Opposition gegen Putin: „Morgendämmerung“ für Russland
Jekaterina Dunzowa wollte als Kandidatin gegen Präsident Putin antreten und wurde nicht einmal registriert. Jetzt hat sie eine Partei gegründet.
Ihre Antwort: Es müsse sich etwas ändern in Russland. Sie wolle „positive Botschaften“ verbreiten, wie sie sagt. Trete für „Frieden, Liebe, Freundschaft“ an. Das System brauche eine echte Alternative, davon ist sie überzeugt. Ein System, das einiges dafür tut, dass sie diese Alternative erst gar nicht sein darf.
Am Wochenende hatte Dunzowa ihre eigene Partei gegründet. „Morgendämmerung“ soll sie heißen, ihr Ziel: „Menschen an die Macht zu bringen, die in der Zukunft leben, nicht in der Vergangenheit, in einem sicheren Land, in dem das Wohlergehen aller und nicht die Bereicherung Auserwählter im Vordergrund steht“, heißt es im Dokument. Am Abend nach dem Treffen führte die Polizei sie ab: Drogenkontrolle. „Ich hoffe, das war nur ein Missverständnis“, schrieb sie nach ihrer Freilassung.
Sie kennt die Nadelstiche des Systems: Kaum hatte sie von ihren Plänen zur Wahl gesprochen, lud die Staatsanwaltschaft sie zu „Gesprächen“ ein, wollte offenbar ihre Meinung zu „Aktivitäten der russischen Armee in der Ukraine“ hören.
Jedes ihrer Interviews macht ihre Vorsicht deutlich
Beim ersten Treffen mit Dunzowas Unterstützer*innen in Moskau ging das Licht in der Halle aus. Eine Diskreditierungskampagne rollte an. Die 40-Jährige sei eine Marionette des früheren Ölmagnaten Michail Chodorkowski, hieß es in einigen Telegram-Kanälen. Die Zentrale Wahlkommission registrierte sie erst gar nicht als Kandidatin – wegen angeblicher „schwerer Fehler“ in den Unterlagen. Es ist ein übliches Vorgehen, um Oppositionelle von Wahlen auszuschließen. „So funktioniert es in unserem Land“, sagte Dunzowa und wischte die Einschüchterungsversuche als „Normalität“ beiseite.
Sie weiß, auf welchem politischen Feld sie sich bewegt. Jedes ihrer Interviews, das sie vor allem unabhängigen Journalist*innen im In- und Ausland gibt, macht ihre Vorsicht deutlich. Dunzowa wirkt nervös, sie eiert herum, umgeht Themen mit einem schüchternen Lächeln und nimmt schon gar nicht das Wort „Krieg“ in den Mund. Sie spricht – gesetzeskonform – von „militärischer Spezialoperation“ und tritt, wie sie sagt, für eine „Agenda des Friedens“ an.
Die 40-Jährige ist Anwältin, sie weiß – wie jede und jeder im Russland von heute –, wohin ihr Weg führen dürfte, wenn sie allzu deutlich und allzu laut das bestehende Regime kritisieren würde, gegen das sie anzutreten bereit ist. Die Gesetze machen es leicht, wegen sogenannter Diskreditierung der russischen Armee belangt zu werden. Sie habe Angst, natürlich, wer bitte habe sie nicht in Russland? Den Mut hat sie nach den Entmutigungsversuchen des Regimes nicht verloren. Sie scheinen sie erst recht in die Politik zu ziehen.
Sie wolle mit dem Frauenthema punkten. „Frauen stehen für Sanftheit, Güte, Friedfertigkeit.“ Damit bedient auch sie patriarchale Ansichten im Land. Müde seien die Menschen von dem, was vor sich gehe. Der „Konflikt“ in der Ukraine müsse mit Verhandlungen gelöst werden. Was sie verhandeln würde, wie und wo, sagt sie nicht. „Alles ist traurig. Jemand muss die Verantwortung übernehmen und losziehen.“
Gegen die Angst – und gegen die Wahrscheinlichkeit
Jekaterina Dunzowa zieht los. Sie gründete eine Initiativgruppe, wollte Unterschriften sammeln für ihre Kandidatur, von der die Behörden sie abhielten. Nun will sie mit ihrer Partei „Morgendämmerung“ etwas bewirken, spricht sich für die Freilassung politischer Gefangener aus, will sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen. Sie sieht sich als „Hoffnungsträgerin“ und war sich von Anfang an bewusst, dass „diese Nummer“ alles übertreffe, was sie bisher gemacht habe.
Dunzowa ist 1983 in Sibirien geboren, war als Jugendliche nach Rschew gezogen, eine Kleinstadt knapp 200 Kilometer nordwestlich von Moskau. Nach ihrem Jurastudium und ihrer Ausbildung zur Fernsehjournalistin war sie Stadtparlamentsabgeordnete von Rschew. Dass direkte Bürgermeisterwahlen abgeschafft worden waren, hatte die Mutter von zwei Töchtern (heute 19 und 16 Jahre) und einem Sohn (10) gewurmt, deshalb sei sie in die Politik gegangen. Sie habe sich in ihrer Stadt als Aktivistin für verschwundene Kinder und Erwachsene betätigt, habe sich stets für die Allgemeinheit engagiert, erzählt sie in den Interviews. Jetzt wolle sie weitergehen.
„Du kannst es, Katja!“, hätten ihr die Verwandten und Freunde in Rschew gesagt. Und „Katja“ – es ist die Kurzform von Jekaterina – versucht es. Gegen das Regime. Gegen ihre eigene Angst. Gegen jede Wahrscheinlichkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“