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Kommentar von Benno Schirrmeister über BiospritDie wundersame Fettvermehrung im Namen des Klimaschutzes

Klar wollen schon die ersten weismachen: Mit dem Recycling-Diesel wäre der Ausstieg aus Verbrenner-Motoren nicht mehr nötig. Das wirkt sogar auf den ersten Blick plausibel: Wenn dieser Kraftstoff je nach Herstellungsverfahren bis zu dreimal so effizient ist wie Batterieantriebe, und wenn er wirklich bis zu 90 Prozent weniger CO2-Emissionen verursacht, als herkömmlicher Diesel, dann ist das Zeug erst einmal eine gute Sache.

Beeindruckend sind die Erfolge der Hamburger Werkstoffforscher und schick die Innovations-Bemühungen der Unternehmen. Diese gute Sache hätte es auch gar nicht nötig, von wundergläubigen Au­to­jour­na­lis­t*in­nen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder der einer nachrichtlichen Sprache verpflichteten Deutschen Presseagentur zu „Diesel aus 100 Prozent Frittenfett im Autotank“ hochgejazzt und bejubelt zu werden.

Im Gegenteil: Schlachtabfall- oder Scheißdiesel käme der Wirklichkeit viel näher und würde zudem einen besonderen Vorzug dieses Re- oder Upcycling-Sprits benennen: Dass er möglicherweise auch aus „brown grease“, also dem Fett aus Klärschlamm gewonnen werden kann, ist eine feine Sache. Denn für das gibt es noch nicht ganz so viele Abnehmer.

Wer also unbedingt Werbung statt Journalismus machen will, kann ja damit an den alchemistischen Mythos anknüpfen, der die Herstellung von Gold aus Dreck als Wunsch und Ziel aller Forschung bestimmt.

Für alle anderen gilt: Den Stein der Weisen gibt es leider nicht. Auch HVO-Diesel löst das Problem der Emissionen im Verkehr nur in einer betriebswirtschaftlich verengten Betrachtungsweise. Die klammert aus, dass die importabhängige Herstellung zusätzliche Verkehre auslöst. Und sie interessiert sich vor allem nicht dafür, dass der Rohstoff nicht unbegrenzt, wie Sonne, Wind und Geothermie, ja nicht einmal auch nur in nennenswerter Menge zur Verfügung steht.

Wenn selbst die Unternehmensberatung McKinsey und das Weltwirtschaftsforum die per anno verfügbare Menge an Fettabfällen weltweit auf 40 Millionen Tonnen beziffern, während die kommerziellen Fluggesellschaften fast 360 Milliarden Liter Treibstoff im Jahr verdüsen, bleibt das größte Rätsel, wie die Studienautoren aus diesem Tropfen volle fünf Prozent des globalen Flugzeug-Sprit gewinnen wollen.

Zudem ist die Konkurrenz riesig: Weltweit hat sich die Nachfrage nach Schlachtabfallfetten seit 2006 vervierzigfacht, hat der unabhängige europäische Verkehrs-Think Tank „Transport & Evironment“ 2022 in einer Sektorenuntersuchung vorgerechnet: Bis 2030 werde sie sich noch einmal verdreifachen, heißt es in der Studie Pigs Do Fly.

Da gleichzeitig – gottseidank! – der Fleischkonsum und das Müllaufkommen abnehmen, müsste eigentlich besonders genau geschaut werden, wie diese Lücke gefüllt wird. Würde sich am Ende Altfett auf wundersame Weise vermehren, wie im Mittelalter die als Reliquien gehandelten Knochen der Heiligen?

Wir wissen es nicht. Und selbst der misstrauischste Tankwart muss auf die Echtheitszertifikate bauen, die ihm der Hersteller präsentiert, der sich von seinen Anbietern versichern lässt, dass er wirklich nur Altfett und bestimmt kein Palmöl liefert, großes Firstnations-Ehrenwort. Im Produkt aber lassen sich die Rohstoffe gar nicht mehr nachweisen. Eine Kontrollinstanz, wie sie der europäische Rechnungshof seit Langem fordert, fehlt: Das sind schlechte Voraussetzungen für eine völlige Freigabe.

Politisch sinnvoll wäre also gewesen, dem HVO-Diesel eine Brückenfunktion zuzuweisen. Das hätte bedeutet, seinen Einsatz zu beschränken. Man hätte ihn –wie Heizöl fürs Heizen oder Agrardiesel für die Landwirtschaft –reservieren können für unvermeidliche Lastverkehre, also für langlebige Traktoren und LKW, für Rangierloks und Autobusse – bis sie durch neue ersetzt sind, mit neuen Antrieben. So hätte der Recycling-Diesel zur Lösung beitragen können. Unkontrolliert aber wird er zu einem Teil des Problems.

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