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Zensur wegen BDS-NäheVerbote sind hier fehl am Platz

Kommentar von Susanne Memarnia

Die Berliner Kulturverwaltung überlegt, einem Veranstalter die Förderung zu entziehen, weil er der „Jüdischen Stimme“ Raum gibt – eine schlechte Idee.

Der „From the river…“-Spruch in abgewandelter Form auf der Pali-Demo am 4. November in Berlin Foto: dpa

D emokratie ist kompliziert, keine Frage. Man kann missliebige Meinungen nicht einfach verbieten, weil sie einem nicht gefallen. Den berühmten Andersdenkenden einen Platz im öffentlichen Raum zu verwehren geht nur in absoluten Ausnahmefällen, etwa wenn sie die Demokratie abschaffen wollen.

Weil das so ist, und weil es gut so ist, ist es falsch und gefährlich, wenn die Kulturverwaltung einem von ihr geförderten Veranstaltungsort mit Geldentzug droht, weil der eine Veranstaltung der „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ gehostet hat. Man muss nicht der Meinung sein, dass die „Jüdische Stimme“ recht hat mit ihrer Meinung, Israel sei ein Apartheidstaat.

Und man muss auch nicht gutheißen, was bei der Veranstaltung am Samstag im Oyoun in Neukölln so alles gesagt wurde. So ist die Autorin dieses Kommentars absolut nicht einverstanden mit der Darstellung des Hamas-Terrors vom 7. Oktober als „Angriff“ von „Milizen“, was eine ungeheuerliche Verharmlosung dieser staatlich organisierten Gräuel ist.

Aber die Meinungen aus dieser Gruppe und ihrem Umfeld sind meilenweit davon entfernt, gegen das Grundgesetz zu verstoßen und verbotswürdig zu sein. Auch die BDS-Kampagne, die die Kulturverwaltung als Argument ins Feld führt, ist nicht verboten. Es gibt gute Gründe, sie antisemitisch zu nennen und zu kritisieren, aber die Tatsache, dass einzelne Mitglieder der Jüdischen Stimme die Kampagne unterstützen, ist kein Grund, ihre Veranstaltungen zu verhindern.

Verbots-Furor schadet der Demokratie

Wo kommen wir also hin, wenn die Verwaltung anfängt, politisch missliebige Veranstaltungen zensieren zu wollen? Die Absurdität des Versuchs wird offenkundig, wo sogar Veranstaltungen, die die Linke Neukölln mitorganisiert, ins Visier der – seinerzeit selbst links geführten – Kulturverwaltung geraten. Will man damit sagen, dass die Linke Neukölln Positionen vertritt, die den demokratischen Rahmen sprengen?

In diesen Zeiten des Krieges und Hasses beklagen viele Menschen zu Recht, dass es kaum noch Raum gibt für Offenheit und gegenseitiges Zuhören. Natürlich muss man hart gegen Antisemitismus vorgehen, solche Taten bestrafen und jüdische Einrichtungen schützen. Aber der Furor, mit dem derzeit alles verboten wird – oder man versucht zu verbieten –, was möglicherweise antisemitisch sein könnte, ist der Sache der Demokratie nicht dienlich. Auch die palästinensische Seite braucht einen Raum für ihre Trauer, Wut und Sicht. Solange sie nicht das Kalifat ausrufen will, sollte sie den bekommen. Auch sie gehört zu uns.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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12 Kommentare

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  • Antisemitismus ist keine Meinung.

    Israel Genozid, Apartheid oder Faschismus zu unterstellen und seine Bürger*innen als »weiße Kolonisator*innen« zu diffamieren ist keine Meinung, sondern faktenfreie Desinformation, böswillige Hetze, das ist Hasspropaganda.

    Die Dämonisierung des jüdischen Staates als eine Art staatsgewordenes, kollektives Böse in dem alle (westlichen) Verbrechen und Übel kulminieren ist der vorbereitende Akt für seine anschliessende De­le­gi­ti­mie­rung: Mit einem faschistischen Regime kann kein Frieden geschlossen werden, es muss besiegt werden. Mit Apartheid kann sich niemand arrangieren, sie muss beendet werden. Kolonialstaaten gehören abgeschafft, Genozide gestoppt -- und zwar mit allen Mitteln. Das projizierte Böse macht Solidarität unmöglich, Frieden und Koexistenz undenkbar. Gewalt ist die logische Konsequenz.

    Die »Befreiung Palästinas« wird so zu einem erlösenden, eliminatorischen Akt rechtschaffener Gewalt. Selbst die Vertreibung und Ermordung von Millionen wird so auf einmal denkbar.

    Diese ganze Narrative ist weder »berechtigte Kritik«, noch Ausdruck von »Trauer und Wut«. Sie ist auch nicht nur »möglicherweise antisemistisch« sondern per Definition, Textbook, One-O-One -- und gleicht auf erschreckende Weise der der Nazis.

    Und sie endet immer in realer Gewalt und zwar nicht nur in Kfar Aza oder in Be’eri sondern auch in Berlin, London oder Paris.

  • Sie sind ja frei zu sagen was sie wollen, nur muss man dafür ja nicht auch Steuergelder bereitstellen.

  • Das wirft allgemein die Frage auf: Warum und mit wieviel Geld muss Kultur subventioniert werden. Gibt es auch andere Gruppen, die keine Subventionen erhalten? Nach welchen Kriterien werden die vergeben? Warum zahlen nicht die Zuschauer mit ihren Eintrittskarten?



    Wäre es zumutbar, dass die Künstler halbtags woanders arbeiten und damit ihr Hobby querfinanzieren?



    Wir brauchen noch ganz viele Lehrer, Kindergärtnerin, Lokomotivführer...

    • @Christoph Strebel:

      ...& Kindergärtner und Lokomotivführerinnen 😉😁

  • Ich bin sofort dafür diese Leute reden zu lassen, sie sollen ihre Meinung kundtun dürfen. Es ist sehr wichtig, dass die Allgemeinheit sieht was da los ist.

    Nur will ich doch nicht, dass sich unser Staat an der Finanzierung dieser Gruppen beteiligt.

    Ich verstehe auch nicht, wozu die staatliche Finanzierung von Meinungen (jedweder Art) nötig sein sollte. Ich habe es bisher noch immer geschafft meine Meinung sagen zu können, Staatgelder habe ich dazu jedenfalls noch nie gebraucht.

    • @Nafets Rehcsif:

      Sie würden aber doch sicher die Staatsgelder auch gerne nehmen. Und wenn Sie sich dran gewöhnt haben, würden Sie vielleicht sogar protestieren, wenn man sie Ihnen wieder streicht.

  • Was muss die Demokratie ertragen können?

    Man bedenke die Aussenwirkung: was sagen Hetzer in anderen Staaten, wenn aus Deutschland fröhliche Bilder übergriffiger Demonstranten gezeigt werden?



    Hamas liebt es bestimmt - genau ihr Spiel: einseitige Bilder posten und sich selbst feiern...

    Dabei besteht doch ein riesiger Unterschied zwischen dem Beklagen von Opfern rücksichtsloser Bombardements und dem Vorwurf von Apartheid, und dem gegenüber Vorzeigen des gestreckten Zeigefingers, dem Hetzen gegen die Existenz eines Staates oder gar dem Skandieren nach einem Kalifat.

    Die Leitlinie hierzu wurde verkündet. Die Details müssen offenbar regelmäßig an Umgehungsversuche angepasst werden.

    Es ist ein schmaler Grat.



    Das Demonstrationsrecht muss geschützt werden.



    Sowohl vor allgemeinen Verboten, als auch vor Missbrauch für Hetze.

  • "So ist die Autorin dieses Kommentars absolut nicht einverstanden mit der Darstellung des Hamas-Terrors vom 7. Oktober als „Angriff“ von „Milizen“, was eine ungeheuerliche Verharmlosung dieser staatlich organisierten Gräuel ist."

    Wobei die Autorin vielleicht auch zum Schluss kommen könnte, dass der Übergang von Miliz zu staatlicher Struktur auch nicht ganz trennscharf ist.



    Ein funktionierendes Staatswesen stellt die Hamas in meinen Augen nicht dar - aber - was macht das für einen Unterschied?

    Es ist in meinen Augen auch gar nicht nötig hier zu differenzieren, Gräuel bleibt Gräuel.

    • @Ringsle:

      "Wobei die Autorin vielleicht auch zum Schluss kommen könnte, dass der Übergang von Miliz zu staatlicher Struktur auch nicht ganz trennscharf ist."



      Es ist nicht sinnvoll gegen nicht behauptete "Aussagen" zu argumentieren.



      Die Autorin hat nichts dergleichen gesagt,.



      Der/die Verfasser*in der Zeilen interpretiert dies selbst herein.

      "Ein funktionierendes Staatswesen stellt die Hamas in meinen Augen nicht dar - aber - was macht das für einen Unterschied?"

      Ja natürlich nicht, auch das hat die Verfassserin nicht behauptet.



      Jedenfalls sehe ich in ihrem Text keinen Hinweis auf eine andere Sichtweise.

      Gerade diese Art der Aneinander-Vorbei-Behaupterei macht letztlich jeden Dialog unmöglich.

      Bei diesem Thema wie jedem anderen auch.

      • @Friderike Graebert:

        Gut, man kann sich jetzt wirklich an unwichtigem aufhalten..

        Die Bezeichnung "Angriff von Milizen" wird als ungeheuerliche Verharmlosung bezeichnet.



        Die Korrektur der Autorin nennt sie : "staatlich organisierte Gräuel"

        Mit der Gegenüberstellung von "Angriff" zu "Gräuel" gehe ich total d'accord.

        Aber ich verstehe nicht, warum "Miliz" vs



        "Staat" in dem Kontext eine Verharmlosung darstellt, bzw. warum das überhaupt erwähnt wird.

        Meine Interpretation ist, dass die Autorin darin eben schon einen wesentlichen Unterschied sieht, wieso sollte sie es sonst erwähnen?



        Ich sehe es nicht so, das wollte ich zum Ausdruck bringen. Und vielleicht kann mich jemand erhellen.

  • Danke.

  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    „In diesen Zeiten des Krieges und Hasses beklagen viele Menschen zu Recht, dass es kaum noch Raum gibt für Offenheit und gegenseitiges Zuhören.“

    Es gab noch nie so viel Raum für Diskussionen und gegenseitigen Meinungsaustausch wie heute. Dieser Kommentar ist das beste Beispiel. Wie hätte ich den 1985 veröffentlichen können? Gar nicht. ...

    Vielleicht sollten wir uns alle fragen, ob nicht ein ZU VIEL an vehement geäusserter Meinung mittlerweile die Kommunikation stört. Alle schreien nur noch.