Bezahlkarten für Geflüchtete: Hannover prescht vor

Als erste Großstadt hat Hannover eine „SocialCard“ für Geflüchtete eingeführt. Mit Abschreckungsdebatten will die Stadt aber nichts zu tun haben.

Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) hält eine blaue Visa-Karte in die Kamera.

Hannover führt eine Bezahlkarte für Geflüchtete ein – ohne Beschränkungen und Schikanen Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HANNOVER taz | Im Sommer 2022 war es am schlimmsten. Jedes Mal zum Monatswechsel bildeten sich lange Schlangen rund um das Sozialamt. Lauter Menschen, viele von ihnen waren Geflüchtete aus der Ukraine, die auf die Ausgabe ihres „Verpflichtungsscheines“ warteten. Mit dem durften sie sich dann wiederum bei einer Sparkasse oder einer anderen Auszahlungsstelle anstellen, um an ihr Bargeld zu kommen.

Sechs Sach­be­ar­bei­te­r*in­nen waren nach Angaben des Fachbereichsleiters nur noch damit beschäftigt, diese Scheine auszugeben. Dazu kamen weitere Personalkosten für den Sicherheitsdienst. Damit soll nun Schluss sein. Künftig müssen Menschen, die einen Sozialleistungsanspruch, aber kein Bankkonto haben, nur noch einmal kommen. Sie bekommen dann eine Scheckkarte ausgehändigt, die aussieht wie eine ganz normale Visa-Karte. Theoretisch ginge das auch mit einer App, mit der mochten sich die Teil­neh­me­r*in­nen im Testbetrieb aber nicht so anfreunden. Die Behörde überweist die Sozialleistungen dann darauf wie auf ein Bankkonto.

Das bedeutet weniger Aufwand, weniger Kosten, weniger Ärger für alle. Und genau das war der Grund, warum die Stadt Hannover ursprünglich ein solches System angestrebt hat – lange bevor es eine bundesweite Debatte darüber gab, ob sich Flüchtlingszahlen senken lassen, wenn man weniger Bargeld herausgibt.

Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) macht keinen Hehl daraus, wie sehr er diese Debatten verabscheut. Hannover, sagt er, wolle niemandem Leistungen beschneiden, die in vielen Fällen ja ohnehin schon unter dem Existenzminimum lägen. „Das ist unwürdig und wird die Situation in den Kommunen im Übrigen auch nicht im Mindesten verbessern.“

Allerdings: Rein technisch gäbe es auch bei dem System, das die Stadt Hannover gewählt hat, durchaus Möglichkeiten, die Nutzung zu beschränken, erklärt Joerg Schwitalla von der Publk GmbH, die das System entwickelt hat. „Wir können das den Wünschen der Kommunen entsprechend konfigurieren.“

Joerg Schwitalla, Publk GmbH

„Bestimmte Warengruppen ausnehmen, das können wir natürlich nicht“

So könnte man beispielsweise Bargeld-Abhebungen begrenzen, Online-Einkäufe oder bestimmte Branchen – wie etwa Spielhallen – ausschließen. Überweisungen sind ohnehin weder im Inland noch ins Ausland möglich, weil es kein Bankingsystem für die Karteninhaber gibt.

„Aber um auch diesen Mythos einmal auszuräumen, weil es da ja gerade so eine Art „Wünsch-Dir-was“-Wettlauf gibt: Bestimmte Warengruppen ausnehmen, das können wir natürlich nicht“, betont Schwitalla. Wenn man mit der Karte an der Supermarktkasse bezahlt, dann differenziert die nicht zwischen Lebensmitteln und Spirituosen oder Tabakwaren.

In Hannover steht das ohnehin nicht zur Debatte. Wir wollen, dass die Menschen teilhaben können und über den vollen Leistungsbetrag frei verfügen können, betonen Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und seine Sozialdezernentin Sylvia Bruns (FDP) immer wieder.

Der Clou an dem System der Publk GmbH ist, dass man mit Visa zusammenarbeitet. Andere Anbieter nutzen MasterCard. Damit sind Abhebungen und Zahlungen überall da möglich, wo das entsprechende Zeichen an der Tür steht – sofern die Karte noch über Guthaben verfügt. Denn überziehen kann man sie nicht. Dafür sieht die „SocialCard“ aber aus wie eine ganz normale Visa-Karte – so soll auch eine Stigmatisierung von Leis­tungs­be­zie­he­r*in­nen verhindert werden.

Die Zusammenarbeit mit einem etablierten und weitverbreiteten Zahlungsdienstleister sei deshalb wichtig, weil frühere Versuche daran oft gescheitert seien, erläutert Publk-Geschäftsführer Schwitalla am Rande der Pressekonferenz.

Es gab einzelne Landkreise, die schon einmal versucht hatten, eine Art Bezahlkarte einzuführen. Die sei aber letztlich nicht mehr als ein Gutschein im Scheckkartenformat gewesen. „Da müssen Sie dann jedes Mal erst die Händler akquirieren, die überhaupt bereit sind mitzumachen.“

Ein wahnsinniger Aufwand, der am Ende dauernd zu Problemen führt – weil am Ende dann doch wieder Menschen an einer Supermarktkasse stehen, wo die Karte gerade nicht funktioniert. Und auf der Verwaltungsseite hätten sich die Einspareffekte in Grenzen gehalten, weil das Aufbuchen auf die Karten zu kompliziert war.

Eigentlich hatte es bei der letzten Zusammenkunft der Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen mit dem Bundeskanzler ja geheißen, man wolle bis Ende Januar bundesweite Standards für Bezahlkarten entwickeln. Möglicherweise müsste Hannover sein System dann also noch einmal anpassen.

Onay erwartet keine schnelle bundesweite Lösung

Das beunruhigt Oberbürgermeister Onay aber nicht weiter: „Das war ja erst einmal nur eine Absichtserklärung. Und bei dem Tempo, in dem da derzeit auch andere Prozesse laufen, gehe ich mal nicht davon aus, dass da zum nächsten Jahr etwas kommt.“ Im Übrigen würde er bei jeder Lösung erwarten, dass man den Kommunen auch einen gewissen Spielraum lässt – die müssen es ja schließlich umsetzen.

Hannover wechselt jedenfalls jetzt von der Pilotphase in die Umsetzung. 70 Karten sind schon im Umlauf, auf 300 bis 400 wird die Anzahl nach den derzeitigen Schätzungen bald steigen. Die meisten gehen an Neuankömmlinge, die noch kein Bankkonto in Deutschland eröffnen können oder nicht wissen, ob sie bleiben dürfen. Es gibt allerdings auch deutsche Leistungsbezieher*innen, die keinen Zugriff auf ein Konto haben.

So ganz die Nase vorn hat Hannover allerdings nicht: Eine kleine Kommune in Schleswig-Holstein habe auch schon 30 Karten im Einsatz, verrät Joerg Schwitalla. Zwei weitere Kommunen stehen in den Startlöchern – und die Stadt Leipzig will auch nachziehen.

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