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Coming-of-Age-Film „Elaha“Furchtlos in die Hochzeitsnacht

Die Regisseurin Milena Aboyan erzählt in „Elaha“ vom Kampf einer jungen Kurdin für Selbstbestimmung. Das gelingt mit einer beeindruckenden Intensität.

Das weiße Kleid droht für Elaha (Bayan Layla) zum Korsett zu werden Foto: Milena Aboyan/Camino Filmverleih

Eine junge Frau tanzt mit fröhlicher Ausgelassenheit bei einer Familienfeier. Doch schon nach wenigen Sekunden wird sie von ihrer jüngeren Schwester von der Tanzfläche gezogen und zu einem Tisch geführt, an dem ihre Mutter ihr befiehlt: „Nimm dich zurück!“ So lernen wir die Protagonistin und Titelheldin des Films „Elaha“ kennen, und so unbeschwert wie in diesen ersten Bildern des Films wird sie in dessen 110 Minuten nie wieder sein, denn als nächste Feierlichkeit ist ihre Hochzeit geplant, und Elaha ist keine Jungfrau mehr.

Da Elaha zu einer Kurden­familie gehört, ist dies ein großes Problem, das sie unbedingt geheim halten muss. Denn in den Augen der anderen ist die 22-Jährige entweder „ein gutes Mädchen“ oder eine „Schlampe“, und eine solche würde ihr Verlobter, ein stolzer Jungunternehmer, wohl nicht mehr heiraten, und damit wäre Elahas Familie entehrt.

Milena Aboyan erzählt in ihrem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg von einer jungen Frau, die um das Recht kämpft, selbst über ihren Körper zu bestimmen. Bemerkenswert daran ist, dass sie dies aus einer Innensicht heraus tun kann. Als jesidische Kurdin, in Armenien geboren, kennt die Filmemacherin das Milieu, in dem „Elaha“ spielt.

Das sorgt dafür, dass es in ihrem Film auch keine einfachen Schuldzuweisungen und keine Klischees gibt. Stattdessen zeigt sie mit einem genauen Auge für Details die Lebenswelt von Elahas Familie. Sie sind Teil einer festgefügten kurdischen Gemeinde, die nur wenig Berührungspunkte mit der deutschen Gesellschaft hat. Die Familie lebt in prekären Verhältnissen und Elaha arbeitet als Aushilfskraft in einer Textilreinigung.

In einer Szene greift Elahas Verlobter ihr auf der Straße in die Hose und riecht an seinen Fingern, um zu prüfen, ob sie Geschlechtsverkehr hatte

So treten in diesem Film kaum sogenannte Biodeutsche auf. Stattdessen werden sowohl die Lehrerin in Elahas Fortbildungskurs als auch eine Ärztin, die beide Elaha unter ihre Fittiche nehmen, von Schwarzen Frauen verkörpert. Auf diese Weise umgeht Aboyan elegant das sonst wohl unvermeidliche Thema des alltäglichen Rassismus.

Stattdessen konzentriert sie sich ganz darauf, die Geschichte von Elahas Selbstermächtigung zu erzählen. Diese erweist sich dabei auch als eine der im Medium Film so beliebten Coming-of-Age-Geschichten, die allerdings dadurch mehr Dringlichkeit als sonst in diesem Genre üblich gewinnt, dass Elaha ihren Kampf um Selbstbestimmung auch direkt mit ihrem eigenen Körper austrägt.

Milena Aboyan hat ihren Film mit einer in einigen Szenen schockierenden Körperlichkeit inszeniert. So gibt es etwa in einer kurzen Sequenz Nahaufnahmen von einer Operation, bei der das Hymen einer Frau „restauriert“ wird. In einer Sequenz greift Elahas Verlobter ihr auf offener Straße in die Hose und riecht an seinen Fingern, um zu überprüfen, ob sie gerade Geschlechtsverkehr hatte.

Diese Grenzüberschreitung ist einer der Schlüsselmomente des Films, aber es gibt auch andere Sequenzen, in denen eher beiläufig deutlich wird, wie fremdbestimmt das Dasein der Protagonistin in der engen Wohnung ist. In der lebt sie zusammen mit ihren Eltern, ihrer Schwester und einem gehbehinderten kleinen Bruder. Sie hat dort beispielsweise so gut wie keine Privatsphäre. Sogar wenn sie sich auf die Toilette zurückzieht, vertreibt ihre Schwester sie durch Drängeln bald von diesem einzigen Rückzugsort.

„Elaha“ ist einer von den wenigen Filmen, bei denen es gelingt, konsequent und glaubwürdig aus einer einzigen Perspektive, also in der filmischen „Ich-Form“ zu erzählen. Die Kamera folgt in jeder Einstellung der Protagonistin. Die Schauspielerin Bayan Layla ist gebürtige Syrerin und musste für den Film lernen, Kurdisch zu sprechen.

Der Film

“Elaha“. Regie: Milena Aboyan. Mit: Bayan Layla, Derya Durmaz, Derya Dilber u.a. Deutschland 2023, 110 Min. Ab 23. 11. im Kino

Sie verkörpert Elaha mit einer beeindruckenden Intensität und Furchtlosigkeit. Anders als in islamischen Kulturen kennt das Jesidentum kein Bilderverbot und so scheut sich Milena Aboyan nicht, auch intime Bilder von Elahas Körper zu zeigen, ohne dabei je voyeuristisch zu wirken.

Auch sonst zeigt die junge Regisseurin, wie souverän sie sich in der Filmsprache ausdrücken kann. So ist die erste Einstellung des Films eine minutenlangen Plansequenz, also eine lange, ungeschnittene Einstellung, in der mit musikalischem Schwung Elaha, ihre Familie, ihr Verlobter, ihre Freundinnen und das Milieu, in dem sie lebt, vorgestellt werden.

Am Ende des Films gibt es dann eine Einstellung, in der Elaha direkt in die Kamera blickt, also die vierte Wand durchbricht und so das Publikum direkt anspricht. Auch dieses Stilmittel ist stimmig eingesetzt, denn im Laufe des Films haben die Zu­schaue­r*in­nen miterlebt, wie diese junge Frau lernt, sich in ihrer Welt zu behaupten und warum sie immer noch sagen kann: „Ich liebe meine Familie und meine Tradition. Ich bin nur manchmal nicht mit ihren Regeln einverstanden.“

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