Nato-Generalsekretär auf dem Balkan: Politischen Einfluss zurückgewinnen
Auf dem Westbalkan zieht die Nato in Betracht, dauerhaft die Truppen zu verstärken. Das soll nicht nur weitere Eskalation vermeiden.
Ganz enttäuscht wurden die Hoffnungen nicht, denn Stoltenberg erklärte am Montag auf seiner ersten Station in Sarajevo, er sei besorgt über einen möglichen russischen Einfluss auf die bosnisch-serbische Führung des Teilstaates Republika Srpska unter dem „Präsidenten“ Milorad Dodik. Gerichtet an die Führung dieser „Entität“, wie dieses serbisch dominierte Gebiet in Bosnien und Herzegowina seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 von den Vereinten Nationen (UN) bezeichnet wird, erklärte er: „Wir sind besorgt wegen sezessionistischer und abspalterischer Rhetorik und wegen der bösartigen ausländischen Einmischung, darunter jener Russlands.“
Der mit Wladimir Putin eng verbundene Dodik will diesen Teilstaat, der 48 Prozent des Gesamtstaates ausmacht, zum unabhängigen Staat ausbauen und mit Serbien vereinigen. Schon längst haben der Westen und die Nato an Einfluss verloren. Wie zum Hohn ließ er am letzten Wochenende kurz vor dem Besuch Stoltenbergs seine Anhänger an der Grenze zwischen der serbischen Teilrepublik und der kroatisch-bosniakischen Föderation, der zweiten Teilrepublik, aufmarschieren und diese Grenze als Staatsgrenze definieren. Vor einem Jahrzehnt wurden solche Aktionen durch die internationalen Truppen unterbunden, in den letzten Jahren konnte Dodik sicher sein, dass nichts geschieht.
Russlands Unterstützung für Republika Srpska und Serbien
Er kann sich nämlich auf Putin verlassen. Der gibt ihm Rückendeckung nicht nur im Weltsicherheitsrat der UN, sondere ist auch mit Militärberatern und Waffenhilfen in der serbischen Teilrepublik aktiv. So wie in Serbien selbst. Doch jetzt scheint die über Jahre schlafende Nato aufzuwachen. Die Alliierten würden die Souveränität und territoriale Integrität Bosnien und Herzegowinas mit Nachdruck unterstützen, sagte Stoltenberg nach einem Gespräch mit dem Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft Christian Schmidt. „Ihre Sicherheit ist bedeutend für die Westbalkan-Region und für Europa“, versuchte er die Öffentlichkeit in Sarajevo zu beruhigen, die an der Demarkationslinie den Provokationen der serbischen Seite ausgesetzt ist.
Die Nato zieht offenbar jetzt im Westbalkan eine dauerhafte Verstärkung der Truppen in Betracht. „Wir prüfen derzeit, ob wir die Truppen dauerhaft aufstocken sollten, um sicherzustellen, dass die Situation nicht außer Kontrolle gerät und zu einem neuen gewaltsamen Konflikt im Kosovo oder in der Region führt“, sagte Stoltenberg am Montag vor Journalisten bei einem Besuch im Kosovo. Nach dem Wiederaufflammen der Gewalt im September hatte das westliche Militärbündnis Reservekräfte angefordert. Die regionale KFOR-Friedenstruppe der Nato, die seit 1999 im Einsatz ist, umfasst schon jetzt über 4.500 Soldaten aus 27 Ländern. Die serbische Armee hat jetzt Panzer und Kurzstreckenraketen an der Grenze stationiert. Stoltenberg reiste am Dienstag nach Nordmazedonien und Serbien weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod