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Fahrradaktivist Natenom totDer Mann mit dem Abstandhalter

Jahrelang kämpfte Andreas Mandalka auf der Straße und im Netz für Sicherheit für Radfahrende. Nun wurde er von einem Auto angefahren und verstarb.

Abstandhalten: Das war das große Thema von Radaktivist Andreas Mandalka, hier eine Aktion des ADFC (Archivbild) Foto: Sachelle Babbar/Zuma Press/imago

Berlin taz | In seinem vorletzten Eintrag berichtete der Fahrradblogger „Natenom“ von einer Begegnung auf der Landstraße L 574 bei Pforzheim. Dort stand ein älterer Mann mit seinem Auto mitten auf Straße. Es fuhr nicht mehr. Nach einigem Hin und Her sah Natenom ein rot leuchtendes P (für „Parken“) am Lenkrad des Wagens und machte der Fahrer darauf aufmerksam. „Dann machte er etwas mit der rechten Hand, das rote P ging aus, und plötzlich konnte er losfahren.“ Es sei kein gutes Gefühl gewesen, so jemanden weiterfahren zu lassen, schrieb Natenom. Der etwa 70 bis 80 Jahre alte „Herr war mit seinem eigenen Auto überfordert und das hat man auch deutlich gemerkt.“ Das war am Montag.

Am Dienstagabend war Natenom tot. Er starb auf der Landstraße L 574, überfahren von einem 77-jährigen Autofahrer. „Aus noch unbekannter Ursache kollidierte der Citroen-Fahrer mit dem vorausfahrenden Mountainbikefahrer. Der 43-Jährige erlitt durch den Verkehrsunfall schwerste Verletzungen und verstarb trotz Reanimationsmaßnahmen noch an der Unfallstelle“, heißt es nüchtern in einer Meldung der Pforzheimer Polizei.

In der Fahrradcommunity herrscht seither Entsetzen. Denn Andreas Mandalka, wie der Verstorbene mit richtigem Namen hieß, hatte sich in der Szene einen Namen gemacht. Ob auf seinem Profil auf Twitter, auf Mastodon oder eben in seinem Blog berichtete Mandalka seit Jahren über seine Erfahrungen als Radfahrer. Eins seiner wichtigsten Themen – der Abstand zwischen Auto und Fahrrad.

Eigentlich ist der klar geregelt: „Beim Überholen mit Kraftfahrzeugen von zu Fuß Gehenden, Rad Fahrenden und Elektrokleinstfahrzeug Führenden beträgt der ausreichende Seitenabstand innerorts mindestens 1,5 Meter und außerorts mindestens 2 Meter“, heißt es seit 2020 in Paragraf 5 der Straßenverkehrsordnung. Doch in der Praxis sieht das leider anders aus.

„Dann ist das ja schon Hass“

Es sei zwar nur ein kleiner Anteil der Autofahrer:innen, erzählte Mandalka mal in einem Interview mit dem ADFC. Aber diese würden „absichtlich mit wenig Abstand überholen, manchmal mit nur einem Meter, in Extremfällen nur einen halben Meter. Immer wieder wird das Scheibenwischerwasser aktiviert oder der Motor zum Aufheulen gebracht.“

Und der Zeit erzählte Mandalka, es gebe drei Gruppen von Autofahrern. Die, die vom Abstandsgebot nichts wissen. Die, die sich beim Abstand völlig verschätzen. Und eben die, die wissentlich ganz nah vorbei rasen: „Wenn mich einer absichtlich knapp überholt, dann ist das ja schon Hass.“

Mandalka wollte nicht übersehen werden. Er trug immer eine gelbe Leuchtweste. Auch bei seinem Unfall, wie die Polizei bestätigte. Um die Au­to­fah­re­r:in­nen auf Distanz zu halten, nutzte Natenom zudem immer wieder auch Abstandhalter. Mal eine auf dem Gepäckträger quer liegende Fahnenstange, mal eine Schwimmnudel aus Schaumstoff. Seine Erfahrungen damit waren gut – was ihn selbst betraf. Und schlecht in Bezug auf Au­to­fah­re­r:in­nen und sogar auf die Polizei.

Mit „Nudel“ im Gepäck überholten die Au­to­fah­re­r:in­nen mit deutlich größerem Abstand. Um seinen subjektiven Eindruck zu untermauern, hat Natenom die Überholmanöver sogar eigens gemessen. Er setzte sich für das Projekt Openbikesensor ein, das Fahr­ra­dak­ti­vis­t:in­nen entwickelt haben, um Abstände zum Auto zu dokumentieren.

Mal angehupt, mal bespuckt

Die deutliche Ausweitung seiner Sicherheit kam bei anderen aber nur mäßig an. Mal werde er nur angehupt, mal bespuckt, berichtete Natenom. Mindestens einmal endete der Streit sogar in einer heftigen Auseinandersetzung mit monatelangen Rechtsfolgen – bis das Verfahren eingestellt wurde. Ein anderes Mal wurde Mandalka von der Polizei gestoppt, weil ein Autofahrer sich über ihn beschwert hatte. Die Polizisten hätten unter anderem behauptet, er habe Autofahrer behindert, schrieb Natenom in seinem Blog.

Mandalka wehrte sich auch mit Anzeigen gegen gewalttätige Au­to­fah­re­r:in­nen und wandte sich mit offenen Briefen an die Politik. Das Echo war meist ernüchternd. Immer wieder berichtete er von einer Standardantwort: Es sei ja nichts passiert.

Jetzt ist etwas passiert. „Mit Natenom verliert die Fahrradcommunity ein sehr aktives Mitglied“, schrieb das Team vom Openbikesensor in einem Nachruf. „Eigentlich wollte er, wie viele von uns, einfach nur die Natur genießen und in Ruhe von A nach B kommen“, heißt es auf der Homepage des ADFC Frankfurt. Aber „alleine seine Existenz auf zwei Rädern und sein später auch öffentlich geäußerter Wunsch nach Einhaltung der Gesetze bzw. Verkehrsregeln provozierte manche Menschen so sehr, dass ihm sogar ganz direkt den Tod wünschten und androhten.“

Auch Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) meldete sich zu Wort. „Wir trauern mit der #Rad-Community um Andreas Mandalka #Natenom“, twitterte er am Freitag auf X. „Sein tödlicher Unfall ist ein bitterer Anstoß und Anlass, mit verstärktem Engagement die Sicherheit des Radverkehrs zu verbessern.“

In Köln, Nürnberg, Stuttgart und weiteren Städten wird zu Demonstrationen und Gedenkfahrten mobilisiert, mit denen an „Natenom“ Andreas Mandalka erinnert werden soll.

Pforzheimer Fahr­ra­dak­ti­vis­t:in­nen aus dem Umfeld von Natenom sammeln Spenden zur Finanzierung seiner Beerdigung.

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10 Kommentare

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  • „Sein tödlicher Unfall ist ein bitterer Anstoß und Anlass, mit verstärktem Engagement die Sicherheit des Radverkehrs zu verbessern.“

    Da wird es wohl immer beim Anstoß bleiben, die vielen toten Radfahrer der letzten Jahrzehnte haben auch alle einen „bitteren Anstoß“ erzeugt …

    Liebe Politiker, hier ein paar sehr konkrete Maßnahmen, die sich sofort umsetzen lassen:

    Jed(e)r Autofahrer(in) ab einem alter von 60 Jahren muss jährlich:



    1. einen Sehtest machen



    2. einen Reaktionstest machen



    3. eine Doppelstunde mit einem Fahrlehrer auf dem eigenen Auto absolvieren

    - Helmpflicht für Radfahrer

    - Warnwesten Pflicht, zumindest bei schlechter Sicht

    - Autofahrer, die rechtsabbiegen haben Vorfahrt vor Radfahren auf dem Radweg: der Radfahrer sieht das Auto, der Autofahrer den Radfahrer oft nicht

    An alle Radfahrer, der den letzten Punkt anders sehen: Fahrt mit einem LKW durch eine Großstadt!

    Ich bin im übrigen (fast) nur noch täglicher Radfahrer oder Fußgänger, mein Beitrag für die Umwelt und zur Schonung von Ressourcen

    so far

    Diese Maßnahmen retten sofort Leben!

  • Ich bin erschüttert.

    ..weil der Tode Tod von Hr Natenom eine Tragödie ist.

    ..weil ich seine Schilderung aggressiver Autofahrer nur zu gut kenne.

    ..weil diese Trgödie jeden Tag passiert..im Durschnitt wird in diesem Land jeden Tag ein/e Radfahrende/r von einem Auto getötet (Tendenz stark steigend).

    ..und weil es sich eben nicht bloß um einen bedauerlichen Einzelfall handelt, sondern um ein Politikum.

    Aber jetzt ist nicht die Zeit für den gerechten ZORN..die kommt später.

    ..jetzt ist die Zeit für Trauer und Anteilnahme. Danke Natenom für Deinen mutigen Einsatz zum Schutz des menschlichen Lebens auf deutschen Strassen.

    - Ruhe in Frieden -

  • Ich bin auch oft genug mit dem Fahrrad unterwegs, vor allem in der Stadt. Das Überholen mit zu wenig Abstand beobachte ich auch viel zu oft. Wenn ich dann mal mit dem Auto unterwegs bin, nehme ich mir lieber Zeit und fange garnicht erst an zu drängeln, fahre auch mal ein Stück entspannt hinter einem Radfahrer her bis sich eine Möglichkeit zum Überholen ergibt. Das verleitet manche Autofahrer hinter mir schon zu nervösem Fahrverhalten. Ansonsten beobachte ich bereits Unverständnis vieler hinter mir herfahrender Autofahrer, wenn ich mir erlaube einfach nur die zulässige Höchstgeschwindigkeit einzuhalten.

    • @hechtmaus:

      Geht mir ganz ähnlich Hechtmaus. Die Zeit, hinter Radfahrern herzududeln, nehme ich mir immer, gehöre ja meist zu ihnen.

      Nervös werde ich gegenüber anderen Autofahrern ich allerdings öfter, weil sie zu langsam sind (30 auf 50er Strecke ohne großen Verkehr), zu langsam reagieren oder wenig vorausschauend oder mitdenkend fahren. Da bin ich sicher ungeduldig.

      Der Tod von Natenom, auch noch auf die Weise, ist allerdings ein so brachialer wie unnötiger Hammer, eine Ungerechtigkeit, wie sie im Buche steht.

  • RIP Natenom.

    Er ist Opfer einer Verkehrspolitik geworden, die, unabsichtlich oder aus Kalkül sei dahingestellt, Auto- und Radverkehr "Mann gegen Mann" gegeneinander antreten lässt.



    Sieger und Besiegte stehen im Vorherein fest:



    "Selbst schuld." -- Soll heißen: Was ziehen sie auch unbewaffnet in den Kampf.

    Für die (sozialen) Medien ist dies ein Gladiatoren-Fest, von dem sie durch Klickzahlen fett profitieren. Für die Verkehrswende ist es ein Fiasko.

    Der Blog der Agora Verkehrswende "Liberté, Mobilité, Urbanité" zu dem Gegen- und Aufeinanderhetzen von Autofahrenden & übrigen Verkehrsteilnehmern, das auch in der taz sehr beliebt ist ("Ignorante Autofahrer:innen", 29.1.24, Gereon Asmuth u.v.a.m.):

    "Der Hauptnutzen scheint tatsächlich in der Polarisierung zu liegen: Menschen, die ohnehin von einer Verkehrswende überzeugt sind, lassen sich durch den Slogan „Autofreie Stadt“ gut ansprechen und mobilisieren. Das gilt umgekehrt auch für die andere Seite. Menschen, die vom Auto überzeugt sind, verstehen die autofreie Stadt leicht als Kampfansage. Das Thema hat sicher auch wegen dieser Zuspitzung an Aufmerksamkeit gewonnen. Aber auf skeptische oder abwartende Bevölkerungsgruppen wirkt die politische Spannung und Emotionalisierung des Begriffs eher abschreckend. Folgt man der gängigen Literatur zu Veränderungsprozessen, dürften diese jedoch in vielen Städten die überwiegende Mehrheit stellen."

    Die verkehrspolitisch entschiedenen Landeswahlen in Berlin & Bremen zeigen: Das stimmt.

    Sind es die Klickzahlen? Oder eine Kampagne, die im Kleid der vermeintlich "radikalen" Autogegenerschaft gegen die Verkehrswende geführt wird? Man weiss es nicht.

    Das es anders geht, das zeigen wieder einmal die Niederlande. Zu Beginn und während der dortigen Verkehrswende wurde peinlich genau darauf geachtet, genau nicht als autofeindlich wahrgenommen zu werden. Parkplätze wurden nach Möglichkeit geschont. Der Nutzen einer Verkehrswende gerade auch für Autofahrende in den Vordergrund gestellt.

  • besonders tragisch, einen Tag zuvor (29. Januar) schreibt er in seinem Blog über einen 70-80 Jährigen Autofahrer der mit der Führung seines Fahrzeugs total überfordert zu sein scheint. Am 30. Januar wird er von einem 77 Jährigen Autofahrer ohne ersichtlichen Grund überfahren.

  • Viele Autofahrer/innen können ihre 2m breiten SUVs gar nicht überblicken oder, noch schlimmer, fahren mit dem Auge auf der Bildschirmkamera. Die Zahl der Verkehrstoten wird wieder steigen.

  • Es ist ein wahres Entsetzen. Ein wundervoller Aktivist ist von uns gegangen. Nun ein Opfer alltäglicher Straßengewalt mit der Tatwaffe PKW.

    Ich habe echt zu ihm aufgeblickt. :(

    Und das hinterlässt mich auch mit Entsetzen:



    "Und schlecht in Bezug auf Au­to­fah­re­r:in­nen und sogar auf die Polizei."

    Die Polizei hätte sich normalerweise mit ihm solidarisieren sollen, wenn er einen 1,5m langen Stab waagrecht hinaushält. Diese ist schließlich dafür da, dass Gesetze auch eingehalten werden. Gesetze müssen zur Not von Bürgern wie Andreas Madalka auch eingefordert werden.

  • Zunächst einmal: Jeder Toter, ob Strassenverkehr oder Arbeitsunfall ist ein Toter zu viel.



    Insofern mein Beileid den Angehörigen.



    Im Artikel steht: „Eigentlich wollte er, wie viele von uns, einfach nur die Natur genießen und in Ruhe von A nach B kommen“, heißt es auf der Homepage des ADFC Frankfurt"

    Das ist aber nicht zutreffend. er wollte mit seinen Aktionen auf geltendes Recht hinweisen und hat in Kauf genommen, das er dafür angefeindet wird. Das erlebe ich auch als Autofahrer tagtäglich gegenüber anderen Autofahrern, die den Blinker als unnützes Anbauteil sehen, für die das Überholverbot (insbesondere rechts auf der Autobahn) keine Gültigkeit besitzt oder Seitenstrassen so zuparken, das man nur mit äusserster Vorsicht vorbeikommt (Ein Notfallsanitäter käme da gar nicht mehr durch). Wenn ich die Fahrer durch Hupe oder Lichtzeichen auf ihr Fehlverhalten aufmerksam mache bekomme ich regelmäßig den Stinkefinger oder ähnliches.

    Was ich damit sagen will: Durchsetzung des eigenen Rechts ist mitunter nicht ungefährlich, da es Aggressives Verhalten beim Gegner hervorruft.

    Ob ein solches Szenario hier vorliegt oder der ältere Autofahrer die Situation falsch eingeschätzt hat -oder auch der Radfahrer einen Fehler gemacht hat, wissen wir noch nicht. Ich bemühe mich um eine defensive Fahrweise, wo ich Drängler, wenn möglich, vorbeilasse, ohne das mein Blutdruck nach oben stellt ....ist halt gesünder, u.U. in mehrfacher Hinsicht.

    • @Krumbeere:

      Es ist erstaunlich, wie viele Deutsche mit ihrem Auto überfordert sind, wenn man mal drauf achtet.

      Ich sag nur "Familie Mittelstreifen": Ja, aus der Mitte einer 3spurigen Fahrbahn hat man den besten Überblick. Aber in Deutschland haben wir Rechtsfahrpflicht, und das ist auch sinnvoll so; wer sich dabei unsicher fühlt, sollte sich für andere Verkehrsmitteln entscheiden.