piwik no script img

Kritik an Demos gegen rechtsVerschieden vereint

Bei den Demos gegen rechts kommen Menschen zusammen, die sonst nicht zusammenkommen würden. Das sollte Grund zur Freude statt Besserwisserei sein.

Demonstration gegen die die AfD in Darmstadt am 23. Januar 2024 Foto: Boris Roessler/dpa

M indestens 820.000 Menschen bundesweit auf der Straße gegen rechts. Das ist die Zahl vom letzten Wochenende. Bis zu 100.000 sollen es in Düsseldorf und Hamburg gewesen sein. 100.000 waren es nach konservativen Schätzungen schon eine Woche vorher in Berlin und München.

Auch in vielen mittelgroßen und kleinen Städten gibt es Demos. Für das kommende Wochenende sind weitere angekündigt. Am Samstag will das Bündnis „Hand in Hand“ in Berlin eine Menschenkette um das Reichstagsgebäude bilden. Mehr als 1.200 Organisationen haben nach eigenen Angaben den Aufruf des Bündnisses unterschrieben. Ja, genau, über 1.200 Organisationen, nicht über 1.200 Personen!

Toll, oder?

Das finden nicht alle. Auf die Massenproteste nach den Recherchen über Deportationspläne von AfD-Politiker:innen und anderen Rechtsextremen folgte in der Presse und den sozialen Medien prompt auch die Kritik an diesen Protesten. Für manche scheint die Lust am Besserwissen schwerer zu wiegen als das politische Anliegen.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Ihnen waren die Demos, zu denen sehr kurzfristig mobilisiert wurde, zu wenig divers; es waren viel zu viele weiße Deutsche da, die viel zu bürgerlich sind; und natürlich geht es gar nicht, dass diese weißen, bürgerlichen Deutschen auch noch Spaß haben auf diesen Demos, zu denen sie ja eh nur kommen, um sich zu vergewissern, dass sie die Guten sind und auf der richtigen Seite stehen.

Eine Bewegung, die sich spaltet, bevor sie sich richtig gebildet hat – das gibt es nur bei den Progressiven.

Bitte traurig gucken

Als ich auf die erste Demo in Berlin gegangen bin, musste auch ich mit Bedauern feststellen, dass sich der Pariser Platz leider nicht plötzlich in einen Ort vollendeter egalitärer Utopie verwandelt hatte.

Ich war trotzdem froh, dass zur Abwechslung mal keine Coronaleugner oder Putinfans den Platz gefüllt hatten, sondern Menschen, die zwar woanders herkamen als ich, bestimmt auch anders dachten, die aber immerhin ein Problem damit hatten, dass Nazis mich und andere Menschen wie mich abschieben wollen. Menschen also, die, wenn man sie darauf anspricht, möglicherweise auch offen gegenüber der Kritik sind, dass die Parteien, die sie wählen, mit ihrer restriktiven Migrationspolitik die AfD nicht schwächen, sondern stärken.

In diesem Moment der Zuversicht musste ich an ein Detail aus der Correctiv-Recherche denken: Einer der Organisatoren des Potsdamer Nazitreffens hatte sich darüber gefreut, dass die Deportationsfantasien die Rechten trotz aller Streitpunkte zusammenführen. Eure Gegner, dachte ich dann offenbar etwas voreilig, haben auch viele Differenzen, in ihrer Gegnerschaft zu euch Faschisten sind sie aber ebenso vereint!

Die Frage der Diversität ist trotzdem ein wichtiger Punkt. Ich erinnere mich an meine ersten politischen Erfahrungen als frisch eingeschriebener Student, an das einschüchternde Auftreten mancher Ak­ti­vis­t:in­nen auf Demos, an die Zurechtweisungen und Codes, die ich, wenn überhaupt, erst viel später verstanden habe.

Ich frage mich, wie viel Bock migrantische Arbeiterkinder auf Demos haben können, wenn sie von irgendwelchen Oberkritischen penetrant belehrt werden, wie richtiger Antifaschismus funktioniert. Und dass sie bitte auch traurig genug gucken sollen, statt Spaß an der Erfahrung zu haben, dass sie nicht allein sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Danke, danke, danke!

    Ich bin diese besserwisserische Zerrederei auch so leid.

  • "Eine Bewegung, die sich spaltet, bevor sie sich richtig gebildet hat – das gibt es nur bei den Progressiven." Diese selten bösartige, aber oft mit einem Augenzwinkern geäußerte Kritik am eigenen Milieu zeichnet die TAZ meiner Meinung nach aus.



    Diese Spaltungsneigung erinnert tatsächlich stark an die "Volksbefreiungsfront von Judäa" und ähnliche Gruppierungen aus dem Film "das Leben des Brian"

  • Den Vorwurf, dass viele Menschen bei diesen 'Demonstrationen gegen Rechtsextremismus' aus reinen Gründen der 'Selbstvergewisserung' teilnehmen würden, hört man nicht selten. M.E. träfe dieses Argument evtl. dann zu, wenn sich die Teilnehmer rein aus dem 'linken Spektrum' der Bevölkerung zusammensetzen würden. Dies ist aber aktuell keineswegs der Fall. Das Teilnehmerfeld kommt aus allen Teilen der Bevölkerung - gesellschaftlich wie parteipolitisch. Es sind liberale, konservative, christliche, muslimische, jüdische, gewerkschaftliche, grüne, linke.... Personen, denen es darum geht, Stellung gegen Rechts zu beziehen. Und genau dies macht doch Hoffnung und nimmt vielen das Argument, hier handle es sich doch wieder nur um 'linksgrünes Gesocks'. Hoffen wir, dass es auch hinsichtlich der Landtagswahlen im Herbst für die vielen noch unentschlossene Bürger und Wähler ein Signal ist, ihre Stimme keiner rechtsextremen Partei zu geben.

    • @Klaus Waldhans:

      nur dass die Teile der Bevölkerung bei uns an drei verschiedenen Tagen demonstrierten.

      • @Wes:

        Bitte erläutern. Danke

  • Ich weiß auch bei 1200 immer noch nicht wen ich wählen soll. Einige laufen da auch nur mit, weil sie ansonsten nirgends eine Alternative sind.

  • Ich bin vor Jahrzehnten Linker geworden, weil die Linke vermittelte, dass die übergroße Mehrheit der Menschen auf der ganzen Welt durch gemeinsame Interessen verbunden wäre (und "wir" überall einen gemeinsamen Gegner hätten). Dieser Internationalismus hatte was und vermittelte Zukunftshoffnung.

    Ein bisschen mehr davon würde der Linken heute guttun.

  • Völlig richtig, leider immer wieder nervig, die sauertöpfische Besserwisserei der Linken, zu denen ich mich grundsätzlich auch zähle. Auf andere Weise, aber in der Weltsicht ebenso spießig und piefig wie die Rechten. Deutsche halt.

  • Gut gebrüllt Löwe 🦁

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      oben - war “einer auf Willi“

      naja he techné - 🥹🤣

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      anschließe mich —

      Mich erinnern Zahlen und was ich so höre und lese an die Zeiten der Friedensbewegung. Die ja auch deswegen und kurz ebenso zögerlich - so viele Menschen querbeet auf die Beine kriegte - weil auch jetzt es schaffte “lagerübergreifend“ zur einer bundesweiten Bewegung zu werden. Chapeau!



      Und klar die Kritikaster “Latschdemos“ etc. damals wie heute - “weilse den Arsch nicht hochkriegtem!“



      Und - klar -“ Die Frage der Diversität ist trotzdem ein wichtiger Punkt. Ich erinnere mich an meine ersten politischen Erfahrungen als frisch eingeschriebener Student, an das einschüchternde Auftreten mancher Ak­ti­vis­t:in­nen auf Demos, an die Zurechtweisungen und Codes,“ & “ wie viel Bock migrantische Arbeiterkinder auf Demos haben können, wenn sie von irgendwelchen Oberkritischen penetrant belehrt werden, wie richtiger Antifaschismus funktioniert.“



      Diese Penetransels sterben nicht aus! Woll



      Nö. Damals waren leider häufig genug die Bescheißwisser mit der Durchblickerbrille - die verknöcherten Bilder Hüter der (meist) pseudWeisheit und der “Kerben am Colt“ - die hirnrissigen Reste der sog. 68er!



      Erfreulich aber - daß die Jüngeren meist wie jetzt auch - sich nicht die Butter vom Brot nehmen ließen - heute lassen.

      kurz - In dem Sinne - “Höcke Weidel & Co - wir kommen!“ - Masel tov -

  • kein problem das leute spass haben. aber wenn spd, fdp und gruene sich auf solchen demos als bollwerk gegen nazis inszenieren, in der woche darauf aber wieder den aufgaben zettel der nazipartei afd abarbeiten (die ff merz-cdu ist eh voellig durch), dann kommt jemandem, der ua in den 90ern in jedes kaff gefahren ist, um gegen nazis zu demonstrieren, ein bisschen die kotze hoch.

  • Meine volle Zustimmung!