Nachruf auf Ex-Senator Wolfgang Wieland: Und dann dieses Kichern
Der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland ist gestorben. Seine Biografie ist auch ein Stück Berlingeschichte. Über eine politische Ausnahmeerscheinung.
Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist es anders als üblich eine stille Gedenkminute. Bei der anschließenden Begrüßung bricht es aus Wieland kichernd heraus: „Dass Sie mal Regierender Bürgermeister werden, hätte ich nie geglaubt.“ Wegner lachend zurück: „Ich schon, aber ich war auch der Einzige.“
Aus dem politischen Tagesgeschäft hatte sich Wieland da schon lange zurückgezogen. Zuletzt war er knapp zehn Jahre innenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Mit seinem Parteifreund Christian Ströbele, mit dem ihn auch der Anwaltsberuf und die 68er Zeiten verband, hatte er im NSU-Untersuchungsausschuss gesessen.
Anders als Ströbele hat Wieland bei der Bundestagswahl 2013 aber nicht noch einmal kandidiert. „Als wir jung waren, sind wir mal angetreten gegen die Greisenrepublik Deutschland“, sagte er, damals 64. „Wer über das Rentenalter hinaus weitermacht, muss gute Gründe dafür haben.“
Eine politische Besonderheit
Ströbele, der im vergangenen Jahr im Alter von 83 Jahren gestorben ist, hatte Gründe. Der Grüne und Mitbegründer der taz war eine politische Ausnahmeerscheinung. Ströbele war „Kult“. Bei der Gedenkveranstaltung für Ströbele gehörte Wieland zum Kreis der Redner. Am Dienstag ist er nun selbst gestorben, er wurde 75 Jahre alt.
Wieland war nicht „Kult“, aber auch er war eine politische Besonderheit. Wenn die Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Bettina Jarasch und Werner Graf, erklären, „wir sind voller Trauer, einen wundervollen Menschen und leidenschaftlichen Politiker verloren zu haben“, dann entspricht das auch dem Gefühl der Autorin dieser Zeilen, die Wieland in seiner Zeit als innenpolitischer Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion lange begleitet hat.
Wieland war von 1987 bis 2004 Abgeordneter in Berlin. Er war ein brillanter Redner, aus dem Stegreif unterhielt er einen Saal. Bei politischen Veranstaltungen und bei Partys, auch in der taz, hat man das erlebt. Bei seinen Auftritten im Abgeordnetenhaus und Bundestag verstummten die Zweiergespräche, wenn er das Wort ergriff. Er war schlagfertig und politisch pointiert.
Dazu kam, dass er über ein schon fast unheimliches Elefantengedächtnis verfügte. Seine Geschichten über die politischen Verhältnisse und den Filz in Berlin vor und nach dem Fall der Mauer sind legendär.
Karriere war nicht sein Ding
Auch als er längst aus der Landespolitik ausgeschieden war, verfolgte er die Geschehnisse in Berlin genau. Er legte den Finger in die Wunde, auch mit den eigenen Grünen ging er ins Gericht, da kannte er nichts. Der Wahlkampf von Renate Künast, die 2011 mit hohen Umfragewerten gegen Klaus Wowereit als Kandidatin für den Regierende Bürgermeister-Posten gestartet und haushoch unterlegen war, sei „miserabel“ gewesen, sagte er zur taz. Im Sommer 2023, als die Grünen nicht mehr Teil der Landesregierung waren, konstatierte er: „Man kann schon mal fragen, wo nach sechs Jahren grüner Verantwortung die schönen autofreien Plätze sind“.
Sich selbst pflegte er als „Elder Statesman“ der Grünen zu bezeichnen, der aber nicht den Weisen vom Berg spielen wolle. Und auch das hat er immer betont: Nie habe er das Gefühl gehabt, auch mal Parteivorsitzender werden zu wollen. Karriere sei nicht sein Ding gewesen. „Da unterscheide ich mich von einigen bei den Grünen.“
Als junger Anwalt hatte Wieland die Verteidigung von Fritz Teufel von der Bewegung 2. Juni übernommen. Auch den Asylbewerber Cemal Altun hat er vertreten. Ein tragischer Fall. Aus Angst vor einer Auslieferung in die Türkei stürzte sich Altun aus dem Fenster des Berliner Verwaltungsgerichts. Der Tod war der Anfang der Flüchtlingssolidaritätsbewegung in Berlin. Im Mykonos-Prozess war er Nebenkläger von Überlebenden des Attentats, das auf Geheiß des Iran auf ein Lokal in Berlin ausgeführt worden war.
Mehr Aufgaben als menschlich möglich
Auch als er Mitte der achtziger Jahre Politiker wurde, hat er immer noch ein bisschen als Anwalt gearbeitet, mit Leidenschaft, wie er sagte. Asylthemen waren sein Schwerpunkt.
Wieland wohnte in Kreuzberg, mit seiner Frau, einer Arbeitsrichterin, hat er zwei erwachsene Töchter. Schwäne am Urbanhafen gefüttert, das hat er auch als Politrentner nie. 2020 wurde er vom Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Sonderermittler berufen. Im Rahmen der G10-Kommission des Deutschen Bundestags saß er immer noch in einem geheimen Gremium, das entschied, wen die deutschen Nachrichtendienste abhören und auslesen dürfen.
Auf Bitten von Bettina Jarasch bearbeitete er als Ombudsmann im Landesamt für Einwanderung bis zu 30 Beschwerden täglich. Und dann noch die Friedensarbeit der Kriegsgräberfürsorge. „Durch den russischen Angriffskrieg haben wir im Osten einen enormen Rückschlag erlitten“, sagte er. „Das tut richtig weh, was da an guten Ansätzen verschüttet worden ist.“
Eigentlich seien die vielen Betätigungen mehr, als man nebenher leisten könne, gestand er im Sommer ein. Und dann wieder dieses Kichern, auf diese unnachahmliche Art, wie er es immer tut, wenn er sich amüsiert.
Sechs Innensenatoren und drei Polizeipräsidenten hat Wieland in den 16 Jahren als innenpolitischer Sprecher im Abgeordnetenhaus erlebt. „Mehltau“ nannte er die lange Zeit, in der die Große Koalition Berlin regierte. Die Fronten im Innenausschuss zwischen Opposition und Regierung waren verhärtet, der Ton so: „Der Spuk wird bald vorbei sein. Wir werden den harten Kern von Verfassungsfeinden auf die Lichtung treiben“, kündigte der CDU-Innensenator Eckart Werthebach an, als der 1. Mai 2001 in Kreuzberg wieder einmal in eine Straßenschlacht mit der Polizei ausgeartet war. „Klarer Fall von Cäsarenwahn“, konterte Wieland spitz.
20 Jahre lang auf keiner Demo gefehlt
Erst als im selben Jahr Ehrhart Körting (SPD) Innensenator wurde und Berlin eine rot-rote Regierung bekam, setzte bei der Polizei ein Bewusstseinswandel ein. Von Deeskalationsstrategie hatte man bis dahin nichts gehalten.
Wieland verabschiedete sich bald danach in die Bundespolitik. Der Rückzug entbehrte nicht einer gewissen Tragik. Bei der Aufklärung der Bankenaffäre, die 2001 zur Ablösung der Großen Koalition geführt hatte, war er einer der Motoren gewesen. Im Übergangssenat war er sieben Monate Justizsenator. Nach den Wahlen ging Klaus Wowereits SPD aber eine Koalition mit den Linken, damals noch PDS, ein. Wieland wäre gern weiter Justizsenator geblieben. Noch heute trauern im Strafvollzug Beschäftigte ihm nach – was zeigt, dass er ganz gut gewesen sein muss.
Aus seiner Liebe zu seiner Geburtsstadt Berlin hat Wolfgang Wieland nie einen Hehl gemacht. Er wuchs in Frankfurt am Main auf und kam als Student wieder zurück. Seit dem 2. Juni 1967, dem Tod von Benno Ohnesorg, habe er 20 Jahre lang auf keiner Demonstration gefehlt, sagte er. Am 2. Juni vor der Deutschen Oper habe er alles haarklein miterlebt. „Prügelnde Polizisten und das Gefühl, Benno Ohnesorg, das hättest du auch sein können.“
Dass er früher mal bei den Maoisten war, war ihm nicht peinlich. Aber es laufe ihm kalt den Rücken runter, wenn er heute offizielle Texte von damals lese: „Wie dicht wir am Stalinismus waren.“
Sommer 2023. Eine Bilanz nach 100 Tagen Große Koalition unter Kai Wegner steht an. Ausnahmsweise kein Mosern der Kolleginnen und Kollegen, als man Wolfgang Wieland als Interviewpartner vorschlägt. Den Jungen sagt der Name nicht mehr viel. Am Telefon diese typische dunkle Stimme. „Wegner fehlt eigentlich alles, um Regierender Bürgermeister zu werden.“ Kichern.
Mit Blick auf die hohen Umfragewerte der AFD in Thüringen und Sachsen nimmt das Gespräch aber eine ernste Wendung. „Ich will in Zukunft nicht auf Kai Wegner einprügeln müssen, sondern auf die AfD, und nach Möglichkeit mit allen demokratischen Parteien gemeinsam, ohne die Unterschiede zwischen uns zu verwischen.“
Eigentlich wollte er nach Hiddensee fahren. Zwei Wochen später, bei der Autorisierung sagt er, er liege im Krankenhaus: „Der Krebs ist zurück.“ Seine letzte Nachricht kommt am 5. August. „Habt ihr toll bebildert. Viel grüne Resonanz.“ Das Foto zeigt Kai Wegner beim schwullesbischen Straßenfest, er hat eine affige bunte Pappbrille auf.
Viel hat nicht gefehlt und stattdessen wäre ein Foto des früheren Parlamentspräsidenten Ralf Wieland (SPD) an der Stelle gewesen. Die Zeitung war schon fast in der Druckerei, als ein älterer Kollege den Fehler des jüngeren Kollegen erkennt. Wieland hätte das vermutlich köstlich amüsiert.
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