Schriftsteller Elias Hirschl: Malochen und dabei absaufen
In dem irren Roman „Content“ geht es um Klimawandel, digitale Selbstauflösung und prekäre Arbeit im 21. Jahrhundert. Wer ist der Autor dahinter?
Der Schriftsteller Elias Hirschl sitzt in einem Wiener Kaffeehaus, nippt an seiner Melange und spricht über Dinge, die ihn interessieren. Trollfabriken in Nordmazedonien zum Beispiel und die Berichterstattung über den Klimawandel. „Ich hasse es, Artikel zu lesen, die negativ enden. Das ist ja mega unbefriedigend“, sagt er. „Aber immer wenn ich über den Klimawandel lese, bin ich genervt von diesen dann doch noch positiven Messages am Ende, die einem sagen, was man jetzt persönlich alles so tun kann: die richtigen Konsumentscheidungen treffen und so weiter.“ Mit seinem Roman „Content“, sagt er, wolle er das anders machen.
Eigentlich hätte dieses Treffen ohnehin in einer Kohlenmine stattfinden müssen oder wenigstens im Entrepreneurship Center der Wirtschaftsuniversität Wien und nicht an so einem denkmalgeschützten Wiener Klischeeort, in dem Männer noch Zeitung lesen, statt auf ihr Smartphone zu starren.
Hirschl trägt Kleid statt Anzug und ist nicht der Typ Schriftsteller, der einem lautstark seine Thesen entgegenpoltert. Anfangs sind seine Antworten vorsichtig, der Blick beim Sprechen ist etwas abwesend aus dem Fenster des Kaffeehauses gerichtet. Es widerspricht dem Fakt, dass er seit über zehn Jahren auf Bühnen steht: Als Bandleader, Autor und früher auch Slampoet.
Eigentlich, das hatte Elias Hirschl kurz zuvor noch bei einem Spaziergang recht wortkarg erklärt, wolle er gar nicht mehr über Österreich sprechen. Seine literarische Praxis funktioniere nun mal so, dass er sich ein, zwei Jahre in ein Thema reinsteigere, es dann aber auch wieder reiche und was Neues hermuss. „Es fühlt sich dann so an, als würdest ich alle paar Jahre das Studium oder den Beruf wechseln.“
Dummerweise feierte Hirschl gerade mit seinem letzten Roman, „Salonfähig“, seinen Durchbruch als Sebastian Kurz als Bundeskanzler endgültig nicht mehr tragbar war und zurücktreten musste. Das war 2021 und Hirschl hatte eine humorvolle Analyse über die schlechten Seiten von jungen Konservativen in gut sitzenden Anzügen geschrieben. Das Ergebnis: Alle wollten mit Hirschl über diese Austro-Lackaffen mit Autoritätsfetisch sprechen. Und er lieferte.
Wie also jetzt die ganzen Fragen abschütteln – zu Österreich, zu den rechten Slim-Fit-Bros, zum Kurz-Sebastian und zu den irren Skandalen, in Österreich nur Causa XY genannt, die noch immer monatlich öffentlich werden? Genau: verschwinden hilft.
Elias Hirschl: „Content“. Paul Zsolnay Verlag, 224 Seiten, 23 Euro
Ein Roman wie das Web 2.0
Elias Hirschl, der 1994 in Wien geboren wurde und in Österreich zur Schule ging und studierte, traf eine ungewöhnliche Entscheidung. Er ging nach Deutschland. Nicht nach München, nicht nach Berlin, sondern ins Herz des Ruhrgebiets: nach Dortmund. Ein Stadtschreiberstipendium machte es möglich und die Gegend war die perfekte Umgebung, um an seinem neuen, gänzlich unösterreichischen Roman „Content“ zu arbeiten, deren Rahmen eine stillgelegte Zeche bildet.
„Content“ ist kein konventioneller Roman, der ein Thema von vorne bis hinten durcherzählt. „Content“ funktioniert wie das Web 2.0: Man kann zwar versuchen, einer stringenten Erzählung zu folgen, aber verliert sich dabei in den unzähligen Verlinkungen, Motiven, Gedankensträngen, die in alle Richtungen wuchern. Man kann sich im Sprachwitz, in der dystopischen Welt, in den irren Handlungen der Figuren oder in klugen Gedanken verirren.
Es ist ein Konglomerat aus Themen, Textformen und Genres. Aus Gegenwartsprosa, Nature Writing und magischem Realismus. Der die scheinheiligen Versprechen der Start-up-Szene genauso aufgreift wie den Umgang mit Social Media und KI, Arbeitsformen im Spätkapitalismus (Kohlemine vs. Dienstleistungssektor vs. Digital-Prekariat), Popkultur, Internet-Memes, mystische Riesenorganismen, die sich von Content ernähren, und, nun ja, den Weltuntergang.
„Ich fand den Gedanken interessant, dass das Internet so autark wird, dass es irgendwann gar keine Menschen mehr braucht und es sich einfach selbst erhält“, sagt Elias Hirschl zur Handlung seines Romans, und vielleicht ist das eine Art Schlüssel.
Er spricht davon, dass seine ehemalige Lieblingsplattform Twitter vor die Hunde gegangen ist und er dort nur noch dreimal am Tag von irgendwelchen Krypto-Bots markiert wird, ansonsten aber nichts mehr passiere. Er spricht über die künstliche Familienstruktur von Start-ups, über seine aktuelle Lieblingsliteratur aus Japan, über den Schriftsteller Jakob Nolte, den er dafür schätzt, dass sein Buch „Schreckliche Gewalten“ Fantasy-Elemente aufgreift, der in der Handlung einen Werwolf auftauchen lässt, einfach so.
Er blickt einem nun direkt in die Augen statt aus dem Fenster, spricht schneller, lacht. Sich mit Elias Hirschl über Themen, die ihn interessieren, zu unterhalten, ist ähnlich wie sein Buch zu lesen: Man beginnt mit einem Thema und landet über unzählige Verlinkungen bei einem völlig anderen und es wirkt völlig organisch.
Und jetzt zum Plot
In „Content“ jedenfalls arbeitet eine namenlose Protagonistin bei der Smile Smile Inc., einer sogenannten Content-Farm im Gelände einer stillgelegten Kohlenmine. Ihren Wohnort erschüttern Erdbeben, die Ich-Erzählerin lebt ein ereignisarmes Leben, während die Welt um sie herum immer unerträglicher wird. Essenskuriere streiken und werden durch Drohnen ersetzt, die Social-Media-Konten der Protagonistin werden ihr gestohlen und von einer Doppelgängerin gekapert und irgendwann säuft die ganze Stadt ab, weil unter der Content-Farm etwas Mysteriöses vor sich geht.
Interessant ist dabei die Beiläufigkeit der Erzählerin, die alles über sich ergehen lässt und die nichts mehr aus der Fassung zu bringen scheint. Ihr Job bei Smile Smile Inc. besteht darin, Listicles zu verfassen, die in den nächsten Arbeitsschritten von anderen Personen aber so verändert werden, dass nichts mehr vom Original übrig bleibt – eine sinnentleerte Sisyphusarbeit, so scheint es zumindest. Irgendwann programmiert sie eine KI, die für sie die Artikel verfasst, und sitzt mangels Alternativen trotzdem weiterhin im Büro, ohne etwas zu tun. Bei vollem Lohn, niemand merkt’s.
Währenddessen zerschreddern ihre Kolleg*innen Nokia-Handys in Mixern für viralen Content und scheinen gar nichts mehr zu spüren. Es sei ihm auch darum gegangen, die Angst davor abzubilden, von neuen Technologien ersetzt zu werden, sagt Hirschl. „Es könnte ja dazu führen, dass es weniger menschenunwürdige Scheißarbeit gibt, weil sie von Maschinen oder KI übernommen wird. Aber diejenigen, die die Jobs vorher gemacht haben, sind dann eben vor allem arbeitslos und ohne Einkommen, anstatt weiter bezahlt zu werden.“
Neben der Lethargie der Protagonistin wird der Roman getragen von eben jenen immer wirrer werdenden Listenartikel-Ideen, von denen sich wohl über hundert im Buch finden. Zum Beispiel „die Top 7 Todsünden und wie du sie alle auf einmal begehen kannst“ oder „10 Gesteinsarten, die besser schmecken als ihr Ruf“. Währenddessen treten ein karikaturhafter Start-up-Heini und ein karikaturhafter Journalist mit einer eigenwilligen wie eigenartigen Sprache auf. Denn Elias Hirschl arbeitet sich nicht nur gerne in Themen, sondern auch in Soziolekte ein. Auch das spiegelt der Roman wider.
Ein ungutes Gefühl
„Ich frag mich schon manchmal: wozu produziere ich überhaupt noch Texte, die komplett selbst gemacht sind, wenn ich einfach alles auf Material aufbauen könnte, das schon vorhanden ist“, sagt Hirschl irgendwann nachdenklich. „Die Antwort ist: weil es Spaß macht. Ich orientiere mich aber gern an Fundstücken aus dem Internet oder der Außendarstellung von Firmen und dieser ganz eigenen Sprache.“
Was nach der Lektüre von „Content“ bleibt, ist ein ungutes Gefühl. Das hat sicher auch mit dem kapitalistischen Realismus zu tun, den der Kulturtheoretiker Mark Fisher in seiner gleichnamigen Streitschrift beschreibt und der sich in „Content“ überdeutlich ausgebreitet hat. Oder mit dem, was schon der gute alte Karl Marx in seinen „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ als „entfremdete Arbeit“ bezeichnete, die sich unter anderem darin äußert, dass sich der Arbeiter nicht nur vom Produkt, sondern auch vom Produktionsprozess selbst entfremdet. Und das gilt eben nicht nur für Kohlenminen, sondern auch für die Billig-Content-Produktion.
Ist der Mensch, fragt man sich, wirklich zu dumm, um dieser Realität eine neue entgegenzustellen und damit auch der Zerstörung der Umwelt, der Ausbeutung und der Vereinzelung der Menschen entgegenzuwirken? „Content“ beantwortet die Frage letztlich mit: Ja, ist er. Es gibt keine positive Wendung wie in den Klimawandelartikeln, die Hirschl so wenig leiden kann. Der Mensch dissoziiert sich einfach kaputt.
Eine Frage drängt sich noch auf, ganz am Ende des Gesprächs (das Smartphone hatte Elias Hirschl die ganze Zeit über in seiner Tasche gelassen). Was ist deine aktuelle Bildschirmzeit?
„Weiß nicht, auf jeden Fall weniger als früher“, sagt er, jetzt wieder gelangweilt wie am Anfang des Gesprächs.
Und was spielt dir der Instagram-Algorithmus hauptsächlich in den Feed?
„Kochvideos, auch die ganz furchtbaren, in denen alles frittiert wird.“
Wer weiß, zu welchen Texten ihn das wieder inspiriert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!