass Europa dieser Entwicklung nun sozialen Fortschritt entgegensetzt?
Bisher haben Unternehmen und Verbraucher:innen von den oft schlechten Zuständen in den Ländern des globalen Südens profitiert. Jetzt wird sich Europa endlich seiner Verantwortung bewusst. Das kostet Geld – bessere Arbeitsbedingungen sind nicht zum Nulltarif zu bekommen. Wenn die Zulieferer beispielsweise die Löhne erhöhen, schlägt sich das in den Preisen der Produkte nieder. Einen Teil davon werden die Konsument:innen bezahlen.
Außerdem will die EU den Marktzugang für Produkte erschweren, die in Verbindung mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Dabei geht es zunächst vornehmlich um die Fertigung in der chinesischen Provinz Xinjiang. Werden soziale Standards neuerdings auch zum Hebel in der geoökonomischen Auseinandersetzung mit autoritären Systemen?
Die USA haben bereits eine solche Regelung gegen Zwangsarbeit. Ob das soziale Anliegen besserer Arbeits- und Umweltbedingungen sowie die neue Geopolitik Hand in Hand gehen, ist noch nicht abzusehen. Möglich erscheint das jedoch: Wir sehen ja auch die Tendenz, Staaten als Handelspartner zu bevorzugen, die die eigenen Werte teilen.
Mit der EU-Lieferketten-Richtlinie zeigt sich auch, dass Europa und der Westen die Lebensbedingungen weltweit beeinflussen können.
Als eine der großen Wirtschaftsregionen der Welt hat die EU ökonomische Macht. Diese kann sie negativ nutzen. Oder positiv – wenn sie Verantwortung übernimmt.
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