piwik no script img

Es tut sich was im einstigen SpaßbadIm SEZ ist der Spaß zurück

Im ehemaligen Freizeitzentrum in Friedrichshain wird getanzt. Auch der lange Rechtsstreit um das einstige Spaßbad ist endlich entschieden.

Ruinenhaft hinterm Zaun in bester Citylage: das ehemalige SEZ Foto: Jürgen Ritter/imago

Berlin taz | Ein Samstagmorgen, 2.30 Uhr vor dem SEZ in Friedrichshain. Die Techno-Party unter dem Motto „Evil Euphoria“ ist in vollem Gange, der Eintritt ist kostenlos und vor der Tür heißt es: Einlassstopp. Es geht dann aber doch schnell voran, es gab nur zu viel Gedrängel an der Garderobe.

Und dann ist man tatsächlich drin im SEZ, einem Ort mit einer sagenhaften Geschichte, der in den vergangenen zwei Jahrzehnten und nach einem schier endlosen Rechtsstreit des Landes Berlin mit dem derzeitigen Betreiber Rainer Löhnitz zur weitgehend stillgelegten Schrottimmobilie heruntergewirtschaftet wurde.

Vor Corona gab es in dem gewaltigen Gebäudekomplex auf einem fast fünf Hektar großen Grundstück noch ein Sportangebot und eine Sauna. In zugigen Hallen, bei denen gar nicht mehr versucht wurde, sie ordentlich zu beheizen, konnte man hier Badminton und Tischtennis spielen. Im Keller gab es eine Bowlingbahn mit echtem DDR-Charme. Seit der Coronapandemie, während der das SEZ ein Impfzentrum war, ist es auch damit vorbei. Und das 1981 eröffnete ehemalige Spaßbad, der einstige Stolz der DDR, fault und gammelt, halb verborgen hinter Bauzäunen, inzwischen nur noch vor sich hin, dem sicheren Tod entgegen. Der Club, den es hier seit Ende Juli gibt und der sich Recede nennt, macht sich die morbide Aura des Ortes zunutze und verspricht seinen Gästen eine „Lost Place Atmosphäre“.

Einen besseren Ort für einen Club in Berlin kann man sich eigentlich kaum vorstellen. In den Neunzigern fand die Technokultur ihre Räume in den Ruinen der untergegangenen DDR, an diese mythischen Zeiten knüpft man hier an. Auch wenn man als Liebhaber der SEZ-Bowlingbahn etwas wehmütig werden kann. Die ist verschwunden. Im einstigen Gastrobereich gibt es nun auf fast 1.000 Quadratmetern zwei Dancefloors.

Was macht eigentlich?

Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber berichtet wurde. Deshalb haken wir noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich?“ rund um den Jahreswechsel 2023/24 erzählen wir einige Geschichten weiter.

Der Sound, der an diesem Samstagmorgen läuft, würde bei geschmackssicheren Berghain-Fans sicherlich zu gerümpften Nasen führen. Man befindet sich hier eher in einer Dorfdisco denn im Szeneclub. Es riecht nach einer Mischung aus abgestandenem Bowlerschweiß und sich durch die Wände fressendem Zerfall und Kellermoder. Von einem Drogenverchecker wird man auf Schwäbisch angesprochen: „Brauchsch was?“

Vorgängerclub mit zweifelhaftem Ruf

Warum aber ist dieser Club in der Top-Location kaum bekannt? Das liegt vielleicht daran, dass es vor Recede seit September 2022 hier bereits einen Vorgängerclub mit eher zweifelhaftem Ruf gab. SEZ-Club nannte sich der und man munkelte, hier würden Nazis im Keller zu Remixen von ausgesuchten Reichsparteitagsreden tanzen – oder so ähnlich. Was das Antifa-Clubportal „Geradedenken“ jedenfalls herausfand, ist, dass hier mehrfach Acts des Magdeburger Hardtekk-Labels Strezzkids auflegten. Und mindestens zwei davon, DJ Hunnel und Zahni, fielen mit Selfies und anderen Fotos auf, auf denen ein „I love Hitler“-Aufkleber und dergleichen zu sehen war.

„Geradedenken“ wandte sich daraufhin an den SEZ-Eigentümer und der kündigte den Betreibern des Clubs den Mietvertrag. Der Macher des Recede, Amadeus Siegel, sagt der taz am Telefon, er habe immer noch enorme Schwierigkeiten, bei Bookings den Leuten klarzumachen, dass er und sein Team mit „I love Hitler“ rein gar nichts anfangen könnten. „Wir werden in diese Schublade gesteckt, weil es immer noch heißt, im SEZ gäbe es einen Naziclub.“

Ende Oktober wurde im Bereich des Recede Clubs von Unbekannten ein Stromkasten angezündet. Jemand ist in das SEZ eingebrochen und hat im Keller ein Feuer gelegt. Siegel sagt, man wisse nicht, wer das war. Vielleicht jemand von der Konkurrenz, vielleicht auch jemand aus dem Umfeld der ehemaligen Betreiber.

Ein Zentrum für Klimaaktivisten

Auch eine gute Geschichte ist, dass im Herbst die Letzte Generation im SEZ ein Schulungszentrum aufbauen wollte. Die Klimaaktivisten und der SEZ-Eigentümer hatten bereits eine Übereinkunft. Doch dann kamen die, so Siegel, mit einem „LKW mit Matratzen“, schleppten Bio-Klos und Freiluft-Waschbecken an und fragten, wo hier die Duschen seien. Die Aktivisten wollten sich offensichtlich hier häuslich niederlassen. Damit platzte auch der Mietvertrag.

Ganz frisch ist nun die Meldung, das Land Berlin habe bei ihrem Rechtsstreit mit SEZ-Eigentümer Löhnitz vor dem Bundesgerichtshof Recht bekommen. Das SEZ, das 2003 dem Investor für einen symbolischen Euro übergeben wurde, in der Hoffnung, der würde hier wieder ein Spaßbad errichten, „geht zurück an das Land Berlin und kommt damit endlich wieder den Berlinerinnen und Berlinern zu Gute“, heißt es in einer Pressemitteilung von Finanzsenator Stefan Evers (CDU).

Ein Sprecher der Senatsverwaltung für Finanzen sagt auf taz-Anfrage, der Rechtsweg sei damit für Löhnitz erschöpft. Die zig weiteren Schadensersatz-Klagen, die der Investor vor Gericht eingereicht hat, hätten keinen Einfluss auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes.

Clubbetreiber Siegel hofft, dass er dennoch im SEZ-Keller weitermachen kann. Bis der Plan umgesetzt werden könne, etwa 500 Wohnungen und eine Schule auf dem SEZ-Grundstück zu errichten, werde es noch ein Weile dauern. So lange würde er gerne weiter Partys veranstalten. Am liebsten aber wäre es ihm, wenn Möglichkeiten gefunden werden würden, das SEZ doch noch zu erhalten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare