Auf dem Weg zur Klimaneutralität: Hintertür für Klimasünder

Die Grünen-Fraktion in Schleswig-Holstein will unter restriktiven Bedingungen das Abscheiden und Speichern von CO2 zulassen. Kritiker werfen Greenwashing vor.

Auf einer Wiese steht ein Gerüst mit der Schrift "Kein CO2-Endlager"

Bitte nicht hier und auch nicht anderswo: Protest gegen CO2-Deponierung Foto: Carsten Rehder/dpa

HAMBURG taz | Dass die schleswig-holsteinischen Grünen in engen Grenzen nun doch die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) befürworten, stößt im Land auf Kritik. Die Bürgerinitiative gegen CO2-Endlager warf der grünen Landtagsfraktion und Umweltminister Tobias Goldschmidt vor, „Politik gegen die Bürger und die Natur“ zu machen. Deren Neupositionierung berge die Gefahr, den Klimaschutz zu torpedieren, warnt Reinhard Knof von der Initiative.

Knof macht sich Sorgen, dass das grüne Positionspapier nicht beabsichtigte Folgen haben könnte, indem es die Tür für „blauen Wasserstoff“ öffnet. Wasserstoff gilt als der Energieträger einer CO2-neutralen und damit klimafreundlichen Zukunft. Im Gegensatz zu „grünem Wasserstoff“, der mit erneuerbarer Energie erzeugt wird, entsteht blauer Wasserstoff aus Erdgas, wobei das CO2 abgeschieden und dauerhaft unterirdisch gelagert wird.

Dieses CCS-(Carbon-Capture-and-Storage-)Verfahren ist umstritten. Zum einen ist es energieaufwendig und teuer. Zum anderen erfordert es, auf Tausende von Jahren hinaus dichte Speicherstätten zu finden, die überwacht werden müssen und für die eine Haftung gewährleistet werden muss.

„CCS ist Greenwashing“, warnt Knof. Werde es zugelassen, drohe es die Energieproduktion aus fossilen Brennstoffen – wie Erdgas – zu verlängern, weil diese ja dann als klima­neutral gelabelt werden könnten. Der Umstieg auf grünen Wasserstoff aus erneuerbarer Energie werde gebremst – ein Fest für die fossilen Energiekonzerne.

Grüne wollen „unvermeidbare Emissionen“ definieren

Nun versuchen die schleswig-holsteinischen Grünen, ein solches Greenwashing explizit zu vermeiden. Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag sieht vor, Schleswig-Holstein bis 2040 zum ersten klima­neutralen Industrieland zu entwickeln, heißt es in dem Papier. Allerdings würden selbst bei einer sehr schnellen und starken Verringerung des Treibhausgasausstoßes etwa fünf Prozent Emissionen übrig bleiben, die aus heutiger Sicht nicht vermieden werden können, etwa in der Zementindustrie oder der Müllverbrennung.

„Diese unvermeidbaren Restemissionen müssen durch CO2-Senken ausgeglichen werden“, schreiben die Grünen. Dabei sei in erster Linie an natürliche CO2-Speicher zu denken wie Wälder, Moore und Seegraswiesen. „Eine mögliche zusätzliche Option“ sei aber auch CCS. „Fast jede Studie bezieht CCS ein, um die Klimaziele zu erreichen“, sagte der Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter im taz-Interview.

In ihrem Papier fordern die Fraktion und der Minister eine rechtsverbindliche Definition für „unvermeidbare Emissionen“. Damit könne verhindert werden, „dass die Nutzung fossiler Energieträger wie z. B. Erdgas/LNG verlängert wird, um vermeintlich ‚CO2-neutrales‘ Erdgas oder ‚CO2-neutralen‘ blauen Wasserstoff zu produzieren“.

Knof hält das für blauäugig. Um das CO2 von dort, wo es anfällt, zu den Speichern zu transportieren, sei ein Pipelinenetz notwendig. Dieses wiederum werde sich nur rentieren, wenn es für große Mengen CO2 aus der Erzeugung blauen Wasserstoffs geöffnet werde.

Kritiker wirft Grünen Blauäugigkeit vor

Steffi Ober, Teamleiterin Ökonomie und Forschungspolitik beim Naturschutzbund (Nabu), widerspricht. Sie glaubt, dass schon das CO2 aus unvermeidbaren Emissionen ein Pipelinenetz rechtfertigen würde. Das Netz dürfe aber nicht zu groß dimensioniert werden, um keine falschen Anreize zu setzen.

Die EU-Kommission plant jedenfalls ein CO2-Transportnetz über den ganzen Kontinent, um CO2 von den Quellen zu den Speicherstätten, insbesondere unter die Nordsee zu pumpen. Dieses Netz soll Emittenten diskriminierungsfreien Zugang gewähren. In den Augen Knofs lädt eine solche Infrastruktur dazu ein, CCS im großen Stil und eben nicht nur in unvermeidbaren Restfällen zur Dekarbonisierung zu nutzen. „Wir kriegen die nie wieder weg“, warnt er.

CCS kann Versäumnisse nicht kaschieren

Demgegenüber vertritt der Nabu eine resigniert-pragmatische Haltung. Einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) zufolge würden natürliche Senken reichen, um Deutschland klimaneutral zu machen – sofern drastische CO2-Minderungsmaßnahmen umgesetzt würden. „Genau dieser Suffizienz-Ansatz lässt sich jedoch nicht beobachten“, stellt der Nabu fest. An CCS für Restmengen führe deshalb kein Weg vorbei, um eine Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad zu verhindern.

Die mit CCS verbundenen Hoffnungen könnten klimapolitische Versäumnisse nicht kaschieren, stellte das UBA fest und warnt: „Es besteht Gefahr, dass das Potenzial von CCS erheblich überschätzt, Alternativen vernachlässigt und dadurch die generationsübergreifenden Herausforderungen im Klimaschutz unterschätzt werden.“

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