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Trauerfeier für Berliner GrünenGedenken an Wolfgang Wieland

Bei einer Trauerfeier für den Grünen-Politiker Wolfgang Wieland erinnern Weg­be­glei­te­r an einen überzeugten Demokraten und Verteidiger des Rechtsstaats.

Jürgen Trittin nimmt Abschied von Grünen-Politiker Wolfgang Wieland Foto: picture alliance/dpa/Annette Riedl

Berlin taz | Die Passionskirche am Marheinekeplatz in Berlin-Kreuzberg ist an diesem Freitagvormittag voll besetzt, zahlreiche Be­su­che­r:in­nen müssen auf die Ränge steigen. Vorne steht ein Bild von Wolfgang Wieland, wahrscheinlich ist es ein Urlaubsfoto. Wieland in roter Allwetterjacke schaut in die Ferne, hinter ihm ist das Meer zu sehen. Gemeinsame Ferien mit ihm habe sie besonders gemocht, wird seine Frau Sabine später sagen. Neben dem Bild ist der Sarg aufgebaut, darauf liegen Wildblumen, drumherum stehen Kerzen.

Als er die Ölberggemeinde in Kreuzberg vor 40 Jahren übernommen habe, sagt der Pfarrer, sei Wieland schon da gewesen. Nicht als Kirchgänger. Aber als einer, an dem man nicht vorbeigekommen sei. So ähnlich dürfte es vielen in der Kirche gehen. Familie, Freun­d:in­nen und Weg­be­glei­te­r:in­nen des grünen Politikers sind zur Trauerfeier gekommen.

Wieland, Rechtsanwalt und Innenpolitiker, war 1978 einer der Mitgründer der Alternativen Liste in Berlin, er saß für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und später im Bundestag, war in Berlin Fraktionsvorsitzender und um die Jahrtausendwende während einer kurzen rot-grünen Legislatur Justizsenator. Wieland war am 5. Dezember im Alter von 75 Jahren gestorben.

Nachdem Pfarrer und Angehörige gesprochen haben, Gedichte von Rainer Maria Rilke und Ingeborg Bachmann verlesen sind, kommen drei Weg­be­g­lei­te­r:in­nen Wielands zu Wort. Hajo Ehrig erzählt davon, wie er Wieland 1970 bei der Roten Zelle Jura an der FU kennenlernte, wie die beiden Maoisten als Berufsanfänger eine gemeinsame Anwaltskanzlei aufmachten und später Fritz Teufel verteidigten. Er erinnert daran, wie ihr Mandant Cemal Kemal Altun, der vor dem Militärregime in der Türkei geflohen war, 1983 aus Angst vor einer Abschiebung aus einem Fenster im sechsten Stocks des Oberverwaltungsgerichts Berlin sprang und sich das Leben nahm. Und wie die beiden Rechtsanwälte vier Jahre lang im Mykonos-Prozess iranischen Staatsterrorismus anprangerten.

Johann Müller-Gazurek, ehemaliger grüner Bundestagsabgeordneter und Ex-Richter am Berliner Verfassungsgerichtshof, verweist darauf, dass Wieland, der früher die Peking-Rundschau gelesen habe, als Bundestagsabgeordneter Mitglied der taiwanesisch-deutschen Parlamentariergruppe gewesen sei. Diese Entwicklung und auch Wielands späteres Engagement für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zeige die „Wandlungsfähigkeit von Demokraten“ und eine von Wielands überragenden Fähigkeiten: „alte Pfade des Denkens und Handels zu verlassen“.

Die ehemalige Grünen-Chefin und Ex-Stasibeauftragte Marianne Birthler erinnert an Wielands Neugier auf die Po­li­ti­ke­r:in­nen von Bündnis 90 und den Osten und belegt mit Zitaten aus seinen Reden, hervorgekramt aus den Sitzungsprotokollen von Abgeordnetenhaus und Bundestag, sein rhetorisches Talent. Wenn Wieland das Wort ergriffen habe, hätten viele Abgeordnete Zeitung oder Handy beiseite gelegt.

Musikalisch untermalt wird die Trauerfeier von den Otto-Sinfonikern, zu denen Wieland eine besondere Beziehung hatte. Seine Frau, eine Richterin, mit der er 50 Jahre verheiratet war, ist Teil des Orchesters. Anfangs habe Wieland damit gefremdelt, sagt der Pfarrer, weil das Ensemble am Freitagabend probte und Wieland die gemeinsamen Wochenende in Gefahr gesehen habe. Dabei forderte wohl eher Wielands Leben als Politiker die Familie.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Fraktionschefin Britta Haßelmann und die Bundestagsabgeordneten Renate Künast und Stefan Gelbhaar nahmen an der Trauerfeier teil. Auch der gerade aus dem Bundestag ausgeschiedene Jürgen Trittin war da, dazu viele weitere aktuelle und frühere Grünen-Politiker:innen. Im Anschluss wurde Wolfgang Wieland in kleinerem Kreis beerdigt.

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