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Jan Ullrichs Comeback in den MedienMan muss ihn mögen

Mit der späten Dopingbeichte sorgt eine Doku über Jan Ullrich für Schlagzeilen. Wie es dem gefallenen Radstar heute geht, bleibt im Vagen.

Authentisches Leiden: Jan Ullrich bei der Tour de France 2005 Foto: sirotti/imago

Man muss etwas ausholen, wenn man über die Jan-Ullrich-Doku sprechen will, die ab Dienstag von Amazon Prime heruntergeladen werden kann; ihre Entstehungsgeschichte reicht weit in die Vergangenheit zurück. Genau genommen 16 Jahre. Damals, im Frühjahr 2007, trat Jan Ullrich in Hamburg vor die Presse, um seinen Rücktritt vom Berufsradsport bekannt zu geben, eine Veranstaltung, die er selbst im Rückblick kichernd als „völlig bescheuert“ bezeichnet. Es war der erste öffentliche Auftritt, nachdem man ihn wegen Dopingverdachts aus dem Radsport verbannt hatte, und die ganze Welt erwartete von ihm nun ein Geständnis.

Stattdessen teilte Ullrich an die Presse aus, von der er sich ungerecht behandelt gefühlt hatte, ging dazu über, Produkte zu bewerben, die er künftig vermarkten wollte, und verschwand wieder, ohne Fragen entgegenzunehmen. Sein Auftritt bei Beckmann am selben Abend machte die Sache noch schlimmer. Sichtlich schwitzend stammelte er sich unbeholfen durch ausweichende Antworten auf die bohrenden Dopingfragen des Talkers.

Jeder, der es je gut mit Jan Ullrich meinte, sah in diesem Tag einen tragischen Fehler, der Ullrich auf die Bahn einer tiefen Lebenskrise brachte. Einer Lebenskrise, die bis heute nicht völlig ausgestanden ist. Ullrich riss damals alle Brücken zur deutschen Öffentlichkeit nieder, isolierte sich selbst und verfiel in eine, wie er heute selbst weiß, selbstmitleidige Rolle des ungerecht Verstoßenen.

Bis zu dieser Woche verharrte er in dieser Rolle. An einer mehrteiligen ARD-Dokumentation angesichts des 25-jährigen Jubiläums seines Tour-Sieges wirkte er ebenso wenig mit wie an zwei Buchbiografien. In Einzelfällen versuchte er gar, juristisch Publikationen über sich zu verhindern.

Lukrativer Exklusivvertrag

Ullrich wollte selbst bestimmen, wann er was sagt, er wollte die Kontrolle über sein Narrativ selbst in der Hand behalten. Es ist ein verständlicher Impuls von jemandem, der das Gefühl hatte, von der Öffentlichkeit erst überhöht und dann extrem verteufelt worden zu sein, einer Dynamik, unter der er massiv litt. Also unterzeichnete er einen lukrativen Exklusivvertrag mit Amazon, die ihm dabei halfen, seine Rückkehr in die Öffentlichkeit als Event zu inszenieren.

Vermarktet wird das Event als Lebensbeichte. Jan Ullrich packt aus und gibt der deutschen Öffentlichkeit damit das, was sie seit 16 Jahren von ihm fordert. Nun hat man die Beichte, Ullrich redet frei über seine Kooperation mit dem spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes und über seine Initiation in das Dopingsystem Profi-Radsport.

Heute wollen die früheren Fans vor allem wissen, wie es Jan Ullrich denn eigentlich geht

Man hört von ihm die schon oft präsentierte und durchaus plausible Erklärung, dass er als junger Fahrer vor der Wahl gestanden habe, mitzumachen oder seine Karriere aufzugeben. Und man hört, wie er sich eingeredet habe, er stelle lediglich Chancengleichheit her. Ganz am Ende der Doku fügt er dann pflichtschuldigst noch an, dass er jetzt verstehe, dass er die Fans betrogen habe und die Gegner, die damals eben nicht mitgemacht hatten.

Über die Details des Dopingsystems im Radsport zu jener Zeit erfährt man freilich wenig Neues, auch wenn einige der damaligen Strippenzieher zu Wort kommen. Fuentes etwa, der bis heute nur sagt, das Ausmaß seiner Aktivitäten sei völlig übertrieben worden. Oder Ullrichs Mentor Rudy Pevenage, der zwar zugibt, den Kontakt zu Fuentes hergestellt zu haben, aber bis heute lächerlicherweise behauptet, nicht gewusst zu haben, was dieser eigentlich macht.

Sorge um den abgestürzten Star

Auch was Details der Dopingpraktiken im Team Telekom angeht, hört man nur wenig. Der Film stellt zwar die Fragen, wer was wusste, gibt aber keine Antworten. Aber die Dopingbeichte ist ohnehin schon lange nicht mehr das, was die Öffentlichkeit von Ullrich braucht, um ihn wieder ins Herz zu schließen. Spätestens seit seinem öffentlichen Absturz im Jahr 2018 überwiegt die Sorge um Jan Ullrich.

Eine erschrockene Selbstreflexion, die fragt, ob man nicht als Medienkonsument, Medienproduzent, Fan oder Sportproduzent eine Rolle bei dieser menschlichen Tragödie gespielt hat, hat eingesetzt. Und so will man vor allem wissen, wie es ihm denn eigentlich geht.

Die Antwort fällt gemischt aus. Die Story, die Jan Ullrich erzählen möchte, ist, dass er seine Krise überwunden hat. Er ist weitgehend drogenfrei, hat sich ein stabiles Umfeld geschaffen, fährt wieder Fahrrad, kümmert sich um seine Kinder. Und mit dieser Doku sowie mit einem ­Besuch der Stationen seines schwierigen Lebens hofft er, sich endgültig von seinen Dämonen zu befreien.

Doch die Doku lässt Zweifel an dieser glatten Geschichte aufkommen. So zeigt Ullrich kaum Regungen, wenn er etwa an der Stelle im Elsass steht, an der er ein für alle Mal aus dem Radsport flog. Nach einer therapeutischen Retraumatisierung sieht das nicht aus. Auch die Aussage seiner Ex-Frau Sara, dass sie sich freue, wenn es ihm gutgehe und er mit seinen Kindern zusammen sei, lässt Abgründe durchscheinen. Die Implikation ist, dass dies noch lange nicht immer der Fall ist.

Eine Ahnung, die Bestätigung erfährt, wenn er nervös kichernd davon berichtet, dass sein Vater ihn verprügelt habe, weil er ins Bett genässt hat, und hinzufügt, dass ihm das alles wohl nicht zuletzt wegen der ständigen Gewalt in seinem Elternhaus passiert sei. Ein Bewusstsein dafür, was für ein profundes Trauma alleine diese Situation darstellt, scheint er noch immer nicht zu haben.

Trotzdem kann man davon ausgehen, dass sein Coming-out Jan Ullrich wieder die Tür ins Leben aufstößt. Das garantiert alleine schon seine Persönlichkeit. Es ist unmöglich, Jan Ullrich nicht zu mögen, wenn man ihn so ausgiebig auf dem Bildschirm erlebt. Ullrich ist tatsächlich jemand, der kaum Filter besitzt und deshalb eigentlich gar nicht anders kann, als authentisch zu sein. So wird nachvollziehbar, warum ihm die Werkzeuge dazu gefehlt haben, mit dem Betrieb fertig zu werden, in den ihn sein Talent in viel zu jungen Jahren hineingeworfen hat.

Mit dieser Erkenntnis geht freilich die Sorge darum einher, was er nun mit diesem Coming-out lostritt. Das Leben in der Isolation ist ihm nicht bekommen. Aber ob er nun dazu bereit ist, wieder ein Leben in der Öffentlichkeit zu führen, bleibt ebenso fraglich.

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4 Kommentare

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  • Was ich bisher gesehen habe, fand ich hinreichend offen. Wer sich die "Große Enthüllungsgeschichte, die endlich mal Ross und Reiter benennt" erhofft hat, schätzt Ullrich meines Erachtens falsch ein. Er wollte nie irgendwem ans Leder und verabscheut Verrat mehr, als er die Leute verabscheuen kann, die ihn verraten oder korrumpiert haben. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.

  • "Mit dieser Erkenntnis geht freilich die Sorge darum einher, was er nun mit diesem Coming-out lostritt."

    Die Sorge habe ich auch.

  • "Und man hört, wie er sich eingeredet habe, er stelle lediglich Chancengleichheit her. Ganz am Ende der Doku fügt er dann pflichtschuldigst noch an, dass er jetzt verstehe, dass er die Fans betrogen habe und die Gegner, die damals eben nicht mitgemacht hatten."

    Ganz so abwegig ist der Gedanke ja nicht, wenn man sich die Verdachtsfälle der Touren damals ansieht. Allein für die Tour 1997 trifft dies quasi auf die gesamten ersten Dutzend Plätze zu, vielleicht noch mehr.



    Entschuldigt es natürlich nicht, aber der Radsport hatte damals einfach ein gravierendes Problem im Allgemeinen.

    • @fourorty:

      Sehe ich auch so. Man musste schon mit Scheuklappen unterwegs sein, um noch "betrogen" werden zu können.