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„Es geht um die absoluten Grundbedürfnisse“

Bundesumweltministerin Steffi Lemke wirbt auf der Weltklimakonferenz in Dubai für natürlichen Klimaschutz. Ihre Projekte in Deutschland stehen aber auf der Kippe

Eingeschränkter Handlungsspielraum: die deutsche Umweltministerin Foto: Amr Alfiky/reuters

Interview Susanne Schwarz und Enno Schöningh, Dubai

taz: Frau Lemke, Sie hier – wie kommt das denn?

Steffi Lemke: Das Umweltministerium vertritt auf der Weltklimakonferenz die Themen natürlicher Klimaschutz, Klimaanpassung, Kreislaufwirtschaft und die Frage des Waldschutzes auf globaler Ebene.

Wir fragen, weil für die internationalen Klimaverhandlungen doch mittlerweile Außenministerin Annalena Baerbock zuständig ist und die Größe der deutschen Delegation schon für Aufsehen gesorgt hat. Was machen Sie denn hier?

Die Größe der deutschen Delegation resultiert daraus, dass wir uns hier nicht nur auf die bloße CO2-Reduktion konzentrieren, sondern auch auf Anpassung an die Klimakrise, Ernährungssicherheit, Gesundheit und Finanzierung. Mein Ressort setzt sich für globale Ziele gegen Entwaldung, für natürlichen Klimaschutz und für Kreislaufwirtschaft ein und verhandelt, dass sie in die Abschluss­erklärung aufgenommen werden. Es geht dabei um die absoluten Grundbedürfnisse, um Ernährung und Wasser. Wenn die Klimakrise die Ökosysteme zerstört, dann gefährden wir damit unsere Lebensgrundlagen.

Zu Hause hängt Ihr zentrales Projekt jetzt in der Schwebe, das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. In den nächsten Jahren bis 2026 sollen eigentlich 4 Milliarden Euro fließen, um kaputte Ökosysteme klimawandelfest zu machen. Wie sauer sind Sie auf Finanzminister Christian Lindner wegen seines Haushaltsdebakels?

Sie wissen, dass wir nach der Klage der CDU gegen den Haushalt und dem Verfassungs­gerichtsurteil gegenwärtig sehr schwierige Gespräche in der Bundesregierung führen. Diese Gespräche dauern noch an, deshalb kann ich daraus noch keine Ergebnisse teilen.

Die wichtigsten Förderrichtlinien zu dem Programm sind noch nicht verabschiedet, zum Beispiel für die Renaturierung der Moore.

Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz wurde dieses Frühjahr im Kabinett beschlossen. Das ist jetzt Regierungspolitik. Durch die Klage der CDU ist aber die Frage der Finanzierung für eine sehr, sehr große Anzahl an Projekten erst mal unsicher.

Das heißt, Sie sind tatsächlich in Sorge um Ihr Programm?

Wir sind generell in Sorge über die Diskussionen, die jetzt nach dem Verfassungsgerichtsurteil stattfinden. Ich kann allen nur raten, parteipolitische Spiele im Moment sein zu lassen. Dafür ist die Situation für unser Land viel zu ernst. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir in aller Ernsthaftigkeit die verschiedenen Lösungsvorschläge diskutieren. Es geht nicht darum, dass ein einzelnes Projekt jetzt möglicherweise infrage steht. Die Stabilität des deutschen Wirtschaftsstand­ortes muss gesichert werden.

Auf der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal letztes Jahr gab es ja einen enormen Durchbruch: Praktisch ein Drittel der weltweiten Landes- und Gewässerfläche soll unter Schutz gestellt werden. Wann fängt Deutschland damit an?

Deutschland hat damit schon längst angefangen. Wir haben in Deutschland bereits viele Schutzgebiete. Wenn man alles zusammenzählen würde, auch die schwach geschützten Gebiete, dann hätten wir diese 30 Prozent bereits erreicht.

Bei den streng geschützten Gebieten ist Deutschland aber fast europäisches Schlusslicht.

Da haben wir Nachholbedarf, und daran arbeiten wir. Wir sitzen gegenwärtig an der Überarbeitung der nationalen Biodiversitätsstrategie. Außerdem arbeiten wir mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz an der praktischen Umsetzung. Das ist letztendlich das Entscheidende. Dass es einen Beschluss der Vereinten Nationen oder eine Strategie gibt, heißt noch nicht, dass die Dinge in der Realität angekommen sind.

Wie viel strenges Schutzgebiet ist denn in den zwölf Monaten seit dem Abkommen hinzugekommen?

Streng geschützte Gebiete sind in den letzten zwölf Monaten nicht neu ausgewiesen worden, an Land sind dafür allein die Bundesländer zuständig. Das Bundesumweltministerium hat in der ausschließlichen Wirtschaftszone Meeresschutzgebiete ausgewiesen, die zusammengerechnet bereits über 40 Prozent der Meeresfläche ausmachen. Hier arbeiten wir daran, den Schutz zu verbessern.

Hier in Dubai setzen sich mittlerweile viele Länder für einen Ausstieg aus fossilen Energien ein – auch die deutsche Delegation. In der gerade verabschiedeten Strategie für eine Klimaaußenpolitik spricht die Bundesregierung aber nur von einem Ausstieg aus den „fossilen Energien ohne CO2-Abscheidung“. Was ist Ihre Position zu diesem Widerspruch?

In der Fragestellung geht es ja darum, ob wir Technologien wie CCS oder Direct Air Capture brauchen, um die Transformation der Wirtschaft hinzubekommen. Was verhindert werden muss, ist, dass die Debatte dazu benutzt wird, länger in der fossilen Energieerzeugung zu bleiben. Es gibt aber verschiedene Industriezweige, zum Beispiel die Zementherstellung, die gegenwärtig noch nicht komplett dekarbonisierbar sind. Für solche Bereiche wird es möglicherweise nötig sein, CCS einzusetzen. Da geht es um stoffliche Prozesse, nicht um die Energieerzeugung.

Deutschland hat zu Beginn der Konferenz zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten Anschubfinanzierung für den neuen Fonds für klimawandelbedingte Schäden und Verluste geleistet. Die Hoffnung: dass sich mehr Schwellenländer beteiligen, die als solche generell nicht zur Klimafinanzierung verpflichtet sind, aber mittlerweile reich und CO2-intensiv. Bisher kam Geld nur kleckerweise und von Industrieländern. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Strategie noch aufgeht?

Steffi Lemkewurde 1968 in Dessau geboren und ist seit Dezember 2021 Bundesumweltministerin der Ampel­regierung. Die Agraringenieurin war Mitbegründerin der Grünen Partei in der DDR und von 2002 bis 2013 Bundesgeschäftsführerin der Grünen.

Ich hoffe auf seriöse und belastbare weitere Zusagen. Der Ball ist ins Rollen gekommen, weil Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate jeweils 100 Millionen Dollar zugesagt haben. Mittlerweile sind wir bei über 700 Millionen Dollar, und die Konferenz ist noch nicht zu Ende. Das Ziel ist, hier in Dubai mindestens 1 Milliarde zu sammeln. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann.

Auf der Weltklimakonferenz hier in Dubai wollen sich alle präsentieren, für die nächste Weltnaturschutzkonferenz hat sich bisher noch nicht mal ein Gastgeber gefunden. Warum macht Deutschland das nicht?

Ich gehe davon aus, dass sehr bald ein Gastgeberland gefunden sein wird. Deutschland hat sich dafür nicht proaktiv beworben, weil wir gegenwärtig andere Schwerpunkte gesetzt haben als die Ausrichtung einer internationalen Großkonferenz, etwa die Umsetzung des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz und die Biodiversitätsstrategie.

Wäre es nicht ein Signal für allgemeines Desinteresse an dem Thema, wenn schon wieder Montreal die Konferenz ausrichten müsste, nur weil da das Sekretariat der Biodiversitätskonvention sitzt?

Das wird nicht passieren.

klima taz 8,

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