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US-Reise von Bundeskanzler ScholzVertauschte Rollen in Washington

Diesmal fliegt Olaf Scholz nicht als Zauderer in die USA, sondern als Antreiber: Die Amerikaner sollen endlich wieder der Ukraine helfen.

Olaf Scholz begibt sich auf die Reise in die USA, um mehr Militärhilfe für die Ukraine einzufordern Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Eine spektakuläre Reise ist es im Grunde nicht, zu der Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag Mittag aufgebrochen ist. Der dritte US-Besuch seit Beginn seiner Kanzlerschaft kommt ohne großes Tamtam aus. Gerade mal 24 Stunden lang wird er sich in Washington aufhalten, eine Pressekonferenz mit Joe Biden ist nicht geplant. Direkt nach seinem Treffen mit dem US-Präsidenten im Oval Office wird Scholz am Freitag Abend zurück nach Berlin fliegen.

Und trotzdem ist es eine besondere Reise – denn der Besuch findet mit vertauschten Rollen statt. Jahrelang mussten sich deutsche Re­gie­rungs­ver­tre­te­r*in­nen bei solchen Anlässen dafür rechtfertigen, zu wenig Geld ins Militär zu stecken und für die Sicherheit in Europa zu wenig zu leisten. Diesmal könnte es umgekehrt laufen.

„Wenn es um die Frage der Lastenteilung geht, dann braucht sich Europa nicht zu verstecken“, heißt es vorab aus dem Kanzleramt, mit Blick vor allem auf die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. In einem Gastbeitrag für das Wallstreet Journal rechnete Scholz persönlich den Ame­ri­ka­ne­r*in­nen am Mittwoch vor, was das heißt: Bei den Militärhilfen läge Deutschland nach den Vereinigten Staaten auf Platz 2, die Finanzhilfen der EU an die Ukraine seit Kriegsbeginn überträfen die der USA sogar und auf weitere 50 Milliarden Euro hätten sich die Mitgliedsstaaten gerade erst geeinigt.

Jetzt, so die freundlich verpackte Forderung aus Berlin, müsse Washington seiner Verantwortung endlich wieder nachkommen. Dem Kanzler sei es wichtig, so ein Regierungsberater, dass alle Staaten ihren Teil für die Ukraine leisten und dafür auch ausreichende Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. „In dieser Hinsicht kommt das Gespräch zum genau richtigen Zeitpunkt.“

Im US-Kongress scheiterte schließlich am Mittwoch erneut ein Gesetzesentwurf für weitere Ukraine-Hilfen. Die Demokraten waren den Republikanern zwar entgegengekommen und erklärten sich bereit, im Gegenzug weitere Abschottungsmaßnahmen gegen Mi­gran­t*in­nen umzusetzen. Ganz im Sinne ihres designierten Präsidentschaftskandidaten Donald Trump stimmten die Republikaner im Senat trotzdem mit Nein.

Warnung vor den Konsequenzen

Bleibt es bei der Blockade, könnte sich die militärische Situation für die Ukraine bald zuspitzen. Schon jetzt klagt die ukrainische Armee darüber, das Ausbleiben von US-Waffenlieferungen zu spüren und mit deutlich weniger Munition auskommen zu müssen als die Gegenseite.

„Die Ukraine könnte schon bald einem ernsthaften Mangel an Waffen und Munition gegenüberstehen“, warnt auch Scholz im Wallstreet Journal. Nicht an Präsident Biden richtet sich diese Mahnung. Mit ihm ist sich der Bundeskanzler schließlich einig. Scholz will auf die US-Öffentlichkeit und den Kongress einwirken – bei allem Bewusstsein darüber, dass der deutsche Einfluss begrenzt ist. Als erster Termin nach der Landung in Washington ist ein Abendessen mit Abgeordneten beider Parteien vorgesehen.

Scholz als Antreiber, nicht mehr als Zögerer: Vor seiner USA-Reise arbeitete der Kanzler an diesem Bild von sich zuletzt schon innerhalb der EU. Mehrmals hatte er in den vergangenen Wochen europäische Partnerländer aufgefordert, hinsichtlich Waffenlieferungen mehr zu leisten. In einem Gastbeitrag für die Financial Times schrieb er mit vier anderen europäischen Regierungschef*innen: „Die Belastung ist so hoch, dass alle Staaten alles in ihrer Macht Stehende tun müssen.“

Die Zahlen geben dem Kanzler einerseits recht. Im Vergleich mit anderen großen EU-Staaten wie Frankreich, Spanien und Italien leistet Deutschland mittlerweile viel für die Ukraine. Dennoch hält sich selbst unter den Partnern in der Ampel-Koalition der Vorwurf, Scholz mache zu wenig. In Relation zur Wirtschaftskraft ist Deutschland innerhalb der EU schließlich mitnichten der größte Ukraine-Unterstützer – und die schon lange geforderte Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern scheitert weiterhin am Kanzleramt.

Die Diskussion darüber wollen Scholz’ Leute entsprechend herunterkochen: In Washington, so heißt es von ihnen, werde das Thema wohl keine große Rolle spielen.

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14 Kommentare

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  • Und was kam dabei heraus? Verschwendetes Kerosin. Da hätte auch Skype ausgereicht.

  • Ich spende jedes Jahr, erst mit den Steuergeldern meinen Gehalts und nun mit den Steuergeldern meiner Rente. Denn diese werden prozentual mehr für das Ausland genutzt, als für das eigene Volk, die diese Gelder einbringen.

    • @Sabine Gabelmann:

      Das ist Unfug, der Großteil aller Steuereinnahmen wird im Land ausgegeben und vieles was vermeintlich ins Ausland geht nützt der heimischen Wirtschaft ein vielfaches.

  • Ich spende jedes Jahr, erst mit den Steuergeldern meinen Gehalts und nun mit den Steuergeldern meiner Rente. Denn diese werden prozentual mehr für das Ausland genutzt, als für das eigene Volk, die diese Gelder einbringen.

  • Trump wird gewinnen ,da bin ich mir sicher und das wird übel für Europa bzw, Deutschland.

  • In Brüssel liegen 200 Milliarden Euro, eingefrorenes Geld der Russischen Zentralbank ( www.zdf.de/nachric...-russland-100.html ), dieses könnte man, wenn man Interesse hätte, SOFORT für Waffenkauf nutzen. Dann gibt es noch den Bremser Macron der darauf besteht, obwohl man Munition Weltweit kaufen könnte, das nur Europäische geliefert werden. Somit konnte nur die hälfte der zugesagten 1 Million Artilleriemunition geliefert wird. Es braucht einfach mehr Pragmatismus bei der Hilfe für die Ukraine.

  • In den letzten Monaten kam mir immer wieder der Gedanke:



    wenn die UA militärisch unterstützt werden soll



    wenn die deutsche und europäische Rüstungsindustreie nicht potent ist



    wenn die usa nicht potent ist, deren Rüstungsindustrie aber schon, was wäre dann die Schlussfolgerung daraus?



    Es lässt mich nicht mehr schlafen: Genschers-Scheckbuch-Politik?

  • Nee, Scholz fliegt nicht in die USA umslebige anzutreiben (wie sollte das denn auch bitte gehen,??) sondern um wie beim letzten Mal auch "Ratschläge" zu bekommen was er machen soll wenn die UA keine Unterstützung mehr aus den USA bekommt. Ich wage daher vorherzusagen dass D in den nächsten Tagen / Wochen freiwillig seine Hilfeleistung an die UA stark erhöhen wird.

  • Die Rollen sind nicht vertauscht. Scholz unterstützt die Ukraine, wie immer. Kein kurzes Strohfeuer sondern als konstanter Partner.

    Das ganze Narrativ, dass Scholz angeblich die Ukraine nicht richtig unterstützen würde war schon immer dem allgemeinen Frust von Journalisten und Gegnern von Scholz geschuldet. Man ist mit der Lage zu recht unzufrieden und hatte mit dem angeblichen großen Bremser Scholz eine tolle Figur zum abreagieren.

    In Wahrheit ist Deutschland anteilig vom BIP sogar schon lange der stärkste Unterstützer unter den großen Staaten (Spanien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, selbst die USA).

    Jedes andere genannte Land war bisher viel viel wackeliger als Deutschland unter Scholz.

  • Wenn in den USA als nächster Präsie Trump folgt, kriegt die Ukraine eh nix mehr.

  • Wenn Scholz wirklich helfen wollte, soll er die Taurus liefern und sich um Ersatzteile und Munition kümmern. Aber so kann er umsonst denn großen Staatsmann spielen, als würden die Republikaner oder sonst jemand sich von ihm irgendetwas sagen lassen.

  • Es mag sein, dass es weiterhin den Vorwurf gegen den Bundeskanzler gibt, er mache zu wenig.



    Es ist allerdings haltlos.



    Die Unterstützung Deutschlands gegenüber der Ukraine liegt bisher bei 30 Mrd . Euro.



    Das ist zwar nur etwa die Hälfte der Unterstützung durch die USA, allerdings gleichzeitig doppelt soviel wie die Hilfe durch GB.



    Die wirtschaftlich starken Länder Europas wie Frankreich, Italien und Spanien finden sich nicht einmal unter den ersten 10 der Unterstützerstaaten.



    Auch wenn sich Einige gerne an althergebrachte Urteile halten, sie entbehren jeder Grundlage.

  • Die Rollen sind durchaus nicht vertauscht. Scholz war immer der Bedächtige, dann aber der Beständige, selbst in seiner Bedächtigkeit.

    Die Amerikaner sind da aus einem anderen Holz geschnitzt und durch ihr politisches System in Zwängen gehalten, die den ansonsten mächtigsten Staatschef zum lame duck machen können, auch vor Ende ihrer Legislaturperiode. Wenn der Kongress nicht will... ist Essig.

    So einem wie Trump ist das egal, der hat seine Dekrete. Wozu die gedacht sind? Auch egal. Ungeschriebene Gesetze? Ja, wofür sind sie denn ungeschrieben?

  • Europa wäre ohne die USA nicht in der Lage einen militärischen Angriff Russlands aufzuhalten. Das ist keine Lage angesichts der Tatsache das Europa soviel (Bevölkerungs-)reicher ist als Russland. Aber eine echte Zeitenwende würde bedeuten das in Deutschland dauerhaft mehr Gelder ins Militär fließen, das liegt nicht im Interesse der SPD.