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Russische Minderheit in LettlandAbgeschoben in die alte Heimat

Der 82-jährige Leiter des Lettisch-Russischen Verbandes für Zusammenarbeit wird als unerwünschte Person nach Russland ausgewiesen. Moskau protestiert.

Der 82-jährige russische pensionierte Soldat Boris Katkow kommt am 13. Januar in der Region Pskow an Foto: Pskov Region Governor's Press Office/TASS/action press

Berlin taz | Der Vorsitzende des Lettisch-Russischen Verbandes für Zusammenarbeit (LRAS), Boris Katkow, ist am vergangenen Freitag nach Russland abgeschoben worden. Informationen des Nachrichtenportals LSM zufolge sei der 82-Jährige auf Betreiben des lettischen Innenministeriums wegen jahrelanger und systematischer Tätigkeit für die Interessen Russlands auf eine Liste unerwünschter Personen in Lettland gesetzt worden.

Gegenüber russischen Medien hatte Katkow am vergangenen Mittwoch von einem Brief des lettischen Innenministeriums berichtet, wonach er eine Bedrohung für die nationale Sicherheit Lettlands darstelle und abgeschoben werde. Die Entscheidung sei politisch motiviert.

Moskau reagierte umgehend. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, nannte die Abschiebung einen „provokativen Akt“, der darauf abziele, russischsprachige Be­woh­ne­r*in­nen Lettlands einzuschüchtern. Diese seien Opfer neonazistischer Äußerungen und Russophobie.

Die russische Botschaft in Lettland sprach von einem „absolut unmenschlichen“ Vorgehen des baltischen Staates, das das Prinzip verletze, Familien nicht zu trennen. Zudem werde ein bilaterales zwischenstaatliches Abkommen von 1994 über Fragen des sozialen Schutzes russischer pensionierter früherer Angehöriger des Militärs und ihrer Familienangehörigen verletzt.

Sprachtest als Auflage

Katkow war 1966 in die damalige lettische Sowjetrepublik gekommen und hatte bis zu seiner Pensionierung 1991 beim Militär gedient. 1998 erhielt er einen Pass für Nicht­staats­bür­ge­r*in­nen – eine Kategorie von Angehörigen der russischen Minderheit, die bestimmte Auflagen (wie beispielsweise ein Sprachtest) nicht erfüllt hatten. 2000 nahm er die russische Staatsbürgerschaft an. Aufgrund seines Alters wurde er von dem Sprachtest befreit. Der LRAS saß er seit ihrer Gründung 1999 vor.

Von den rund 1,8 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen Lettland gehören knapp 27 Prozent der russischen Minderheit an. Ein bedeutender Teil dieses Personenkreises hat keine lettische Staatsbürgerschaft. Der sogenannte Pass für Nicht­staats­bür­ge­r*in­nen ist jedoch ein voll gültiges Reisedokument.

Im vergangenen September waren Veränderungen des Einwanderungsgesetzes in Kraft getreten, die Angehörige der russischen Minderheit mit russischem Pass betreffen. Danach erhalten ehemalige Nichtstaatsbürger*innen, die nach 2003 die russische Staatsbürgerschaft erhalten haben, nicht mehr automatisch einen ständigen Aufenthaltstitel. Dafür müssen unter anderem Sprachkenntnisse des Lettischen auf dem Niveau von A 2 nachgewiesen werden.

Laut der lettischen Nachrichtenagentur LETA droht aktuell (Stand Januar 2024) 1.167 russischen Staats­bür­ge­r*in­nen die Abschiebung aus Lettland. Sie haben die erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt beziehungsweise sind entsprechenden Forderungen nicht nachgekommen.

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21 Kommentare

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  • Wenn deutsche Nationalisten die "Remigration" von Einwohnern mit ausländischen Wurzeln fordern, ist das ein rassistischer Skandal. Wenn lettische Nationalisten Einwohner mit ausländischen Wurzeln, die vor 58 Jahren von einem Teil der UdSSR in einen anderen Teil - nämlich die Lettische Sowjetrepublik - gezogen sind, zuerst das Bürgerrechtler verweigern und dann noch "remigrieren", ist das völlig in Ordnung, denn schließlich handelt es sich nur um Russen ...

  • Nach dem 2. Weltkrieg haben die Besatzer der baltischen Staaten eine Parallelgesellschaft errichtet. Oder sogar aufgebaut, mit dem Ziel, die jeweils originale zu schwächen. Lettland hat den Mitgliedern der ehemaligen Besatzer und der entstandenen Parallegesellschaft die Möglichkeit gegeben, sich zu integrieren.

    Ein Blick auf die Ukraine reicht doch, um zu erkennen. wozu Angehörige von Prallelgesellschaften fähig sind, was passieren kann, wenn diese sich zusamenrotten.

    • @Donald Duck:

      Es war sogar noch schlimmer: erst wurden Hunderttausende Balten deportiert, was zehntausende nicht überlebten, und dann wurden ihre Heimatländer russifiziert. Dagegen wurden ihre Kulturen, Sprachen und jeweilige Geschichte zu "Parallelgesellschaften" gemacht, in dem überall nur noch die russische Sprache und Kultur dominierte. Lettisch, estnisch und litauisch wurden allenfalls noch bei Folklore-Abenden in der Öffentlichkeit gesprochen, und das auch fast nur auf dem Niveau von Bauernschwänken. Die überwiegend russischen Besatzer sahen sich jahrzehntelang als normgebende soziale Mehrheit, die sich nicht im geringsten anzupassen hatten.

      Und genau dieser - gelinde ausgedrückt - Chauvinismus prägt die Haltung der Russen (in Russland) zu ihren Nachbarländern (und auch zu den ethnischen Minderheiten in Russland selbst) bis heute. Ihnen wird schlicht und ergreifend nicht zugestanden, eine "echte" eigenständige und ernstzunehmende Kultur zu haben. Und das wiederum speist dann die russisch-imperialistische Vorstellung, diesen ganzen Nationen und Ethnien könne eigentlich gar nichts besseres passieren, als vom "großen" Russland beherrscht zu werden.

  • A2 ist jetzt wirklich keine hohe Messlatte. In Anbetracht der lettischen Geschichte ist es völlig in Ordnung, wenn das gefordert wird.

  • Wie kommt man überhaupt dazu 27% seiner Einwohner als "Nichtstaatsbürger" zu klassifizieren?

    Ist das die lettische Version von "Remigration" und wieso liefert man der russischen Propaganda so einfach Futter?

    • @Thorsten Gorch:

      1. Sind es gar nicht mehr 27 Prozent, die Nichtbürger sind. Der größte Teil der russischstämmigen Bewohner Lettlands hat die lettische Staatsbürgerschaft erworben.

      2. für diesen Erwerb muss man eigentlich nur einen Sprach- und Einbürgerungstest bestehen. Das ist 30 Jahre nach der Unabhängigkeit wohl kaum zuviel verlangt.

      3. Jeder der Nichtbürger könnte sofort den russischen Pass bekommen. Allerdings ist das Leben als lettischer Nichtbürger immer noch sehr viel besser als als russischer Bürger, weshalb einige bewusst Nichtbürger bleiben.

      4. die "Russen" sind Zivilisten, die von der Besatzungsmacht UdSSR in Lettland angesiedelt wurden, was eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt. Lettland hat sie aber dennoch bleiben lassen.

    • @Thorsten Gorch:

      Erschreckend ist allerdings nicht nur die lettische Politik, sondern auch die hiesige Zustimmung für solche Maßnahmen; man muss nur die richtigen Feindbilder bedienen und schon werden all die hehren Ideale von Demokratie und Menschenrechten über Bord geworfen. Man merkt, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist.

      • @O.F.:

        Ihre bedenken sind nachvollziehbar und berechtigt.



        Das Problem liegt am Feindbild selbst und die Positionierung der Menschen, die ihre Zugehörigkeit bei Russland sehen. Frei dem Motto: "Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich sing!" - kommt nun mal der Aggressor aus dem Kreml. Und weil man Spione nicht ohne weiteres von normalen friedlichen Zivilisten unterscheiden mag, ist das leider eine der letzten Formen eine gewisse Stabilität für die Letten zu erreichen und gefahren zu minimieren. Ich glaube niemand, bei den Letten, möchte seine Nachbarn wirklich abschieben, aber niemand möchte morgen von Putin in Lettland regiert werden.



        Würden die Ansichten und Haltung der russischen Föderation sich ändern, wäre man sicherlich bereit, sich diplomatisch zu nähern. Durch die Aggression und die Dauer der Auseinandersetzung mit der Ukraine, ist das Vertrauen in die russische Föderation kaum mehr vorhanden. Das gilt ebenfalls für Alle die sich der aktuellen russischen Föderation zugehörig fühlen. Sie unterstützen damit indirekt (vielleicht auch aus falschem Nationalstolz) die Botschaften des Kreml und werden zu Sicherheitsrisiken in allen westlich-orientierten Ländern, gegen die, im Allgemeinen, die russ.Föderation genug falsche Propaganda Darstellungen verlauten lässt.

        Den Letten wäre es sicherlich lieber, russ.-Stämmig, Ja. Der russischen Föderation zugehörig, Nein!



        Eine Form der Distanzierung zum Aggressor, ist nicht eigentlich zu viel verlangt, nur der eigene Schneid ist da manchmal im Weg.



        Das erkennt man am Willen zur Einbürgerung, mit einem lächerlichen A2-Sprachtest und das mit der Vorlaufzeit von 30 Jahren.



        Bei Älteren, werden vielleicht noch so andere Themen wie Rente eine Rolle spielen.



        - Jetzt wird Faulheit (bei 30 Jahren), zum Verhängnis und Vorwurf menschenunwürdigen Verhaltens.







        Vielleicht liegt in der Sprach-Bequemlichkeit der Kern, in der Aussage, dass dies mit der Aufteilung der Sowjet-Union, ein großer Fehler begangen wurde?

      • @O.F.:

        Der Herr ist russischer Staatsbürger und hatte 34 Jahre Zeit, lettisch zu lernen.

        Und ja, realpolitisch ist eine russische Minderheit für alle Nachbarländer Russlands ein sehr großes Risiko. Siehe Ukraine, siehe die Drohungen gegen Kasachstan, usw.

    • @Thorsten Gorch:

      Weil man sich die Tür offen gehalten hat, diese Menschen notfalls ausweisen zu können, wenn sie auf die Idee gebracht werden, als Russen eine Heim-ins-Reich-Initiative zu starten wie es die Russischstämmigen aufgrund angeblicher Verfolgung und Unterdrückung in Georgien, Südossetien, im Donbass und so weiter plötzlich getan haben. Und am Tag danach standen russische Panzer und Soldaten im Land, um diese Russen zu schützen.

    • @Thorsten Gorch:

      Nach der Geschichte der gewaltsamen Okkupation der baltischen Staaten durch die SU, die maßgeblich durch Russland dominiert wurde, und einer massiven, gewaltsamen Russifizierung, die die Balten in dieser Zeit erleiden mussten, kann ich das ganz gut nachvollziehen. Und vor dem Hintergrund der derzeitigen Politik der Russischen Föderation, bei der Destabilisierung der Nachbarstaaten durch die russischen, integrationsunwilligen Minderheiten im Land ein klarer Bestandteil eben dieser Politik ist, erscheint eine solche Politik zumindest nachvollziehbar.

    • @Thorsten Gorch:

      Bei der Neugründung des lettischen Staates wurden nur Nachkommen von Personen die im Juni 1940 lettische Staatsbürger waren die Staatsbürgerschaft zuerkannt. Das ist eine Reaktion auf den Versuch Russlands mit Kolonisation die Kultur und Sprache der indigenen Letten zu zerstören. Wie man in der Ukraine und Belarus sieht war das vermutlich auch der richtige Schritt.

    • @Thorsten Gorch:

      Da diese Menschen nach der illegalen Besetzung des Landes 1940 angesiedelt wurden, sind die baltischen Staaten der Ansicht das sie keine Recht auf Aufenthalt haben. Sie können jederzeit die Sprache lernen, sich integrieren und Staatsbürger werden. Sie sind es halt nicht automatisch. Vergleicht man dies bspw. Mit dem Vorgehen Algeriens mit den Pied Noir zeigt sich das dies was post-koloniale Staaten angeht sogar ein recht humaner Umgang ist .

      • @Machiavelli:

        Dem muss ich wiedersprechen. Es ist ein beispielloser inhumaner Umgang für (aber bis auf Ermahnungen passiert hier nicht viel von Seiten der EU).



        Auch möchte ich darauf hinweisen, dass man Unrecht nicht durch neues Unrecht wieder gutmachen kann.

        • @Alexander Schulz:

          Die Russen Lettlands sind keine alteingesessene ethnische Minderheit, sondern von einer Besatzungsmacht angesiedelte Zivilisten. Nicht mehr und nicht weniger illegal als die Siedler im Westjordanland. ABER: Lettland ermöglicht ihnen, Letten zu werden. Und die meisten sind es auch geworden.

          Riga hatte sogar schon einen "russischen" Bürgermeister.

        • @Alexander Schulz:

          Die Menschen sind illegal vor Ort, da sie eine Diktatur dort angesiedelt hat kriegen sie diesen Sonderstatus, aber sie haben kein Recht dort zu sein. A2 Sprachlevel ist keine Zumutung wenn man dauerhaft im Land leben will, dafür müssen die Russen aber über ihren Herrenmenschen Schatten springen und das ist für viele nicht hinnembar.

          • @Machiavelli:

            Sie haben ein eigenartiges Rechtsverständnis. Das ist ähnlich absurd wie zu behaupten, dass die Polen in den ehemaligen deutschen Gebieten kein Recht hätten dort zu bleiben, weil sie unter einer Diktatur angesiedelt worden sind.



            Selbstverständlich hat die russische Minderheit ein Recht zu bleiben!



            Und es ist gut, dass die in Europa zuständigen Organe ein anderes Rechtsverständnis haben als sie!

            • @Alexander Schulz:

              Die Ansiedlung von Zivilisten in besetzen Gebieten ist verboten. Laut Völkerrecht soviel zum Rechtsverständnis. Die ehemaligen Ostgebiete gehören legal Polen daher ist die Ansiedlung legal.

              " Selbstverständlich hat die russische Minderheit ein Recht zu bleiben!" Wird ja auch in 99% nicht in Frage gestellt, der gute Mann um den es hier geht ist russischer Staatsbürger, und Ausländer darf man abschieben hat Deutschland auch schon gemacht und macht es weiterhin.

    • @Thorsten Gorch:

      Ich glaube die Letten wissen nur zu gut was man von Russland (unter derzeitigem Regime) erwarten kann oder besser muss. So gesehen sind die Aktionen der Letter in die Kategorie "Vorwärtsverteidigung" einzuordnen. Es gibt nicht viele Staatslenker in Europa, die über eine vergleichbare Weitsicht und realitisches Einschätzungsvermögen verfügen. Ganz besonders ein Deutschland wiegt man sich in einer schlafwandlerischen Sicherheit oder mentaler Trägheit um die Risiken zu erkennen.

      • @maxwaldo:

        In den seltensten Fällen führt Vorwärtsverteidiung bzw Eskalation zu mehr Sicherheit. In der Regel ist sogar das Gegenteil der Fall! Und mit Weitsicht hat das nun wirklich nichts zu tun.



        Weitsichtigkeit war die deutsche Aussenpolitik lange Zeit. Zugegebenermaßen langweilig, aber erfolgreich.



        Erinnern Sie sich noch an einen Kanzler mit dem Namen Brandt?



        Wissen Sie noch was ihm alles vorgewurfen wurde?



        Auch der jetzige Krieg in der Ukraine war nicht zwangsweise, aber es gab



        halt nicht die Politiker mit Format und der nötigen Weitsicht um eine diplomatische Lösung im Vorhinein anzustreben.

        • @Alexander Schulz:

          Doch, der Krieg war unausweislich, weil Russland ihn unbedingt wollte und auch immer noch will. Es ging Russland niemals um irgendetwas anderes als die Vernichtung der ukrainischen Nation zwecks Mehrung der eigenen Macht. Jedes "Entgegenkommen" wäre nichts anderes gewesen als Appeasement. Den Zweiten Weltkrieg hätte man ja auch nicht mittels Diplomatie gegenüber Deutschland verhindert, denn Deutschland wollte nun einmal um jeden Preis Krieg.