piwik no script img

Am Ufer des Ostsees Foto: Lorenz Kienzle

Die Lausitz im StrukturwandelUnter dem See liegt der Tagebau

Bis spätestens 2038 soll Schluss sein mit dem Kohleabbau in der Lausitz. Die Region, die alles auf das schwarze Gestein ausgerichtet hat, versucht den Strukturwandel.

H annelore Wodtke steht auf einer Aussichtsplattform im Nordosten von Cottbus. Um ihr rotes Haar schwirren Wildbienen, sie zuckt nicht einmal, wenn sie ihr ins Gesicht fliegen. In ihrer silbern verspiegelten Sonnenbrille reflektiert sich eine seltsam-einsame Landschaft. Wodtke zeigt grob Richtung Osten: „Da lag Groß-Lieskow“. Jetzt ist da: Nichts. Nur ein riesiges Loch.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Schräg gegenüber auf der anderen Seite steht der Grund dafür: das Kraftwerk Jänschwalde des Energiekonzerns LEAG. 220 Millionen Tonnen Braunkohle wurden für das Kraftwerk aus der Grube geholt, bis „Cottbus-Nord“ 2015 schließlich ausgekohlt war. Löcher wie dieses findet man viele hier in der Lausitz. Groß wie Städte öffnen sie sich hinter Wäldern und Feldern, manchmal auch direkt hinter der letzten Sackgasse im Dorf.

Nun fließt Wasser in die Grube bei Cottbus. Aus einem Kanal, der drei Kilometer stadteinwärts aus der Spree gespeist wird. Mit einer Fläche von 1900 Hektar, der Größe der Nordseeinsel Spiekeroog, wird hier Deutschlands größter künstlicher See entstehen, der Cottbusser Ostsee, eingebettet in die größte künstliche Seenplatte Europas. Unter den Seen soll die fossile Ära beerdigt werden, mit ihnen sollen die Wunden der Region heilen. Sie stehen aber auch für einen komplexen Prozess: den sogenannten Strukturwandel. Wenn mit dem Baggern aufgehört wird, fallen auch die Jobs in der Grube weg. Auch für andere Industriezweige, die die Kohle als Energielieferant brauchen oder die anfallenden Rohstoffe nutzen, etwa den Kohlestaub für Koks oder die Quarzsande für die Glasherstellung, wird es schwer, wenn die Kohle wegbricht.

Die fossile Ära wird und muss aber enden, und damit der Braunkohleabbau. 2038 will Deutschland aus der Kohle aussteigen. In ihrem Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP darauf geeinigt, den Ausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorzuziehen. In der Lausitz begegnet man dem mit großer Skepsis, die Diskussion über ein mögliches früheres Ausstiegsdatum verunsichert die Menschen. Erinnerungen werden wach an die Nachwendejahre, als schon einmal ein Strukturwandel bewältigt werden musste, und für die Region ging damals einiges ziemlich schief.

Verlust

Hannelore Wodtke hat vieles davon miterlebt. Sie wuchs in Cottbus auf, das in der DDR zum Zentrum der Energiewirtschaft avancierte. Die Ferien verbrachte sie oft auf dem Hof ihres Onkels und ihrer Tante in Groß-Lieskow, „man fuhr ja nicht weg in der DDR, sondern man hat Verwandte besucht.“ Sie erinnert sich noch an die Apfel- und Kirschbäume, die Schweine, Kühe und Gänse, die über den Hof gackerten und an den kleinen Teich zum Baden. „Die Sommer waren richtig schön dort.“

Wodtkes Erinnerungen sind besonders wertvoll, denn der Ort, an dem sie entstanden, ist nicht mehr. Der Hof musste dem Tagebau Cottbus-Nord weichen, damit der weiter die DDR-Wirtschaft anfeuern konnte. Ihr Onkel bekam eine Entschädigung, „aber die reichte gerade so für 'ne Doppelgarage“, erzählt Wodtke. „Der ist daran zerbrochen.“ Es ist die Schattenseite der einst glorreichen Vergangenheit dieser Region. Für den Erfolg der Gemeinschaft musste der Einzelne im Zweifel weichen.

Wut

Wodtke zog 2006 nach Welzow, etwa 30 Kilometer südwestlich von Cottbus. Hier, im ehemaligen Zentrum des Dörfchens, steht heute nur noch eine Kneipe, daneben der riesige Parkplatz eines Discounters, tote Fläche.

Trotzdem pilgerten im Juni 2023 hunderte Menschen in den Ort. Grund war der angrenzende Tagebau Welzow Süd. An diesem Tag konnte man einen Eindruck davon bekommen, wie rau das Klima in der Lausitz in der Auseinandersetzung zwischen Klimaschutz und Kohlewirtschaft bereits geworden ist. Fridays for Future hatte zu einer Demo im Dorfzentrum aufgerufen. Die Ak­ti­vis­t*in­nen plädierten für eine Begrenzung des Kohleabbaus und für das, was sie einen „sozial gerechten Strukturwandel“ nennen. Das provozierte in Welzow: Direkt neben der Kundgebung, im Garten eines Eckhauses, hatten sich mehrere Menschen in schwarzen T-Shirts versammelt, um mit lauter Musik und Zwischenrufen zu stören. Viele der Shirts hatten Aufdrucke in Frakturschrift, ein Mann trug einen Reichsadler im Stil der NS-Zeit auf der Brust.

Auf dem Bühnenwagen trat gegen Mittag Timo Napparel vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund Leipzig auf. Er sagte, es sei wichtig, die Menschen der Region bei der Transformation mitzunehmen. Man brauche sie und ihr Wissen – für die Renaturierung und die vielen Technologieparks, die hier entstehen sollen. Die Demons­trierenden sollten deshalb bei Antikohleprotesten beliebte Sprüche wie „Es gibt kein Recht auf Kohlebaggerfahren!“ unterlassen und die Menschen im Bergbau nicht zum Feind stilisieren. Während Napparel seine Deeskalationsstrategien erörterte, brüllte es aus den Mündern der Männer mit Kurzhaarfrisuren hinter dem Gartenzaun: „Linkes Gesocks!“ und „Macht erstmal eure Hausaufgaben!“

Trauma

Die Stimmung auf der Straße, sie spiegelt sich auch in Wahlen und Umfragen wider. Bei der Bundestagswahl 2021 konnte die AfD in den sächsischen Wahlkreisen der Lausitz zwei Direktmandate holen. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen 2019 gewann die AfD in den Lausitzer Wahlkreisen 32,8 Prozent der Wähler*innen, während sie auf Landesebene bei 23,5, respektive 27,5 Prozent lag. In aktuellen Umfragen steht die AfD in beiden Bundesländern bei über 30 Prozent und könnte bei den Landtagswahlen im Herbst stärkste Kraft werden.

Der Tagebau „Cottbus-Nord“ liegt seit 2015 brach. Hier soll der „Ostsee“ entstehen Foto: Lorenz Kienzle

Um die aktuelle Stimmung zu verstehen, muss man die Vergangenheit der Region kennen. Jahrzehntelang war die Lausitz einer der wichtigsten Wirtschaftsstandorte der DDR. Die Ostrepublik war bis Mitte der 80er Jahre der Staat mit der weltweit größten Braunkohleförderung. Mit der Wende krachte das Bild in sich zusammen. Auf einmal wurde die Energiewirtschaft dem freien Markt ausgesetzt und stand in Konkurrenz zur Gas-, Öl- und Kernkraft der BRD sowie zum rheinischen Braunkohlerevier. Die ehemals volkseigenen Energiebetriebe wurden über die Treuhand an westdeutsche Unternehmen verkauft, viele davon selbst im Rheinland ansässig.

80.000 Menschen arbeiteten hier zu DDR-Zeiten in den Gruben und Kraftwerken. Jetzt sind es nur noch ein paar Tausend. Zwischen 1995 und 2015 zog knapp je­de*r fünfte Lau­sit­ze­r*in aus der Region weg, weil schlicht die Perspektiven wegbrachen. Auch Hannelore Wodtkes Tochter zog damals fort, nach Kempten im Allgäu.

Kampf ohne Windmühlen

Wodtke selbst blieb in der Lausitz, arbeitete weiter im Sozialamt in Cottbus. 2006 zog sie nach Welzow. Dort hörte sie fortan rund um die Uhr die quietschenden Förderbänder der benachbarten Kohlegrube, den darauf fallenden Abraum, die piepsenden Maschinen. Wodtke machte all das wütend: der Lärm, der Staub und die Ignoranz der Bergbaufirmen gegenüber den Anwohner*innen. Als dann auch noch publik wurde, dass das Energieunternehmen Vattenfall, das den Tagebau mittlerweile übernommen hatte, den Welzower Ortsteil Proschim opfern wollte, reichte es Wodkte.

Früher sind Leute mit Kanus auf der Schwarzen Elster geschippert, jetzt trocknet sie im Sommer fast immer aus

Ladina Soubeyrand, Fridays for Future

Sie begann, sich gegen die Kohle zu engagieren, sprach auf unzähligen Demos in Brandenburg und Sachsen und zog 2014 über die Liste „Grüne Zukunft Welzow“ in die Stadtverordnetenversammlung ein. Wodtke machte sich einen Namen als Kohlegegnerin.

Im Frühjahr 2018 bekam sie einen ominösen Anruf: „Hier ist Altmaier.“ – „Hier ist Wodtke, haben Sie sich verwählt?“, erinnert sich Wodtke. Hat der damalige Kanzleramtschef nicht. Altmaier sollte die Kohlekommission der Bundesregierung zusammenstellen. Das Gremium sollte einen sozial verträglichen Fahrplan für den Kohleausstieg entwickeln, Altmaier suchte dafür nach einer Kohlegegnerin aus den ostdeutschen Revieren. Wodtke sagte zu – und stritt plötzlich mit Leuten wie Stanislaw Tillich, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Sachsens, um die Zukunft ihrer Heimat. Vehement setzte sie sich für den Erhalt des Welzower Ortsteils Proschim ein.

Anfang 2019 legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor. Wodtke konnte sich am Ende nicht durchsetzen. Ein Absatz zum Erhalt Proschims kam nicht in das Dokument, nur der Hambacher Forst wurde explizit geschützt. Wodtke stimmte daher als einziges Mitglied dem Abschlussbericht nicht zu.

Ihre Erzählung mutet an wie eine Geschichte aus einer anderen Zeit. Über eine riesige Entscheidung über die Zukunft von allen und ein paar Männern der Vergangenheit, die mit ihr beauftragt sind. Und sie entschied, die Kommission: Bis 2038 soll Deutschland aussteigen.

Wenn wir hier etwas bewegen wollen, dann schaffen wir das nur gemeinsam

Lars Katzmarek, Elektrotechniker, LEAG

Die Zeit rennt

Für viele junge Menschen kommt das zu spät. Die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen von Fridays for Future stoßen sich vor allem an der Menge an Kohle, die in der Lausitz noch aus dem Boden gehoben werden soll. 700 Millionen Tonnen sollen das nach den Plänen der LEAG noch werden, so steht es in einer Studie der Forschungsgruppe Fossil Exit der TU Berlin – rund dreimal so viel, wie das CO₂-Budget für einen 1,5-Grad-Pfad noch erlauben würde. Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen schauen daher besorgt auf die Lausitz, denn sie ist als eines von drei verbliebenen Kohlerevieren einer der wichtigsten Orte für den Wandel der deutschen Wirtschaft hin zur CO₂-Neutralität.

Ladina Soubeyrand bereitet der Abbau in ihrer Heimat Sorge. Sie ist in Senftenberg aufgewachsen, das schon seit den 70er-Jahren einen See dort hat, wo zuvor ein Tagebau war, mit Stadtstrand und Hafen. In Soubeyrands Kindheit war das Hafenfest mit seinem Feuerwerk das Highlight des Jahres. Ein Graben trennt Stadt und Seeufer. An diesem Tag im Sommer 2023 steht nur ganz unten ein wenig braunes Wasser darin. „Das ist die Schwarze Elster“, sagt Soubeyrand trocken, „früher sind da Leute mit Kanus drauf geschippert, aber jetzt trocknet sie im Sommer fast immer aus.“ In Senftenberg erkennt man besonders deutlich, wie die Natur sich verändert: „Der See war das letzte Mal zugefroren, als ich elf war“, erzählt sie.

Warten auf den Wandel Foto: Lorenz Kienzle

Soubeyrand hat die Senftenberger Ortsgruppe von Fridays for Future mitgegründet. Sie wollen den Kampf gegen die Fossilen direkt ins Revier hineintragen: „Ich finde es total wichtig, nicht nur aus den Großstädten rüberzurufen“. Aber natürlich ist der Kampf hier auch ungleich härter als aus der Ferne. Existenzen und Identitäten hängen an der Kohle, alte Wunden werden wieder aufgerissen, die Gefahr, Menschen nach rechts zu verlieren, ist immer präsent. Dass dann auch ganz schnell die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen selbst zur Zielscheibe werden können, konnte man bei der Demo in Welzow sehen.

Wie betreibt man Aktivismus in diesem Umfeld? Im rheinischen Braunkohlerevier besetzen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen Wälder wie den Hambacher Forst oder vom Abriss bedrohte Dörfer wie Lützerath, um sich dem Abbau in den Weg zu stellen. In der Lausitz gab es seit mehr als vier Jahren keine Besetzungen mehr. Warum? „Das schürt nur Aggressionen. Zumindest hier, wo man auch mit dieser Vergangenheit kämpft. Hier ist es wichtig, dass wir die Leute mitnehmen und nicht gegen sie arbeiten“, erklärt Soubeyrand.

Chancen

So sieht das auch Lars Katzmarek: „Wenn wir hier etwas bewegen wollen, dann schaffen wir das nur gemeinsam.“ Er hat die Härten des Strukturbruchs mitbekommen, damals verlor auch seine Mutter ihren Job. „Die Hilflosigkeit aus der Zeit haben die Leute noch in den Köpfen“, erklärt er, „und sie messen die Politik daran.“ Aber Katzmarek ist keiner, der sich mit der Vergangenheit aufhalten will. Viel lieber denkt er an die Zukunft der Lausitz, und die malt er sich golden aus.

Katzmarek ist Elektrotechniker und bei der LEAG für die Telekommunikation in den Tagebauen zuständig. An diesem Tag im Herbst sitzt er vor einem hippen Café in der Cottbuser Innenstadt, an der Wand lehnt ein geliehener E-Scooter, mit dem er sich eben noch durch die Fußgängerzone schlängelte. Jemand kommt vorbei: „Hallo Lars!“ – „Hi Flo!“, die beiden unterhalten sich. Katzmarek ist gut vernetzt in der Region. Für den Deutschen Gewerkschaftsbund ist er als „Revierbotschafter“ der Lausitz tätig, er ist eines der Gesichter der Imagekampagne „Krasse Lausitz“, die besonders junge Menschen von der Region überzeugen will.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Rap

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Im Verein Junge Lausitz engagiert sich Katzmarek für deren Belange. Es gibt sogar zwei Songs von ihm, in denen er über die Zukunft der Region rappt. „Ich bin mir sicher, dass wir den Ersatz für die Kohleindustrie bekommen, den wir uns so erbarmungslos eingefordert haben“, sagt Katzmarek. Für die Lausitz wünscht er sich einen Campus für Firmengründungen. „Wenn wir hier etwas haben, dann sind das: Platz und Fachkräfte. Also alles, was man für ein Start-up braucht.“

Auch der Bund hat große Pläne für die Region und stellt dafür einiges an Geld bereit. 17 Milliarden Euro sollen bis zum Ausstiegsdatum 2038 fließen. Zum Beispiel in den Lausitz Science Park, der auf dem ehemaligen Flugfeld von Cottbus über 1.000 neue Jobs in Forschung und Industrie schaffen soll – unterstützt mit 42 Millionen Euro vom Bund. Auch die Waldbühne Jonsdorf, eine Außenstelle des Zittauer Theaters, bekommt knapp 10 Millionen Euro aus dem Topf. Das „Wasserstoff-Referenzkraftwerk“ in Spreetal wird mit rund 28 Millionen Euro bedacht. Und in Cottbus steht bereits die erste von zwei Hallen zur Instandhaltung für ICEs der Deutschen Bahn, bis 2026 sollen hier 1.200 Arbeits- und Ausbildungsplätze entstehen.

Gut möglich, dass diese Projekte der gebeutelten Region tatsächlich wieder zum Aufschwung verhelfen. Erste Ansätze sind schon jetzt zu sehen: 2022 konnte etwa der jahrzehntelange Bevölkerungsrückgang umgekehrt werden. Auch die Eröffnung des ICE-Werks in Cottbus ist ein Lichtblick. Die Tickets für die Baustellenbesichtigung im vergangenen Jahr seien in Sekunden ausverkauft gewesen, meint Katzmarek, „die Leute konnten es kaum glauben, dass diese Werke wirklich gebaut werden“.

Fallstricke

Alte Abhängigkeiten könnten der Lausitz jedoch zum Verhängnis werden. Die LEAG ist mit Abstand das mächtigste Unternehmen in der Region. Um ihre Tagebaue betreiben zu können, muss sie sie trocken halten. Dafür pumpt sie stetig Grundwasser aus ihren Gruben, wodurch Sulfate freigesetzt werden, die das Trinkwasser verunreinigen können. Die Stadt Frankfurt an der Oder klagte 2019 wegen der Sulfatbelastung am Europäischen Gerichtshof. Recherchen der Investigativplattform Correctiv zufolge hat die LEAG der Stadt daraufhin fünf Millionen Euro zugesagt – und ihr laut Correctiv untersagt, über die Trinkwasserbelastung zu sprechen. Die LEAG weist diese Anschuldigung zurück.

Aber die Probleme mit dem Wasser werden nicht einfach verschwinden, wenn die Gruben geschlossen sind und sich der Grundwasserspiegel eines Tages wieder normalisiert hat. Um ihr Geschäftsmodell in die CO₂-neutrale Zukunft zu retten, plant die LEAG, einige der alten Kohlekraftwerke wasserstofffähig zu machen. Außerdem will sie eine eigene Wasserstoffproduktion aufbauen. Dafür wird Wasser benötigt. Aber wie viel davon verbraucht werden soll, dazu äußert sich der Konzern bisher nicht.

Das Wasser dürfte im Zuge des Kohleausstiegs das größte Streitthema der Lausitz werden. Denn die größte künstliche Seenplatte Europas wird zugleich auch die größte künstliche Verdunstungsfläche sein: Der Ostsee, der in weiten Teilen gerade mal eine Wassertiefe von etwa drei Metern haben wird, veranschaulicht das Problem paradigmatisch. Das Umweltbundesamt prognostiziert in einer Studie, dass die Spree, die in der Lausitz entspringt, in regenarmen Sommern „streckenweise fast vollständig austrocknen wird“. Grund dafür sind die riesigen Verdunstungsflächen und das Ausbleiben des abgepumpten Grundwassers, wenn die Gruben geschlossen werden. Für Berlin und Teile Brandenburgs, deren Trinkwasser aus dem Fluss und seinen angeschlossenen Seen gewonnen wird, ist das keine gute Nachricht.

Um­welt­ak­ti­vis­t*in­nen und Menschen aus der Region wie Hannelore Wodtke plädieren deshalb dafür, die vielen weiteren Gruben, die mit dem Kohleausstieg dicht gemacht werden, zu renaturieren, statt sie zu fluten. Aber das ist teurer. Es ist unklar, ob die LEAG genug Rücklagen gebildet hat, um eine Renaturierung finanzieren zu können. Sollte das nicht der Fall sein, kann es sein, dass vieles davon an Bund, Ländern und Kommunen hängen bleibt. Die Zukunft der Region steht auf der Kippe. Und – so unterschiedlich sie auch sind – Menschen wie Hannelore Wodtke, Lars Katzmarek und Ladina Soubeyrand kämpfen dafür, dass sich ihre Heimat nicht in die falsche Richtung entwickelt.

Jetzt, im Winter, sind die Schleusen zum Cottbuser Ostsee voll geöffnet, die Flutung läuft mit Maximaltempo. In wenigen Wochen könnte die Wasserdecke bereits geschlossen sein. Was mal darunter lag, ist dann endgültig verschwunden: 220 Millionen Tonnen Braunkohle, circa 280 Millionen Tonnen CO₂, Tranitz, Lakoma, Groß-Lieskow, Klein-Lieskow. In der ewigen, flachen Seeoberfläche zeugt dann nichts mehr davon. Ob die Wunden aber wirklich heilen, die Region den Wandel schafft, die Lau­sit­ze­r*in­nen wieder Vertrauen in die Politik gewinnen können, wird sich zeigen. Die Wahlen im Herbst dürften der Lackmustest dafür sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Mit einer Fläche von 1900 Hektar, der Größe der Nordseeinsel Spiekeroog, wird hier Deutschlands größter künstlicher See entstehen, der Cottbusser Ostsee, eingebettet in die größte künstliche Seenplatte Europas."

    Mittlerweile geht es wieder, aber als ich klein war, konnte man sich in der Ville ein Bild von "renaturierten" Tagebau-Restflächen machen. Und damals waren sommerliche Extremtemperaturen nicht so häufig wie heute.

    Ich sags mal so: das wird übler stinken als alle Sondermüllcontainer des Hamburger Fischmarkts zusammen, wenn der Cottbusser Gülletümpel umkippt. Was er tun wird. Und zwar regelmäßig, so 30 Jahre lang Minimum. In der Ville war das schon schlimm, und in der Lausitz wird es schlimmer werden - je weniger H2O verfügbar ist, desto stärker verschiebt sich der pH weg von 7. In dem See ist kein Wasser, sondern eine toxische Salzbrühe mit einem pH irgendwo zwischen Schwefelsäure und Zitronensaft. In der Ville hat man jahrzehntelang tonnenweise Kalk ins Wasser gekippt, aber das hier ist 2 Größenordnungen höher.

  • "...plädieren deshalb dafür, die vielen weiteren Gruben, die mit dem Kohleausstieg dicht gemacht werden, zu renaturieren, statt sie zu fluten."



    Welche Renaturierung? Ich würde mal vermuten, dass dann das Wasser, das nicht mehr abgepumpt wird, von selbst in die Gruben läuft...